haben könne als in dem Teil des großen Lorscher Waldes, welcher der Wildbann hieß. Ich bedauere, daß der würdige Mann zu dieser ganz unhaltbaren Annahme durch mich verleitet worden ist. Er ging nämlich bei seiner Untersuchung statt von dem Original von meiner Übersetzung aus, wo die Stelle
Da ließ man herbergen vor dem Walde grün
Der Wildbahn gegenüber die stolzen Degen kühn
ihn veranlaßt hat, in die Urkunden nach Walddistrikten zu suchen, die den Namen Wildbahn oder Wildbann trugen. Dieses Wort kommt aber in der Urschrift nicht vor, vielmehr heißt es da »gên des wildes abeloufe«, was ich irrig mit »Wildbahn« statt mit »Wechsel« übertrug. Man lernt hieraus, daß der Geschichtsforscher Altdeutsch, Dichter und Übersetzer aber Jägerlatein verstehen sollten. Müssen wir darauf verzichten, den Schauplatz der Ermordung Siegfrieds zu ermitteln, so läßt sich dagegen die Stelle, wo der Nibelungenhort in den Rhein versenkt wurde, aus dem Gedicht selbst ziemlich genau bestimmen. Es ist nämlich Lochheim bei Biebesheim unterhalb Gernsheim im oberen Rheingau. Wer aber dahin reisen will, um nachzuforschen, wird einige Mühe haben, sich zurechtzufinden, denn die alten Dörfer Nieder-und Oberlochheim hatte der gierige, von dem Schatz ungesättigte Strom schon vor dem Jahre 1252 verschlungen. Vielleicht hat Odenheim, das durch jenes bisher unbeachtet gebliebene Sprichwort neue Bedeutung gewinnt, ein ähnliches Schicksal gehabt.
Indem er diesem nachspürte, stieß Dahl auf eine Gegend im Odenwald, welche der Spessart (Spechts Hart) genannt wurde. Dahin, meinte er nun, müsse Hagen den Wein gesandt haben, nach welchem Siegfried dürstete, nicht nach dem großen Spessart, der selbst für einen bloßen Vorwand zu entfernt sei. Allein mit so kleinlichem Maßstab darf man die Riesenschritte des Heldenliedes nicht nachmessen. Bedeutender ist es, was er über die Worms gegenüberliegende gefürstete Abtei Lorsch, deren treffliche Beschreibung ihm verdankt wird, in bezug auf die Nibelungen anführt. Nach den Zusätzen der Überarbeitung zog sich bekanntlich Ute, die Mutter Kriemhilds und der burgundischen Könige, dahin zurück, ja sie wird als die Stifterin der Abtei angegeben. Auch Kriemhild habe sich dahin begeben sollen, und wirklich sei Siegfrieds Leiche, von der sie sich nicht trennen wollte, nach Lorsch gebracht worden, wo er noch in einem langen Sarg liege. Das letztere scheint zwar ganz ohne Grund zu sein; nach Dahls Bemerkung war aber wirklich eine Klosterfrau Uda, die mit der ersten Stifterin Williswinde fast zu gleicher Zeit lebte, die zweite Stifterin der Abtei. Jetzt ist von ihrer alten Herrlichkeit nichts mehr übrig als eine Vorhalle und die zu einem Fruchtspeicher eingerichteten Trümmer der zweiten, im elften Jahrhundert erbauten Kirche. Weit älter ist die Halle, deren römische Kapitelle sie in die karolingische Zeit setzen, aus der uns auch am Rhein nur wenige Denkmäler erhalten sind.
Bei dem obigen kurzen Überblick der wichtigsten Punkte des Speyer-und Wormsgaus haben wir uns an das vom Rhein ziemlich entfernte Hardtgebirge gehalten. Die Rheinufer sind malerisch weniger anziehend, ihr romantisches Interesse bleibt aber noch groß genug. Wie Frankfurt die Wahl-, Aachen die Krönungsstadt, so ist Speyer die Totenstadt unserer Kaiser. Den Römern schon als die Hauptstadt der Nemeter (Civitas Augusta Nemetum) bekannt, von dem Merowinger Dagobert aus dem Schutt der Völkerwanderung erhoben, erstieg es unter den fränkischen Kaisern, die hier heimisch waren, die höchsten Stufen seines Glanzes. Konrad der Salier, der auch den Namen »der Speyerer« führt, wurde der Stifter seines berühmten Kaiserdoms. Als sein gleichnamiger Sohn von der hohen Limburg herabgestürzt war, genügte es der frommen Gisela nicht, daß ihres Sohnes Todesstätte Gott geheiligt worden war. Das zweite Jahrtausend nach Christi Geburt war angebrochen und das prophezeite Weltende nicht eingetreten. Man glaubte der göttlichen Erbarmung Dankopfer schuldig zu sein, und zumal Konrad, der erste seines Geschlechts, der den Herzogshut mit der Kaiserkrone vertauscht hatte, die er seinem einzigen noch übrigen Sohn Heinrich zu erhalten hoffte, mußte sich der Gnade des Himmels zugleich verpflichtet und fernerhin bedürftig fühlen. Vielleicht wirkte noch ein dritter Beweggrund mit: Gisela, gleich dem Kaiser aus karolingischem Geschlecht, war eine so nahe Verwandte ihres Gemahls, daß manche ihre Ehe für unerlaubt hielten. Heiraten in zu naher Verwandtschaft droht noch heute das Volkssprichwort mit: »Sterben, Verderben oder ohne Erben.« Als nach des erstgeborenen Konrads Sturz ihr der einzige Heinrich übrigblieb, mochte Gisela, jener Drohung eingedenk, auch für dessen Leben zittern und den Zorn des Himmels zu versöhnen bedacht sein. Auf die Bitte seiner Gemahlin gelobte Konrad in seiner Hauptstadt Speyer einen neuen Dom – eines Kaisers würdig, Gott und der Heiligen Jungfrau zu Lob – und zugleich zu Ehren des Evangelisten Johannes eine dritte Kirche auf dem nachher sogenannten Weidenberg zu erbauen, wo seine Vorfahren, die rheinfränkischen Herzöge und Grafen des Speyergaus, ein Hofgut besessen hatten. Am zwölften Juni 1030, vor aufgehender Sonne, legte er auf seinem Stammschloß Limburg bei Dürkheim den ersten Stein zu der Abtei, ritt dann in Begleitung der Fürsten, welche der feierlichen Handlung beigewohnt hatten, durch die blühende Ebene nach Speyer, wo er zunächst den Grundstein des Doms und noch vor dem Imbiß den ersten Stein zu St. Johann legte. Letzteres erhielt später, als die irdischen Reste des heiligen Guido von Ravenna vor dem Hochaltar beigesetzt wurden, den Namen Weidenstift.
