dem Massaker in der alten Hauptstadt Nanking von 1937 in Chongqing installiert und empfing in Erwartung der baldigen Kapitulation Japans erste ausländische Besucher, die beim Wiederaufbau mithelfen wollten.
Hauptbahnhof Zürich, um 1940.
Im Februar 1945 hatte sich Schindler nach einer Besprechung mit Fritz Respinger entschlossen, sich der Delegation anzuschliessen. Respinger war früher Direktor der Aluminium-Walzwerke in Schaffhausen und sass aktuell im Verwaltungsrat der Aluminium Industrie Aktiengesellschaft (AIAG). Er hatte unter anderem ein Folienwerk in Schanghai aufgebaut. Weitere Mitglieder waren der Prokurist Dr. Willy Corti von der AIAG, Ingenieur Allemand von der MFO sowie Ingenieur Winkler von Escher Wyss, der in Kairo zur Gruppe stossen wollte. Als Verbindungsmann diente der chinesische Ingenieur Miao Chung-wa, der bei Sulzer ein langes Praktikum gemacht hatte und deshalb auch Deutsch sprach. In Schindlers Tagebuch taucht er in alter Schreibweise als «Herr Miau» auf.
Die Abreise im Frühling 1945 hatte sich immer wieder verzögert, weil keine Diplomatenpässe bewilligt worden waren. Für die normalen Dienstpässe wurden nicht weniger als elf Visa benötigt, um den Transit durch verschiedene Länder nach China zu bewerkstelligen. Auf das Visum aus China wartete die Delegation zweieinhalb Monate. Es zeigte sich, dass gewisse Kreise der Mission feindlich gesinnt waren. Später erfuhr Schindler, dass insbesondere ein wichtiger Wirtschaftsberater von Chiang Kai-shek den Verlust von Einfluss und Geschäftsmöglichkeiten fürchtete und deshalb den Schweizern möglichst viele Steine in den Weg legte. General Kwei Yun-chin, der die Delegation zur Reise nach Chongqing ermuntert hatte, pochte jedoch trotz der Schwierigkeiten auf die sofortige Abreise. Er war in der Regierung von Chiang Kai-shek offiziell Chef der chinesischen Militärmission in Deutschland und bekleidete weitere hohe militärische Ämter.
Das lange Warten in Paris
Kaum mit dem Schlafwagen in Paris angekommen, erwartete sie schon die nächste Komplikation. Respinger erfuhr in der schweizerischen Gesandtschaft, dass der chinesische Botschafter in Frankreich aufgrund von Meldungen aus Chongqing von einer Weiterreise nach China abriet. Offenbar waren die Chinesen beleidigt, dass die offizielle Schweiz noch keinen Gesandten nach Chongqing geschickt hatte. Trotz eines Briefs von Bundesrat Walther Stampfli an den chinesischen Wirtschaftsminister, in dem er eine baldige Entsendung versprach, gab der chinesische Botschafter nicht nach. Die Delegation habe den Charakter einer rein wirtschaftlichen Mission. Man könne sie jetzt nicht gut empfangen. Dies sei ein Befehl von Chiang Kai-shek, und General Kwei müsse gehorchen.
In diese Ungewissheit platzte am 7. Mai 1945 die Kapitulation Deutschlands. Schindler notierte: «Im Gare St Lazare ist das Publikum freudig erregt, aber nicht enthusiastisch. Abends durchziehen Gruppen von jungen Leuten singend die Boulevards. Man sieht Ehepaare auf der Strasse sich küssen. Gelegentlich wird die Marseillaise gespielt und jedermann steht entblössten Haupts und salutierend. Gedämpfte Freude, aber doch richtige Freude.» Am darauffolgenden Tag beobachtete er, wie Jeeps und militärische Fahrzeuge mit Frauen und Soldaten durch die Strassen fuhren und mit grossem Jubel begrüsst wurden. «US Soldaten, die zuviel getrunken haben, stürzen sich auf jede Frau, die in ihre Nähe kommt und nicht gerade uralt ist, und küssen sie schmatzend ab. Sie lassen sich das lachend gefallen, auch die Ehemänner der abgeküssten Frauen. Wenn man viel durchgemacht hat, versteht man andere Leute besser und nimmt kleinere Unarten weniger tragisch.»
