etwas Wissbarem. Es erfüllt das Leben mit etwas Unpersönlichem, einem Numinosum … Der Mensch muss spüren, dass er in einer Welt lebt, die in einer gewissen Hinsicht geheimnisvoll ist, dass in ihr Dinge geschehen und erfahren werden können, die unerklärbar bleiben … Das Unerwartete und das Unerhörte gehören in diese Welt“ (C. G. Jung, 1990, 358).
Aber bei all diesen Überlegungen bleibt die Frage: Inwieweit sind wir überhaupt frei in unseren Entscheidungen? Gibt es nicht viele Lebensbereiche, die uns vorgegeben sind? Wir werden in einem Kontinent, in einem Land, in einer Gesellschaft und Kultur, in einer Familie geboren, die wir nicht wählen konnten. Unsere Gene enthalten physische und psychische Anlagen, die zunächst einfach da sind und die sich dann weiterentfalten wie: Gesundheit, Begabungen, Intelligenz, oder Persönlichkeitsprofil. Die pränatalen und perinatalen Elternbotschaften und die Vorstellungen und gesellschaftlichen Normen unserer Umgebung haben uns ebenso geprägt wie die Erwartungen, die z.B. in der Familie, in der Schule und im Beruf an uns gestellt wurden.
Im Neuen Theologischen Wörterbuch heißt es: „Grundsätzlich ist der Mensch von allem anderen in seiner Umwelt dadurch unterschieden, dass der Naturzusammenhang, in dem er existiert wie alles andere, ihn im Vollzug seines menschlichen Wesens nicht durchgängig und restlos determiniert. Das heißt: Er ist ins ‚Offene‘ gesetzt; es ist ihm aufgegeben, selbst die verschiedenen geschichtlichen Möglichkeiten zu verwirklichen (durch Wahl der Lebensform, des Berufs, durch Arbeit usw.) und darin seine Wesensausprägung zu finden“ (Vorgrimler, 197f.). So gibt es viele Bereiche in unserem Leben, die uns vorgegeben sind und in denen wir uns eingeschränkt fühlen. Und doch sind wir von unserem Wesen her frei und grundsätzlich autonom darin, wie wir Begrenzungen und Einschränkungen gestalten. Das beginnt mit unseren kleinen Entscheidungen im Alltag, wenn wir uns entschließen, in die Stadt zu gehen oder nicht, einen Besuch zu machen oder nicht, einen Anruf zu machen oder nicht, den Arzt aufzusuchen oder nicht usw. Das gilt auch für grundsätzliche Entscheidungen.
Für Romano Guardini ist der Mensch frei und bestimmt selbst sein Schicksal: Denn immer wieder „bestimme ich das scheinbar objektiv an mich Herantretende mit, wähle aus den Möglichkeiten des Geschehens einzelne heraus, rufe und lenke sie. So ist das Schicksal das aus der Fremdheit der Welt über mich Kommende, anderseits wieder das Verwandte, ja Eigene …“ (Guardini, 1948, 215).
Paul Tillich schreibt zu demselben Thema: Ich muss mich entscheiden, ob ich mich dem Schicksal überlasse oder nicht. Mit dieser Entscheidung trage ich zur Verwirklichung meines Schicksals bei, das für mich dann nicht länger „eine Macht ist, die entscheidet, was mir passiert. Dann bin ich es selbst, so wie ich bin, wie ich von der Natur, der Geschichte und mir selbst geformt wurde. Mein Schicksal ist die Basis meiner Freiheit; meine Freiheit trägt dazu bei, mein Schicksal zu formen“ (Tillich, 216).
Uns sind also viele Begabungen vorgegeben, doch was wir aus ihnen machen, das hängt auch von uns ab. Für die Einzelnen kommt es darauf an, auf der Basis der Vorgegebenheiten, des Schicksals oder des bisher So-geworden-Seins, die Entscheidungen zu treffen, die ihnen möglich sind. „Wir entscheiden nicht über die politischen und kulturellen Gegebenheiten, in die wir hinein geboren werden, doch wir sind ihnen nicht einfach nur ausgeliefert, sondern können durch Wahlen, Aktionen usw. auf sie reagieren und damit unsere Freiheit umsetzen“ (Müller, 31).
Darüber hinaus gibt es eine existentielle Freiheit, die im Innern eines jeden Menschen verankert ist. May nennt sie die innere Freiheit, die von den äußeren Einschränkungen nicht tangiert wird und die sich in unserer Einstellung zu vorgegebenen Situationen zeigt. Der Benediktiner Sales Hess schreibt in seinem Buch „Dachau – eine Welt ohne Gott“ über seine Erfahrungen im KZ Dachau: „Was konnten diese Menschen ohne Gott uns antun? Sie konnten wohl den Leib aushungern und töten, aber der Seele konnten sie nicht schaden“ (Hess, 124). Dieser innerste Teil des Menschen, die Seele, ist unzerstörbar und für gläubige Menschen eingebettet und aufgehoben in einem tiefen Gottvertrauen. Ohne äußere Freiheit kann ein Mensch leben, aber nicht ohne die innere, existentielle Freiheit. „Bin ich in Berührung mit dem Zentrum meiner absoluten Freiheit, die grenzenlos und unverfügbar ist, erwächst mir daraus eine große Unabhängigkeit. Und das inmitten einer Welt, einer persönlichen und gesellschaftlichen, die mich an tausend Stellen und Orten einschränkt, in Freiheit zu handeln. Doch diese Welt vermag den Bereich meiner existentiellen Freiheit nicht zu berühren, gar zu beeinflussen“ (Müller, 143).
