angelegten Sermon. Und doch ist dieser Streit um ein paar Franken, diese Feindschaft um Weiberklatsch nur objektiv geringfügig, für die armen Eingeborenen sind sie wichtig, sonst kämen sie nicht zum Kadi gelaufen.
Schlimmer ist es, wenn sich die Beherrscher des Landes mit einem Delikt befassen, sie, die freigebig sind mit Todesurteilen und Verbannungen und Kerkerstrafen gegen den verachteten »indigène«, sie, vor denen man sich nicht verteidigen kann, weil sie die Sprache und die Sitten nicht verstehen, sie, die die Macht haben, den Mohammedaner in seinem eigenen Lande zur Dienstpflicht gegen das eigene Land zu zwingen, ihn einzusperren oder zu töten, obwohl sie ungläubige Hunde sind.
Weh dem, der der Cour correctionelle in die Hände fällt! Wer seiner Pflicht als Bluträcher Genüge getan, wer den Pferdedieb erschossen oder den Ehebrecher erstochen hat, wie es die Ehre erfordert, tut am besten daran, zu verschwinden; die Stammesgenossen verraten keinen, und die Urteile, die erlassen werden, erfährt der Täter nicht.
Tapeziert sind die Wände des Justizpalastes mit offiziellen Anschlägen der gleichen Art: »Lamu Mohammed ben Ali, genannt Felkani, zweiundvierzig Jahre alt, geboren 1884 in Beni Felkaï im Regierungsbezirk Sétif, Sohn des Ali ben Mohammed und der X …« Der Name von Gattin oder Mutter ist seltsamerweise den Gerichten niemals bekannt. »Taglöhner, wohnhaft im Duar Mentano, Kreis Péregotville, Witwer ohne Kinder, des Lesens und Schreibens unkundig, von der Justiz nicht ergriffen, wird hiermit in contumaciam schuldig gesprochen, am 13. Oktober 1925 in Maison Carré, Regierungsbezirk Algers, vorbedacht den Teggali Haon ben Mohammed aus dem Duar Mentano getötet zu haben, und wird nach Code Pénal, Artikel 295 und 304 des § 3 zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt.«
Die französischen Gendarmen werden keinen dieser verurteilten Lamu Mohammed finden, wohl aber findet jeden der Dolch des Vaters oder des Sohnes von jedem ermordeten Teggali Haon ben Mohammed.
Das mag kulturlos und unheimlich sein, schwerlich jedoch ist es kulturloser und unheimlicher als die Verhandlungen gegen Einheimische vor dem französischen Richter. Ein Mann aus der Großkabylie muss – o Schande – ohne Turban über dem in verkümmerten winzigen Löckchen geringelten Schwarzhaar vor Gericht stehen, zwei Gendarmen flankieren ihn, unten sitzt der Privatbeschädigte und ein Zeuge, gleichfalls ohne Turban über dem Karakülfell des Scheitels, und alle Stehplätze sind von den weither gekommenen Dorfbewohnern gefüllt. Niemand wagt es, einen der leerstehenden Stühle zu benutzen. Niemand versteht die Richter. Die thronen im Talar mit weißen Bäffchen, zwei mit Monokel, einer mit Kneifer, niemand versteht die gelangweilte Rede des Staatsanwalts und die kurze Replik des Ex-officio-Verteidigers. Der Angeklagte schaut apathisch drein, der junge Bursch auf der Privatklägerbank starrt alle Redner an, als müsse Allah ihm plötzlich die Eingebung der französischen Sprache schenken, traurig und anteilnehmend sind die Landsleute über die Brüstung des Stehparterres gebeugt.
Ob der Kläger mit der Gattin des Beklagten wirklich nur geredet habe, als dieser den Schuss abfeuerte? Diese Frage wiederholt der Dolmetsch resigniert und erhält keine Antwort, so entlastend sie wäre – die Muselmanen, die keine Frau in die Gerichtsstube lassen, würden niemals die Ehre einer Frau bloßstellen, am allerwenigsten vor den Giaurs.
Von meuchlerischer Mordabsicht deklamiert der Staatsanwalt, habe sich doch der Angeklagte geäußert, er werde den Burschen sehr bald – »der hohe Gerichtshof wird entschuldigen, dass ich hier ein derart brutales Wort in den Mund nehmen muss« – verdoppeln. Nun spricht der Anwalt, er glaubt, es sei mehr als eine Plauderei gewesen, was den Schuss des eifersüchtigen Gatten veranlasste, und gibt (anscheinend ist er Kommunist oder Anarchist) den Europäern die Schuld an dieser und jeder anderen Schießerei, denn sie waren es, die den Eingeborenen die Gewehre brachten.
Der Gerichtshof verliest das Urteil, der Dolmetsch übersetzt es, der Angeklagte duckt sich und wird abgeführt, die Kabylen aus seinem Dorf schleichen sich aus dem Saal, die Verhandlung hat kaum eine halbe Stunde gedauert, und ein Sohn der freien Berge muss auf drei Jahre ins Gefängnis, weil er getan, was ihm die Gesetze seines Volkes vorschreiben und was den Gesetzen der Machthaber widerspricht.
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