Karl Simrock

Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland


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den Ritterschlag erteilen wollten. Diese Frage zeigt uns das in Worms heimische Geschlecht der Dahlbergs als das vornehmste, wo nicht älteste der gesamten deutschen Ritterschaft. Die Dahlbergs hießen ursprünglich Kämmerer von Worms, und dort war eine eigene Gasse nach ihnen die Kämmerergasse genannt. Vielleicht verdankten sie jenen Namen der Obhut über die kaiserlichen Kammerknechte, die Juden, womit sie vom Reich beliehen waren. Nirgends in Deutschland fand sich im Mittelalter eine zahlreichere Judenschaft, nirgends eine ältere, ehrwürdigere Synagoge. Die deutschen Juden hatten drei oberste Rabbiner, einen zu Prag, den anderen zu Worms und den dritten zu Frankfurt, und nach Kaiser Ferdinands Privilegium hatte der zu Worms den Vorzug vor beiden anderen. Neuere Untersuchungen finden die uralte Tradition, daß schon Jahrhunderte vor Christi Geburt Juden in Worms Niederlassungen gehabt haben, mehr als wahrscheinlich. Nach der uralten Chronik der dortigen jüdischen Gemeinde, »Maseh Nisim«. hatten sich schon um die Zerstörung des ersten Tempels durch die Babylonier, 588 Jahre vor Christi Geburt, Juden nach Worms gezogen, wo es ihnen so wohl gefiel, daß sie sich zur Rückkehr nicht entschließen konnten. Aber die Priester im Gelobten Land drohten ihnen mit der Strafe Gottes, weil Gott den Männern geboten habe, die drei hohen Feste in Jerusalem zu begehen. Da antworteten die Wormser Juden: Sie wohnten im Gelobten Land, Worms wäre das kleine Jerusalem und ihre Synagoge der kleine Tempel.

      Nach einer andern Überlieferung soll die Erde auf dem uralten jüdischen Begräbnisplatz, dem sogenannten Heiligen Sand, von Jerusalem dahin gebracht worden sein, weshalb sich andere deutsche Juden sehr angelegen sein ließen, in Worms aufgenommen und begraben zu werden. An das unleugbare hohe Alter der jüdischen Gemeinde zu Worms knüpfte sich alsdann deren Behauptung, daß sie in Christi Kreuzigung nicht nur niemals gewilligt, sondern sogar durch ein eigenes Schreiben an den König der Juden ernstlich davon abgeraten hätten. Dies verschaffte ihnen jene wichtigen, von Kaiser und Reich bestätigten Privilegien und veranlaßte, wie es scheint, das Sprichwort: »Wormser Juden – fromme Juden.« Daß sich die aus Cäsarius bekannte Sage von dem Judenmädchen, welchem verheißen war, den Messias zu gebären, und die hernach eine Tochter zur Welt brachte, gerade in Worms ereignete, deutet auch darauf, daß diese Stadt für eine Hauptstadt der Juden, für ein deutsches Jerusalem galt.

      Die jüdische Gemeinde zu Worms hatte eine wohlgeordnete Verfassung unter einem Vorsteher, welcher der Judenbischof hieß. Den Kämmerern von Worms, den Dahlbergs, war der Schutz dieser Verfassung vom Reich übertragen. Die Kämmerer selbst müßten jüdischen Ursprungs sein, wenn sie wirklich, wie sie sich in ihren Stammbäumen rühmten, durch die Jungfrau Maria mit unserem Heiland verwandt gewesen wären. Als einst, die Anekdote ist bekannt, eine Frau von Dahlberg anzuspannen befahl, und der Kutscher fragte, wohin er sie fahren solle, antwortete sie: »Zu meiner Cousine nach Liebfrauen.«

      Einer der ersten des Geschlechts der Kämmerer soll, der Familiensage gemäß, nach der Zerstörung Jerusalems durch Titus mit der XXII. Legion nach Worms gekommen sein. Übrigens erbten die Kämmerer von Worms den Namen Dahlberg erst in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, wo das im Nahegau, drei Stunden von Kreuznach, heimische Geschlecht derer von Dahlburg erlosch und ihre Besitzungen auf jene ihnen durch Heiraten verbundenen Kämmerer von Worms übergingen, welche Namen, Schild und Helm der Dahlbergs den ihrigen beifügten und bis heute fortführen. Von Schloß Dahlburg, das im Stahlstich diese Blätter zu zieren bestimmt ist, unten das Nähere; hier könnte nur von Herrnsheim, dem kaum eine dreiviertel Stunde von Worms entfernten Stammschloß der Familie Dahlberg-Herrnsheim, die Rede sein. Eine Spazierfahrt dahin, wozu sich vor dem Tor die Gelegenheit von selber bietet, ein Gang durch das reinliche, wohlhäbige Dorf und der auf einem günstigen Punkt mit Geschmack angelegte Garten, der Besuch der sauberen altdeutschen Kirche, worin neben so manchem seiner Vorfahren nun auch der letzte der Dahlbergs ruht, wird dem Leser mehr sagen, als der Raum uns hier gestattet.