In den nächsten Tagen trafen unterschiedlich lautende Meldungen ein. Es zeigte sich aber bald, dass die Delegation erst später im Jahr in China empfangen werden sollte. «Es ist schwierig, die Wahrheit zu erfahren. Wenn sich die Chinesen getäuscht haben, so wollen sie es nicht zugeben.» Da man weiter auf die offizielle Meldung von General Kwei wartete, blieb die Delegation vorerst in Paris. Schliesslich kaufte sich Schindler Rückreisetickets, um gleichentags zu erfahren, dass doch noch Hoffnung auf eine Weiterreise nach Chongqing bestand. «Ich wäre am Samstag wirklich gerne nach Hause gereist. Die neue Umstellung ärgert mich genau wie mich als kleiner Bub die Umstellung der Ferienpläne der Familie geärgert hat», notierte er entnervt. Zum Trost ging die Delegation ins Casino de Paris. Doch Schindler fand nicht sonderlich Gefallen daran: «Viel amerikanisches Militär, das bei besonderen Nacktheiten oder Anzüglichkeiten tierische Laute von sich gibt. Wenig Witz und Kunst, viel Kitsch und im zweiten Teil déshabillage [Striptease] in Serie.» Schon am nächsten Tag wurde der Delegation von chinesischer Seite erneut geraten, nun doch in die Schweiz zurückzukehren und nicht weiter darauf zu insistieren, jetzt in Chongqing empfangen zu werden. Neben den internen Machtkämpfen um Einfluss in wirtschaftlichen Belangen, der auf dem Rücken der Schweizer Delegation ausgetragen wurde, gab es einen weiteren Grund für die Verzögerung der Reise: Im Frühling 1945 fand in Chongqing der 6. Nationalkongress der Kuomintang, der Regierungspartei von Chiang Kai-shek, statt, sodass die Unterkünfte in der Stadt knapp und die Vertreter der Behörden mit wichtigeren Dingen beschäftigt waren.
Am 19. Mai 1945 traten sie die Rückreise an. Doch kaum wieder in Zürich, berichtete General Kwei, dass Chang Kai-shek nun doch signalisiert habe, dass sie in Chongqing willkommen seien. Schindler schickte die Pässe der Delegation erneut an das Politische Departement zur Erneuerung der Visa. Am 18. Juni 1945 starteten sie den zweiten Versuch. Respinger gehörte allerdings nicht mehr zur Delegation, weil sich das Verhältnis zwischen ihm und Schindler in Paris zusehends verschlechtert hatte. Unter anderem hatte sein ständiges Nörgeln an der Qualität seines Hotelzimmers beinahe zu einer diplomatischen Eskalation geführt. Schindler hatte der AIAG deshalb mitgeteilt, dass die Mitglieder der Delegation nicht unglücklich wären, wenn Respinger bei der zweiten Reise nicht dabei wäre. Die AIAG kam dem Wunsch nach und informierte den in Rom weilenden Respinger erst, als die Delegation bereits unterwegs war.
Gestrandet im heissen Karatschi
In Paris willigte die amerikanische Botschaft rasch in die Zuteilung von Flugplätzen ein. Nach Erhalt der nötigen Formulare flogen Schindler, Allemand und Miao in einer kleinen amerikanischen Militärmaschine nach Kairo. Die drei wurden in Armeebaracken mitten in der Wüste einquartiert. Schindler lobte die Betten und die Qualität der WC-Anlage («besser als im Ritz»), die allerdings für vier Personen ausgelegt war: «Man ist gezwungen, Handlungen des täglichen Lebens in [der] Öffentlichkeit durchzuführen, die man sonst sein Leben lang allein gemacht hat. […] Was würde wohl Herr Respinger dazu sagen?» Die Reise von Paris nach Kairo mit der amerikanischen Luftwaffe und das Leben auf dem US-Militärflughafen beeindruckten Schindler. Es scheine sich eine neue Art von Reisen auszubilden. Geschwindigkeit, Zweckmässigkeit sowie Sauberkeit zur Vermeidung von Krankheiten würden dabei eine ausschlaggebende Rolle spielen, meinte er. Mit Dr. Willy Corti und Ingenieur Winkler stiessen bei einem Mittagessen auch die restlichen Mitglieder zur Delegation, die beiden Herren wollten aber erst später weiterreisen. In der Folge gelang es Schindler, Plätze bis Karatschi in Britisch-Indien zu buchen. Am 26. Juni landeten er und Miao in der Hafenstadt, die zwei Jahre später Hauptstadt des neuen Staates Pakistan werden sollte. Untergebracht waren sie wiederum auf der US-Luftwaffenbasis.
Da vorerst die Bewilligung zur Einreise in China fehlte und auch Winkler und Corti auf sich warten liessen, sassen Miao, Schindler und der mittlerweile nachgereiste Allemand im heissen Karatschi fest. Während mithilfe von Telegrammen an alle möglichen Adressaten weiterhin versucht wurde, endlich die Bewilligung für den Weiterflug nach China zu bekommen, war Schindler mit Dingen beschäftigt, die ansonsten nicht in das Alltagsleben eines Grossindustriellen passten: Er las seit Jahren wieder einmal einen Kriminalroman, philosophierte mit seinen Begleitern über die Schwierigkeiten junger Ingenieure zu heiraten, wusch mithilfe von Miao eigenhändig seine Taschentücher und kaufte einen Tropenhelm in einem Laden, dessen Besitzer entweder unter einem Ventilator schlief oder die Kundschaft nur widerwillig und mit nackten Füssen bediente. Und selbst mit der Tatsache, dass hier niemand Schweizer Franken wechseln wollte, fand er sich nach anfänglichem Ärger ab.
Nachdem die Delegation bereits wieder drei Wochen unterwegs gewesen war, gelangte sie nach Chabua im Assam-Tal. Ein Überflug des Himalaja mit einer US-Maschine wurde ihnen aber definitiv verweigert. Mithilfe einiger chinesischer Funktionäre erhielten sie letztendlich Tickets