Holzrahmen mit Maschendraht. Der Mann hinter dem Steuer stieg aus, öffnete beide Flügel und fuhr aufs Grundstück, direkt vor die Feldscheune, die dort, umringt von Obstbäumen, mitten auf dem Gelände stand. Ein weiteres Mal öffnete er ein hölzernes Tor und ließ den Wagen in dem Gebäude verschwinden. Kurz darauf wanderte der Strahl einer Taschenlampe durchs Innere der Scheune. Der Mann fand den Lichtschalter. Mehrere Lampen begannen zu flackern und verbreiteten gedämpfte Helligkeit, bedingt durch Staub und Dreck, der auf der Beleuchtung hafteten. Holzgebälk und eine gemauerte Wand wurden sichtbar, an der eine hölzerne Werkzeugbank und ein Metallspind standen.
Er öffnete den Kofferraum des Wagens. Traurig und fast mitleidig blickte der Mann auf die ohnmächtige junge Frau und in das von blonden Haaren umrahmte blasse Gesicht. »Keine kann mir entkommen«, murmelte er und zog aus der Jackentasche seine schwarzen Handschuhe und einen dunkelblauen Seidenschal. Mit unbewegter Miene zog er die Handschuhe an und beugte sich in den Kofferraum. Den Seidenschal band er der jungen Frau fast liebevoll um den Hals. Anschließend nahm er von der Werkbank mehrere Kabelbinder und fesselte seinem Opfer Hände und Füße. Plötzlich verharrte er in der Bewegung und lauschte. Ihm war es, als wenn er ein Motorengeräusch gehört hätte. Regungslos stand er da, aber alles blieb still. Die Sache mit dem eingebildeten Verfolger ließ ihn erneut misstrauisch werden. Er verschob sein Vorhaben auf später. Eilig verschloss er der Frau mit einem Klebeband den Mund, dann klappte er leise den Kofferraum zu und schaltete das Licht aus. Es wurde stockdunkel in der Scheune. Trotzdem fand sich der Mann blindlings zurecht. Von der Werkbank nahm er einen schweren Schraubenschlüssel. Vorsichtig öffnete er das Tor einen Spalt und spähte hinaus. Mit unruhigen Blicken starrte er hinaus in die Nacht, bis er glaubte etwas gesehen zu haben. Eine Bewegung, einen huschenden Schatten hinter dem Zaun auf dem Feldweg. Vielleicht spielten ihm auch die Fantasie und der aufkommende Herbstnebel einen Streich? Verursachten die dichter werdenden Nebelschwaden diese verdächtigen Erscheinungen? Um sicher zu gehen, musste er nachsehen. Geräuschlos schob er das schwere Holztor weiter auf die Seite und trat nach draußen. Seine Gestalt verschmolz mit der Dunkelheit. Angespannt lauschend verharrte er an der Scheunenwand. Mit den Augen versuchte er die Nacht und ihre tiefe Schwärze zu durchdringen. Zwischendurch hielt er immer wieder kurzzeitig den Atem an und lauschte. Jedes noch so kleine Geräusch ließ ihn aufschrecken. Sein Herz pochte bis zum Hals. Trotz der nächtlichen Kühle bildeten sich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn. Verdammt, war heute etwas schiefgelaufen? überlegte er angestrengt. Dabei fixierte er weiterhin die Umgebung, bereit, auf jeden Laut und jede Bewegung zu reagieren. Dann vernahm er schleifende Schritte im feuchten Gras. Es raschelte leise. Füße berührten Laubblätter. Der Mann war sich nicht sicher, von welcher Seite die Geräusche kamen, hier gab es überall Bäume und Blätter. Er entschied sich weiter bewegungslos stehen zu bleiben und der Dinge zu harren, die da kommen würden. Auf jeden Fall wollte er sich nicht bloß stellen lassen. Der unbekannte Neugierige war dabei, sein Geheimnis zu entdecken, das durfte nicht sein. Jetzt hatte er seinen Verfolger lokalisiert. Ganz vorsichtig ging er drei Schritte in die andere Richtung vom Tor weg. Dann tauchte plötzlich eine dunkle Silhouette auf, die sich zögernd der Scheune näherte. Dicht vor dem Gebäude verharrte die Gestalt. Sie schien zu überlegen, vielleicht auch nur zu zögern oder zu horchen. Bevor der Herangeschlichene das Herannahen / das Näherkommen des anderen bemerkte, machte dieser zwei, drei schnelle Schritte und schlug mit dem Schraubenschlüssel zu. Ein dumpfes Geräusch, ein kurzes Stöhnen, ein zweites Geräusch, die Gestalt sank zu Boden, dann war es wieder Totenstille, als wenn die Natur ringsherum den Atem anhalten würde.
