und wechselseitig ergänzen. Und Teresa von Ávila formulierte deutlich: „Werke will der Herr! (…) Dies ist die wahre Vereinigung mit seinem Willen.“1 Oder um es in Anklang an Immanuel Kants Verhältnisbestimmung von Denken und Anschauung zu sagen: Nachfolgepraxis ohne Mystik ist blind, Mystik ohne Nachfolgepraxis leer. Letzteres akzentuierte etwa Dorothee Sölle so: „Die ‚Hinreise‘, die in Meditation und Versenkung angetreten wird, ist die Hilfe der Religion auf dem Weg der Menschen zu ihrer Identität. Christlicher Glaube akzentuiert die ‚Rückreise‘ in die Welt und ihre Verantwortung. Aber er braucht eine tiefere Vergewisserung als die, die wir im Handeln erlangen: eben die ‚Hinreise‘.“2
Gerade moderne Mystiker(innen) wie Dag Hammarskjöld oder Madeleine Delbrêl bezeugten jene Einheit von mystischer Spiritualität und Nachfolgepraxis in einer Mystik der Welt, gelebt im Alltag, bis hin zu einer Mystik des Politischen. Das mystische Erleben diente Hammarskjöld als Grund und Motivation für sein konkretes politisches Handeln, welches er als Nachfolgepraxis verstand, und Delbrêls soziales Engagement erwuchs aus der von ihr bezeugten religiösen Erfahrung der Nähe Gottes, die in die Praxis der Solidarität mit den Schwachen drängt: „Wir Leute von der Straße, glauben aus aller Kraft, dass diese Straße, dass diese Welt, auf die uns Gott gesetzt hat, für uns der Ort unserer Heiligkeit ist.“3
Dorothee Sölle hat darauf aufmerksam gemacht, dass hier die Unterscheidung von mystischem Innen und politischem Außen schwindet, und mit Johann Baptist Metz kann man von einer „Mystik der offenen Augen“ sprechen. Im Unterschied zu derjenigen der „geschlossenen Augen“ kreist sie nicht nur um das eigene Innere und die eigenen religiösen Erfahrungen, sondern sie sucht das Antlitz des Anderen, insbesondere der Opfer, der Leidenden und der im Unglück Verharrenden, mitten in Geschichte und Gesellschaft, mitten unter den ‚Leuten von der Straße‘. Metz versteht diese „Mystik der Compassion“ explizit als eine „Mystik der Nachfolge“ und diese wiederum als politisch:
„Glaube ist (…) Nachfolge, Nachfolge des armen, des leidenden und gehorsamen Jesus. In dieser Nachfolge leben heißt: mit den Menschen immer umgehen ‚etsi Deus daretur‘; das heißt: für sie und mit ihnen so handeln, daß in dieser Praxis die Anerkennung Gottes mitgesetzt ist. Wer aber in seiner Praxis die Anerkennung Gottes mitsetzt, der handelt mit einem unbedingten Willen zur Gerechtigkeit für die ungerecht Leidenden (…). Dieses Leiden ist in seinem Kern durchaus politisch. Die Mystik der Nachfolge ist eine politische Mystik des Widerstands gegen eine Welt, in der Menschen behandelt und mißhandelt werden ‚etsi Deus non daretur‘.“4
Gerade in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Situation braucht es solch eine „Mystik der Nachfolge“ und der „offenen Augen“ und v.a. diejenigen, die aus ihr leben und handeln: Menschen, die allen Widerständen zum Trotz und mit einer gewissen Unbeugsamkeit in der konkreten Anerkennung Anderer die unbedingte, grenzenlose und ungeschuldete Anerkennung Gottes bezeugen.
1 | Teresa von Avila, Die innere Burg. Zürich 1989, 101. |
2 | D. Sölle, Die Hinreise. Zur religiösen Erfahrung. Texte und Überlegungen. Stuttgart 91988, 1. |
3 | M. Delbrêl, Die Liebe ist unteilbar. Freiburg i.Br. 22002, 71. |
4 | J.B. Metz, Zum Begriff der neuen Politischen Theologie. 1967-1997. Mainz 1997, 97f. |
Alois Kothgasser SDB | Salzburg
geb. 1937, em. Erzbischof von Salzburg, Mitglied der Salesianer Don Boscos
Mit Liebe und Güte Freunde gewinnen
Die Sendung des Johannes Bosco
„Ich bin immer vorangegangen, wie Gott es mir eingab und die Umstände der Zeit es erforderten.“1 Dies bekannte der Turiner Priester, Ordensgründer und Erzieher Johannes Bosco (1815–1888) von sich, der neben Adolph Kolping u.a. zu den großen Sozialaposteln des 19. Jhs. zählt. Der 200. Geburtstag des Ordensgründers, von dessen geistlicher Familie 2015 auf vielfältige Weise gefeiert, ist Anlass, die Leitmotive der Sendung Don Boscos zu rekapitulieren.