Die Vollendung des Doms, den er sich und seinen Nachfolgern, die diesseits der Alpen sterben würden, zur Begräbnisstätte geweiht hatte, erlebte Konrad nicht, aber er und Gisela sind darin beerdigt. Ihr Sohn, Kaiser Heinrich III., folgte ihnen zwar im Reich, ganz jedoch hatte der Zorn des Himmels nicht beschwichtigt werden können, denn diesen kraftvollen Fürsten riß ein frühzeitiger Tod plötzlich hinweg, und sein kaum sechsjähriger Sohn, Heinrich IV., wurde durch die Verirrungen seiner Minderjährigkeit an dem meisten Unglück schuld, das Deutschland in den folgenden Jahrhunderten betraf.
Auch Heinrich III. ist in Speyer beerdigt, aber seinem Sohn schien in dem Dom, den er ausgebaut hatte, keine Ruhestätte beschieden. Mitten in die Kämpfe zwischen Kirche und Staat, in die eifersüchtigen Reibungen der fränkischen und sächsischen Völker hineingeworfen, die zu schlichten kaum ein Kaiser mit eisernem Sinn und Willen vermocht hätte, wurde er das Opfer verwahrloster Erziehung und ungezügelter Begierden. Was der Jüngling leichtsinnig verbrochen hatte, mußte der Greis jammervoll büßen. Nach so vielen Demütigungen, von denen die bekannte im Schnee von Canossa eine welthistorisch-symbolische Bedeutung erlangte, traf ihn in den Empörungen seiner Söhne der härteste Schlag. Der Krone beraubt, seiner Ehren und Würden entkleidet, bat er den Bischof von Speyer, den er erhoben hatte, um eine Pfründe an seinem Münster, damit er in grauen Tagen nicht Hungers sterbe. Und doch tat er eine Fehlbitte. Nicht einmal sein Tod konnte seine Feinde versöhnen. Der Bischof von Lüttich, der ihn mit kaiserlichen Ehren bestattet hatte, mußte seine Leiche mit eigenen Händen ausgraben, weil ihr der Bannfluch geweihte Erde verbiete. Auf einer einsamen Insel der Maas ohne Sang und Klang niedergestellt, erbarmte sich ihrer nur ein zufällig vorüberkommender Mönch, der, dem barmherzigen Samariter gleich, durch eine schöne menschliche Tat die ganze Christenheit beschämte. Er weilte bei dem Sarg und sang Tag und Nacht über ihm Bußpsalmen und Totengebete. Als Heinrich V. endlich in sich ging und den Leichnam des Vaters nach Speyer bringen ließ, war die Kirche, die unzärtliche Mutter, noch nicht versöhnt und verbot, den Kaiser im Königschor beizusetzen, bis der Heilige Vater den Bann gelöst habe. Fünf Jahre standen Heinrichs irdische Reste unbeerdigt in der von ihm erbauten St.-Afra-Kapelle, und nur die getreuen Speyerer schreckte der Bann nicht, seiner Seele Gebetsopfer darzubringen.
Endlich brachte Heinrich V. dem verratenen Vater die Lossprechung aus Italien mit, bestattete ihn feierlich in der Kaisergruft und erteilte den Speyerern für ihre unverbrüchliche Treue die erste Urkunde ihrer Freiheit. Einigermaßen mildert dies seine Schuld, aber noch hing sie schwer und unheilbringend über seinem Haupt, und als auch er mit Helm und Schild in die Gruft zu Speyer getragen wurde, da weinte kein Sohn am Sarg des letzten Kaisers vom salischen Stamm. Der Vaterfluch hatte seine Lenden unfruchtbar gemacht, und die Krone ging, nach einem kurzen sächsischen Zwischenreich, auf die Hohenstaufen über, die durch eine Tochter Heinrichs IV. von den Saliern stammten. Hier ist der Ort, eine rührende speyerische Volkssage einzuschalten, die, wenn sie auch nicht buchstäblich mit der Geschichte übereinstimmt, ihre Bedeutung als »Das Weltgericht« desto schöner hervorhebt. Wir berichten sie mit den Worten eines talentvollen jungen Dichters, Max von Oër.
Die Glocken zu Speyer
Zu Speyer im letzten Häuselein,
Da liegt ein Greis in Todespein,