Ebenso wichtig ist, dass ich nicht in der Auflehnung gegen mein Schicksal verharre, sondern dass ich mich mit ihm auseinandersetze, dass ich versuche, einen Sinn darin zu entdecken, und dann gleichsam mit dem Schicksal kooperiere. Denn der „Bestand der jeweiligen Situation wie der Zusammenhang des Lebensganzen sind ja nicht starr. Sie bestehen (…) nicht nur aus Notwendigkeiten, denen der Mensch sich fügen muss, sondern auch aus Tatsachen, an denen die Freiheit des Menschen ansetzen kann: aus Kräften, die er lenken, aus Zuständen, die er formen, aus Fließendem, das er zusammenhalten, aus Hindernissen, die er überwinden kann“ (Guardini, 227).
Wenn wir unserem Schicksal nicht ohnmächtig ausgeliefert sind, sondern eine äußere und innere Freiheit haben, dieses Schicksal mitzugestalten, dann beginnt aber auch unsere Verantwortung für unser Schicksal. Dies bedeutet, dass wir unser vergangenes Leben anschauen, wer und was uns negativ und positiv geprägt und geformt hat, welche unbewussten und bewussten Elemente und Vorstellungen unser Leben bis heute beeinflussen. Sonst besteht die Gefahr, dass wir von dem in unserem Leben Vorgegebenen unbewusst bestimmt werden und so letztlich mehr gelebt werden als selbstbestimmt leben. Wir haben die Freiheit und Verantwortung, uns dieser Aufgabe zu stellen, obwohl uns „angesichts dieser Freiheit schwindelig werden kann“ wie Kierkegaard einmal sagt. Doch es bleibt uns letztlich nichts anderes übrig, als uns dieser Verantwortung zu stellen. Selbst wenn wir uns nicht entscheiden, haben wir die Entscheidung getroffen, uns nicht zu entscheiden, und wir haben „die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, zu verantworten. Wir können dieser Verantwortung, dieser Freiheit, nicht aus dem Wege gehen“ (Müller, 44).
In diesem Wechselspiel von Schicksal und Bestimmung sowie Freiheit und Verantwortung stellt sich die Frage nach einer Instanz, die unsere Wünsche, Überlegungen und Erkenntnisse in Handeln umsetzt und zu Taten macht. Dabei schließen wir die deterministische Lösung von S. Freud aus, wo das Unbewusste mehr oder weniger unser Leben bestimmt und für die Freiheit kein Raum ist. Wir nennen diese Instanz in uns „Zentrum des Willens“, „Sitz der Willenskraft“ oder „geistige Instanz“. Im Willen wird die Fähigkeit des Menschen verwirklicht, „als Person ein als Wert erkanntes Ziel aktiv anzustreben, und falls dieses Ziel mit anderen möglichen Zielen kollidiert, diese in Freiheit abzulehnen oder zurückzustellen“ (Vorgrimler, 679f.).
So ist der Wille die Triebfeder unseres Handelns. Die Willenskraft ist es, mit der wir unser Leben gestalten und verändern können. Bevor wir aber unsere Willenskraft einsetzen und für die Gestaltung unseres Lebens nutzen können, müssen wir wissen, was wir wollen, welche Ziele wir für unser Leben haben. Wenn mein Wunsch klar ist, kann mein Wille mein Tun und Handeln so anregen und lenken, dass dieses Ziel erreicht wird. Rollo May beschreibt das Verhältnis von Wunsch und Wille so:
„Dem Wunsch verdankt der Wille die Wärme, den Inhalt, die Einbildungskraft, das Spielerische, die Frische und den Reichtum. Der Wunsch verdankt dem Willen die Selbststeuerung und die Reife. Der Wille schützt den Wunsch und ermöglicht es ihm weiter zu existieren, ohne zu große Risiken einzugehen. Aber ohne Wunsch verliert der Wille seine Vitalität und Lebensfähigkeit … Wenn man nur Wille und keinen Wunsch hat, dann hat man es mit dem vertrockneten, viktorianischen, neopuritanischen Menschen zu tun. Wenn nur ein Wunsch und kein Wille vorhanden sind, dann hat man den zwanghaften, unfreien, kindlichen Menschen vor sich, der als infantil gebliebener Erwachsener zum Roboter werden kann“ (May, 1969, 218).
Es erfordert Mut und Vertrauen, sich auf diese Auseinandersetzung mit dem Schicksal, mit dem eigenen Leben einzulassen: mit allem, was mich ausmacht, meinem bewussten und unbewussten Ich, meinem Selbst, mit dem inneren Kern meiner Person. Das wird am ehesten gelingen, „wenn ich aus der Tiefe meines Seins heraus in Beziehung trete zu meinem Leben. Ich weiß dann um meine Angst vor der Freiheit, ich blende mein Schicksal und meine Bestimmung nicht aus meinem Leben aus, sondern gehe mit diesem Wissen und dieser Erfahrung auf mein Leben zu … Wir bleiben nicht länger an der Außenseite stehen, betrachten