Einen gehörigen Schreck in der Morgenstunde erlebte am Montagmorgen eine Spaziergängerin in Hohenfeld. Wie jeden Morgen wollte sie mit ihrem Vierbeiner an dem kleinen Teich vorbei in die Felder Richtung Sickershausen. Die Hände tief in den Jackentaschen vergraben spazierte sie durch den kühlen Frühnebel, der zusammen mit dem fallenden Laub den Herbst ankündigte. Nur mühsam setzte sich das aufkommende Tageslicht gegen die feuchten Dunstschwaden durch. Trotz der eingeschränkten Sicht sah sie durchs Geäst an dem Pavillon in der Nähe des Wassers etwas Helles leuchten. Neugierig näherte sie sich, den Hund an der Leine haltend, der genauso interessiert schien und kräftig zog. Beim Näherkommen erkannte sie schließlich einen menschlichen Körper in sitzender Stellung, der mit dem Rücken an dem Pavillon lehnte. Zuerst sah es so aus, als wenn sich dort jemand vor Erschöpfung niedergelassen hätte. Einige zögernde Schritte später blickte sie in das fahle, totenbleiche Gesicht einer jungen Frau. Sie war nur mit Bluse und Jeans bekleidet. Um den Hals trug sie einen dunkelblauen Seidenschal. Es dauerte einige Sekunden, bis die Spaziergängerin begriff, dass sie vor einer Toten stand. Ihr lief ein gehöriger Schauer über die Haut, sie schlug die Jacke noch enger um sich. Eilig kramte sie ihr Handy aus der Jackentasche und wählte den Notruf.
Altlasten
Die beiden jungen Kommissare Blume und Rautner betraten gleichzeitig das Büro. Ihr Chef, Hauptkommissar Theo Habich, war schon anwesend und telefonierte. Gerade als sie ihre Jacken über die Lehnen ihrer Bürostühle hängen wollten, gestikulierte Habich, mit dem Telefon am Ohr, energisch. Die beiden hielten in ihrer Bewegung inne und schauten fragend auf ihren Chef.
»Ihr braucht euch nicht auszuziehen und hinzusetzen, wir haben eine Tote in Hohenfeld bei Kitzingen«, erklärte der Hauptkommissar, während er das Telefon auf die Anlage legte.
»Nicht mal einen Kaffee bekommt man gegönnt«, maulte Rautner und klemmte sich seine Jacke unter den Arm.
»Dafür hattest du ein freies Wochenende ohne Störung. Das ist doch auch etwas wert. Es sei denn, du bist anderweitig gestört worden«, grinste Habich amüsiert. »Aber das ist dein privates Problem.«
»Es war ein perfektes Wochenende, ich hatte alles im Griff.«
»Nach viel Schlaf siehst du trotzdem nicht aus«, stichelte Jasmin Blume.
»Schlafen kann ich immer noch, wenn ich mal in Theos Alter komme und sonst nichts mehr mit meiner Freizeit anzufangen weiß«, konterte Rautner.
Der fünfzigjährige stämmige Hauptkommissar klopfte Rautner beim Hinausgehen auf die Schulter und entgegnete locker: »Das wird auch dann dringend notwendig sein.«
»So viel fehlenden Schlaf kann Chris gar nicht nachholen, selbst wenn er sich zwei Wochen in Tiefschlaf legen ließe«, stellte Jasmin lachend fest.
Die drei pflegten untereinander einen lockeren, freundschaftlichen Umgangston und duzten sich mittlerweile untereinander. Auch das »Nesthäkchen« Jasmin – die Jüngste im Team – war inzwischen voll integriert. Seit ihrem Abenteuer auf dem Schwanberg, wo man sie in einer Höhle gefangen gehalten hatte, waren die Kollegen noch fürsorglicher ihr gegenüber, obwohl sie es zu verbergen suchten.
»Okay, okay! Das war euer Wort zum Montag, das ich über mich ergehen lassen musste«, gab sich Rautner geschlagen, »aber ein Coffee to go muss doch drin sein, oder?«
»Aber beeilt euch. Ich nehme meinen Wagen und fahr vor«, nickte der Hauptkommissar und beschrieb den beiden den Weg zum Fundort der Leiche.
Habich rauschte in seinem BMW X3 davon, während Rautner und Blume einen kleinen Umweg zu einem Kaffeeshop machten.
Zwanzig Minuten später traf der Hauptkommissar am Weiher in Hohenfeld ein. Nur fünf Minuten danach erschien Kommissarin Blume mit einem fluchenden Kollegen auf dem Beifahrersitz, dessen Hosen durch Jasmins Fahrweise von Kaffeeflecken gezeichnet waren.
»Theo, dieses Weib ist verrückt. Sie fährt wie eine Irre. Und dazu in dieser Hasenkiste von Mini Cooper. Das ist Gemeingefährlich. Schau dir meine Klamotten an«, beschwerte Rautner sich lautstark.
»Ich habe dir gesagt, du sollst den Deckel auf deinen Becher machen«, verteidigte sich Jasmin achselzuckend und wand sich an Habich. »Er wollte nicht hören.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, ließ sie die beiden stehen, innerlich musste sie schmunzeln.
Mit den Worten »Wer nicht hören will, muss fühlen« zeigte auch Habich wenig Mitleid mit dem jammernden Kollegen.
Jasmin hatte sich derweil dem neuen Fall gewidmet und sprach mit den Kollegen der Kriminaltechnik, die schon an der Arbeit waren und mögliche Spuren sicherten.
»Was