      Soviel von dem mythischen Worms; das geschichtliche ist nicht minder wichtig. Mediomatriker, Vangionen, Römer, Burgundionen, Hunnen, Alemannen und Franken hatten hier nacheinander Wohnsitze. Durch gar manche Konzilien, Maiversammlungen, Reichstage und Turniere ist es berühmt. Luthers Worte: »Und wenn so viele Teufel in Worms wären als Ziegel auf den Dächern, doch wollt’ ich hinein«, sichern sein Gedächtnis, solange der Unterschied der Konfessionen besteht. Auch einen Dichter hat es hervorgebracht, den einzigen unter den Deutschen, der vor Friedrich dem Großen Gnade fand, den verdienstvollen, nicht genug bekannten Goetz. Im Nahetal werden wir ihn auf seiner Winterburg heimsuchen.

      Aus dem Orleansschen Mordbrand hat Worms wenig mehr als seinen herrlichen Dom gerettet, dessen festes Mauerwerk die Franzosen vergebens zu zertrümmern suchten. Das hohe, schmale Langhaus mit einem östlichen und westlichen Chor, vier schlanken Türmen und zwei turmähnlichen Kuppeln an den Chören erinnert an den Dom zu Mainz, nur daß dort die Verhältnisse größer sind und die Kuppel über die Türme emporragt. In den ersten Jahren des Jahrtausends erbaut, ist es eins der ältesten und schönsten Denkmäler des Rundbogenstils, jener am Rhein so viel gepflegten Baukunst, von der die Gelehrten nicht wissen, ob sie byzantinisch oder lombardisch heißen müsse. Uns scheint sie weder griechischen noch italischen Geist zu atmen, sondern aus dem starren und strengen Sinn des Nordens hervorgegangen zu sein, dem sich die Milde des Christentums und die üppige Blüte der Romantik noch nicht erschlossen hatten. Von dem östlichen Chor und der nördlichen Langseite blicken scheußliche Larven, grimmige Tiergestalten auf uns herab, gleichsam Ausgeburten des finsteren Heidentums, welche die christliche Kirche des elften Jahrhunderts noch nicht alle auszuscheiden und zu bewältigen gewußt hatte. Der westliche Chor zeigt etwas spätere Formen und Übergänge in den Spitzbogen. Man erklärt: dies durch die im fünfzehnten Jahrhundert notwendig gewordene Wiederherstellung des einen westlichen Turms. Allein schwerlich lag ein westlicher Chor im Plan des ersten Baumeisters. Hier, dem östlichen Chor gegenüber, mußte sich, nach einem durchgreifenden Gesetz, ursprünglich der Haupteingang befinden. Das jetzige, schon ganz gotische Hauptportal auf der Südseite kann erst drei Jahrhunderte später angefügt worden sein. Auf seiner Spitze reitet ein gekröntes Weib auf einem vierfüßigen, seltsamen Tier. Man hat gefragt, ob es die triumphierende Kirche, die Stadt Worms oder die babylonische Hure vorstelle. Auch auf die Frauen des Heldenlieds, die sich vor dieser Kirche schalten, hat man geraten. Und wirklich hat die Deutung auf Brunhilde, aber nicht die mythische, sondern die historische, des austrasischen Siegberts Gemahlin, viel für sich, denn Worms, wohin sie sich geflüchtet hatte, war es nach einigen Annalen, wo jenes grauenvolle Gericht über die fast achtzigjährige, herrschsüchtige Frau erging:

      Der Hengst riß wiehernd aus, die Hinterhufe schlugen

       Das nachgeschleppte Weib; verrenkt in seinen Fugen

       Ward jedes Glied an ihr; um ihr entstellt Gesicht

       Flog ihr gebleichtes Haar; die spitzen Steine tranken

       Ihr königliches Blut, und schaudernd sahn die Franken

       Chlotars, des Zürnenden, entsetzlich Strafgericht.

       Ferdinand von Freiligrath

      Vorher war sie drei Tage lang mannigfach gemartert und auf einem Kamel sitzend dem Hohn des Heeres preisgegeben worden. Für ein Kamel könnte auch das rätselhafte Tier des Wormser Portals gelten, das freilich zu späten Ursprungs ist, als daß die historische Brunhilde damals im Andenken gewesen wäre. Näherer Betrachtung soll sich auch jenes Tier durch die Attribute der vier Evangelisten, die an dem viergestaltigen Haupt und den unten nicht erkennbaren Füßen zum Vorschein kommen, als ein apokalyptisches ausweisen, so daß die Deutung auf die triumphierende Kirche doch zuletzt triumphiert.

      Zwischen Worms und Speyer hätten wir Oggersheim und Frankenthal erwähnen können, beide der Mündung des Neckars fast gegenüber; dieses berühmt durch die überprächtige Hochzeit jenes Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, der unter dem Namen »Winterkönig« im böhmischen Krieg einen so tragischen Ausgang nahm; jenes durch seine seltsame Rettung, als in demselben Krieg Hans Warsch, der Viehhirt, mit dem spanischen Feldherrn Don Corduba auf eigene Faust unterhandelte und seiner ganz verlassenen Vaterstadt eine günstige Kapitulation, seinem neugeborenen Kind aber einen Paten erwarb. Der aus Langbeins Gedichten bekannten Anekdote sind wir nicht gesonnen, ihre historische Glaubwürdigkeit anzufechten; der Name des Hirten klingt aber bedenklich. Das digammatisch vorgesetzte W scheint einen der derbsten deutschen Spottnamen verbergen zu wollen.