DER HOMÖOPATHIE
Die Geschichte der Homöopathie ist einerseits geprägt vom Kampf nach Anerkennung, andererseits aber von dem Bedürfnis, diese aufkommende Therapiemethode bereits im Keim zu ersticken.
Samuel Hahnemanns Homöopathie
Die Anfänge der Homöopathie sind so tief mit der Person ihres Gründers, Christian Friedrich Samuel Hahnemann, verwoben, dass man nicht umhinkommt, ein paar Worte über dessen Lebensweg zu verlieren. Samuel Hahnemann wurde im April 1755 in Meißen geboren. Sein Vater, ein Porzellanmaler der berühmten Manufaktur zu Meißen, ermöglichte ihm eine humanistische Bildung an der Schule St. Afra. Hahnemann verfügte bereits während seiner Schulzeit über eine außergewöhnliche Sprachbegabung und verdiente sich während seines Studiums mit Nachhilfeunterricht und Übersetzungsarbeiten seinen Lebensunterhalt. Er beherrschte Griechisch, Latein, Englisch, Französisch, Italienisch, Hebräisch und Arabisch. Mit zwanzig Jahren begann er an der Universität Leipzig Medizin zu studieren, zog dann nach Wien und verfasste knapp fünf Jahre später seine Doktorarbeit in Erlangen. Danach vertiefte er im Labor der Mohrenapotheke zu Dessau sein Wissen über die Chemie. Während dieser Zeit lernte er seine erste Frau Henriette kennen, mit der er in der Folge elf Kinder bekam. Frustriert vom Versagen der Medizin seiner Zeit gab er aber recht bald seine ärztliche Praxis auf und hielt sich und seine Familie in den Folgejahren hauptsächlich mit Übersetzungen über Wasser. Erst im Alter von fünfunddreißig Jahren machte er den bereits erwähnten Versuch mit der Chinarinde, den er sechs Jahre später zusammen mit dem Ähnlichkeitsprinzip veröffentlichte. 1796 publizierte Hahnemann in Hufelands Journal seine Idee über eine neue Heilweise: Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arznei-substanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen. Im Rückblick gilt dies als offizielle Geburtsstunde der Homöopathie.
Bereits in den Jahren zuvor hatte es sich Hahnemann allerdings mit der Ärzteschaft gründlich verscherzt, indem er es wagte, mit dem Leibarzt des Kaisers den gesamten Berufsstand öffentlich zu kritisieren, nachdem Leo II. von Österreich nach einem Aderlass starb. Hahnemann schrieb dazu in einem Artikel: »Die Kunst fragt, wie man … einem abgemagerten, durch Anstrengung des Geistes und langwierigem Durchfall entkräfteten Manne viermal binnen 24 Stunden den Lebenssaft abzapfen dürfe, immer, immer ohne Erleichterung. Die Kunst erblasst.«
Heute wissen wir natürlich, dass Hahnemann mit seiner damaligen Kritik Recht hatte. Doch sein Berufsstand verzieh ihm diese Vorwürfe nie und erschwerte ihm von da an das Leben, wo immer es möglich war. Medizinhistorikern zufolge dürfte der häufige Aderlass zu Hahnemanns Zeit mehr Patienten geschadet als geholfen haben. Deshalb verschwand diese Methode auch später nahezu vollständig aus dem schulmedizinisch-therapeutischen Repertoire. Hahnemann war also schon hier seinen Kollegen – jeder Kritiker muss ihm das eigentlich zugestehen – einen großen Schritt voraus. Was hätte er wohl heute über die häufig angewandten Chemotherapien in der Krebsbehandlung zu sagen? Würde er nicht vielleicht ganz ähnliche Worte finden? Und würde diese Kritik nicht sogar noch durch die neuen epidemiologischen Daten der Uni München zur Zehnjahres-Überlebensrate bei Krebserkrankungen untermauert, die jetzt leider den fehlenden bzw. gar rückläufigen Nutzen durch Chemotherapien bei Tumoren von Darm, Brust, Bronchien und Lungen belegen?1
Bis 1804 führte Hahnemann ein rastloses Leben und zog kreuz und quer durch Deutschland. In Torgau kaufte er sich endlich ein kleines Haus und ließ sich für fünf Jahre nieder. 1807 nannte er seine neue Heilmethode zum ersten Mal Homöopathie und drei Jahre später veröffentlichte Hahnemann sein Lehrbuch der Homöopathie, das Organon der rationellen Heilkunst.
Das Buch sei einer der ersten Versuche in der Medizingeschichte, so schreiben die Wissenschaftler und Ärzte Bellavite und Signorini, die Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten von Gesundheit und Krankheit durch rationelles wissenschaftliches Vorgehen und Experimentieren zu entschlüsseln. Auch in medizinischen Fachkreisen sei diese Tatsache bis dahin geflissentlich übersehen worden. Die im Organon entwickelten Ideen dürften aber viel zu fortschrittlich für den primitiven Zustand der Schulmedizin zur damaligen Zeit gewesen sein. Selbst über die Jahrhunderte hinweg habe es nur wenige aufgeschlossene Geister in der konventionellen Medizin gegeben, die die Homöopathie wirklich verstanden hätten. Den meisten sei es einfach nicht möglich gewesen, Erkenntnisse und Einsichten zu akzeptieren, die dem Wissen ihrer Zeit so weit voraus waren.2
Von 1811 bis 1821 lebte Hahnemann in Leipzig, wo er nach seiner Habilitation an der dortigen Universität Vorlesungen über die Homöopathie hielt. In dieser Zeit entstand die Reine Arzneimittellehre, in der er die Ergebnisse der bis dahin getätigten Arzneimittelprüfungen festhielt. Nach mehr oder weniger erfolgreichen Jahren musste er die Stadt wieder verlassen, da er sich mit der dortigen Apothekerschaft überworfen hatte.