Die Umstände der Zeit
Im Geburtsjahr Don Boscos 1815 endete der Wiener Kongress. Dem Untergang Napoleons folgte ein neuer Aufgang der europäischen Staaten unter der Dominanz Österreichs. Restauration und Romantik werteten den Glauben als Stabilisierungsfaktor der Gesellschaft und die religiösen Traditionen und Gefühle der Völker auf. Das enge Zueinander von Thron und Altar rief Initiativen hervor, welche Religionsfreiheit und die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat zum Ziel hatten. Wirtschaftliche und politische Krisen wie der Krieg zwischen Österreich und Piemont 1859 und das Ende des Kirchenstaates im Jahr 1870 kennzeichneten die Zeit ebenso wie antikirchliche Aktivitäten.
Johannes Bosco war geprägt von dem fruchtbaren Hügelland von Asti, aus dem er stammte. Weinberge, Mais- und Getreidefelder, Rinder- und Schafweiden kennzeichneten die Landschaft. Die Bevölkerung war mit Realismus wie mit Sinn für Arbeit und Familie ausgestattet.2 Nach dem frühen Tod des Vaters hielt die Mutter mit Hausverstand, Menschenkenntnis, Fleiß und tiefem Glauben die Familie zusammen. Das Leben in Gottes Gegenwart, die Mitfeier des Kirchenjahres und die Sorge für die anderen wurden Johannes mitgegeben: „Solange ich klein war“, schrieb Don Bosco, „lehrte mich meine Mutter beten. Sie ließ mich morgens und abends mit meinen Brüdern niederknien, und so beteten wir gemeinsam.“3 Früh lernte er aber auch Armut, Entbehrung und Arbeit kennen.
Ein wegweisender Traum
Zu seinen frühesten und bleibenden Erinnerungen zählt der „Berufungstraum“, der sich im Alter von 9 Jahren ereignete und sich in jeweils unterschiedlichen Formen 18 Jahre hindurch wiederholte: „Mit neun Jahren hatte ich einen Traum, der mir mein ganzes Leben im Gedächtnis blieb. Mir schien, als wäre ich in der Nähe unseres Hauses, in einem weiten Hof, wo eine große Schar von Buben spielte. Einige lachten, nicht wenige fluchten. Als ich das Fluchen hörte, stürzte ich sofort auf sie und suchte sie mit Schlägen und Schimpfen zum Schweigen zu bringen. In diesem Augenblick erschien ein ehrwürdig aussehender, vornehm gekleideter Herr. Sein Gesicht leuchtete so stark, daß ich es nicht anschauen konnte. Er rief mich beim Namen und sagte: ‚Nicht mit Schlägen, sondern mit Güte und Liebe wirst du sie als Freunde gewinnen‘.“ In weiterer Folge wird Johannes „neben dem Herrn“ auf „eine Frau von majestätischem Aussehen“ verwiesen. Inzwischen haben „Ziegen, Hunde, Katzen, Bären und einige andere Tiere“ die Stelle der Bubenschar eingenommen. Die „Lehrmeisterin“ erklärt ihm: „Siehst du, das ist dein Arbeitsfeld. Werde demütig, tüchtig und stark, und was du jetzt an diesen Tieren geschehen siehst, sollst du für meine Kinder tun“: Sie mögen „anstelle der wilden Tiere sanfte Lämmer“ werden.4 Gewiss könnte die Traumforschung aus heutiger Sicht Manches zur Auslegung dieses Traumes beitragen. Tatsache ist, dass Johannes Bosco beide vorkommenden Gestalten, obwohl nie ausdrücklich mit Namen genannt, stets auf Christus und Maria hin deutete. Hier finden sich die Grundelemente seiner Sendung.
Theologische Grundlinien
Don Bosco sah die konkrete Situation der verwahrlosten Jugendlichen in Turin: viele ihrer ländlichen Heimat entwurzelt, oft arbeitslos, kaum Bildungschancen, vielen Gefahren ausgesetzt, unwissend in religiösen Fragen. Der 1841 geweihte Neupriester, dem eine glänzende kirchliche Karriere offengestanden hätte, trifft eine „Option für die Armen“ und wendet sich mit voller Energie den Schwachen zu. Er war von der Notwendigkeit und Wirkkraft des priesterlich-apostolischen Einsatzes zutiefst überzeugt. Er glaubte an die von tiefem Verantwortungsbewusstsein getragene Mitarbeit des Menschen am Heilswirken Gottes, d.h. theologisch gesprochen an die universale Erlösung sowie an die Notwendigkeit und Dringlichkeit