Hahnemann legte sich also auch mit dem Pharmagewerbe seiner Zeit an. Das lag vielleicht unter anderem daran, weil er durch seine Frau, Stieftochter eines Apothekers, Einblick in die Geschäftspraktiken hatte. Er bestand jedenfalls darauf, seine Arzneimittel selber herzustellen und abzugeben. Hahnemann traute den Pharmazeuten offensichtlich nicht über den Weg und die Geschichte ist voller Beispiele, die ihm Recht geben sollten. Jene Anekdote ist besonders amüsant, in der ein Homöopath »Madaroma fraudulosus« aufs Rezept schrieb und eine Apotheke prompt das Rezeptierte verkaufte. Auf dem Etikett dieses »homöopathischen« Mittels, das es übrigens überhaupt nicht gibt, war auf Lateinisch zu lesen: »Betrügerischer Glatzkopf«. Die Apotheke hatte – für gutes Geld – einfach nur Milchzuckertabletten unter diesem zugegebenermaßen hinterhältigen Fantasienamen abgegeben. Trotz alledem blieben Homöopathika in Deutschland immer apothekenpflichtig, sprich: nur dort erhältlich. So war Hahnemann des Öfteren gezwungen gewesen, Hals über Kopf umzuziehen, weil die Apothekergilde ihn wegen Selbstdispensierung seiner Mittel gerichtlich verfolgen ließ. In Pharmakreisen jener Zeit war man zudem mit der neuen Therapie unzufrieden, da sich mit der Verordnung von immer nur einer winzigen Dosis des jeweiligen homöopathischen Mittels nicht viel Geld verdienen ließ. Es ging also schon damals vorrangig um den Profit.
Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen gestattete Hahnemann jedoch, sich in Köthen niederzulassen und dort ohne Einschränkungen der Arzneiherstellung zu praktizieren. Hier blieb der Homöopath bis 1835. Fünf Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau zog Hahnemann dann nach Paris, wo er acht Jahre später nach einem erfüllten und abwechslungsreichen Leben starb. Auf seine letzten Jahre werde ich an anderer Stelle noch eingehen.
Dass Hahnemann ständig dabei war, seine Heilmethode weiterzuentwickeln, soll kurz an den Potenzen und am Einsatz von Doppelmitteln verdeutlicht werden. Während er relativ schnell begann, seine Mittel zu verdünnen, um starke Reaktionen zu vermeiden, sprach er erst dreißig Jahre nach der ersten Veröffentlichung des Ähnlichkeitsprinzips von den »Potenzen« und dem »Potenzieren«. Dabei wird nach jedem Verdünnungsschritt das Mittel kräftig verschüttelt. Wie zu sehen sein wird, ist dieses Aufbringen von kinetischer Energie zwischen jeder Verdünnungsstufe immens wichtig für die Wirksamkeit der Hochpotenzen. Die Dezimal- (D-) und Centesimal- (C-) Potenzen sind bis heute die gängigsten Verdünnungsstufen. Für eine D1- (C1-) Potenz wird ein Tropfen mit neun (99) Tropfen Alkohol verdünnt und danach kräftig verschüttelt. Für die D2 (C2) werden diese Schritte wiederholt. Die D-Potenzen entsprechen somit einer Verdünnung von 1:10, die C-Potenzen von 1:100.
Es wird zwar immer wieder behauptet, Hahnemann sei zeit seines Lebens vehement gegen die Anwendung von mehreren homöopathischen Mitteln gleichzeitig gewesen, doch das ist nicht wahr. Mittlerweile ist bekannt, dass er in Paris sehr wohl Doppelmittel anwendete und dass er vorhatte, in der fünften Auflage seines Organons einen entsprechenden Paragrafen einzufügen, was ihm aber von Verleger und Freunden ausgeredet wurde. Der Grund: Die Doppelmittel hätten zu sehr an die Arzneimischungen der Allopathen erinnert und die Lehre der Homöopathie verwässern können. Aus den in der Zwischenzeit veröffentlichten Behandlungsprotokollen Hahnemanns geht jedoch unzweifelhaft hervor, dass er selbst gegen fast jede seiner eigenen Regeln verstoßen hat, um für den einzelnen Patienten die beste Therapie zu ermöglichen.3 Das zeigt: Nicht so sehr Dogmatismus, sondern praktische Erfahrungen am Krankenbett standen für ihn im Vordergrund bei der therapeutischen Anwendung seiner Homöopathie.
Zu Hahnemanns Lebzeiten verbreitete sich die Homöopathie schnell. Grund dafür war sicherlich die extrem rückständige Medizin