zu helfen. Dazu gehört es, über die Gründe für ungewollte Kinderlosigkeit aufzuklären, bei der Finanzierung künstlicher Befruchtung zu helfen, die Chancen für eine Adoption zu erleichtern und Frauen zu helfen, die sich früh – möglicherweise noch während des Studiums oder der Ausbildung – für ein Kind entscheiden.
Politik im Geiste des Evangeliums?
In seinem schönen Büchlein „Christ sein heißt politisch sein“ über den Mainzer Bischof von Ketteler schreibt Reinhard Marx, das biblische Gleichnis vom Barmherzigen Samariter sei nicht nur als Aufforderung zu verstehen, dem unter die Räuber Gefallenen zu helfen, sondern „auch politisch dafür zu sorgen, dass die Wege von Jerusalem nach Jericho sicherer werden. Die tätige Nächstenliebe zielt auch auf strukturelle Fragen der Gerechtigkeit“ (Marx 2011,12). Mit anderen Worten: Wer es mit der Bibel, namentlich mit der Bergpredigt und ihrem zentralen Gebot der Feindesliebe, ernst meint, der findet darin auch die Aufforderung, die Gesellschaft nicht nur im Kleinen, sondern im Großen und Ganzen humaner zu gestalten.
Nun ist in der Geschichte viel darüber gestritten worden, ob die Bergpredigt überhaupt politisch zu verstehen sei. Bismarck hat sich darüber lustig gemacht („Mit der Bergpredigt lässt sich kein Staat machen“), selbst Luther sah in ihr eher einen ‚Bußruf‘ als eine Handlungsanweisung fürs tägliche Leben. In der katholischen Tradition galt es als ausgemacht, dass sie sich an die auserwählten strengeren Christen, also etwa an die Orden, richtet, aber nicht an das ‚gemeine Volk‘ der Gläubigen.
Dem kann ich nicht folgen. Der Kern der Bergpredigt besteht doch darin, dass die Schwächeren einer Gesellschaft besondere Zuwendung und besonderen Schutz – eben Solidarität – verdienen. Sie erschöpft sich nicht in christlicher Mildtätigkeit, sondern braucht Strukturen und Gesetze. Sie formuliert einen Anspruch auf Solidarität für diejenigen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können.
Während meiner ‚Jugendjahre‘ in der Politik in den 1970er und 1980er Jahren wurde das Thema ‚Christ und Politik‘ am heftigsten in der Friedensfrage diskutiert. Franz Alt und Eugen Drewermann, um nur zwei prominente Vertreter der sogenannten Friedensbewegung zu nennen, forderten – immer mit dem Verweis auf das Gebot der Feindesliebe – einen radikalen Pazifismus. Er richtete sich damals gegen die Nachrüstung und richtet sich heute gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, im Kosovo oder vor Somalia.
Was ich in diesem Kapitel sagen möchte, gilt auch hier: Christliche Politiker stehen vor einem Dilemma, wenn sie eine friedlichere, gerechtere Welt mit unfriedlichen, militärischen Mitteln aufbauen wollen. Verfolgt man die öffentliche Meinung, so findet man dort das gleiche Hin-und-Hergerissen-Sein. Dass Deutschland nicht am Irak-Krieg teilnahm, ist überwiegend begrüßt worden, dass es sich nicht militärisch gegen Ghaddafi engagiert hat, wurde dagegen heftig kritisiert. Aus moralischer Perspektive wäre eine Intervention in Syrien mindestens ebenso gerechtfertigt wie in Libyen, politisch wäre sie ein durch nichts zu rechtfertigendes Abenteuer. Als es vor zehn Jahren um den Irak-Krieg ging, habe ich in einem Artikel geschrieben: „Als Christ ist man verpflichtet, für den Frieden einzutreten, auch um die Menschenwürde zu wahren. ‚Selig sind die, die Frieden stiften‘ heißt es in der Bergpredigt. ‚Frieden stiften‘ kann jedoch auch bedeuten, (militärisch) zu handeln, um Schlimmeres zu verhüten. Manch Unrecht auf der Welt wäre vermutlich nicht geschehen, wenn andere rechtzeitig eingegriffen hätten“ (Kues 2003,15). Wer so wie ich häufiger im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina zu Besuch ist, wo die Ludwig-Windthorst-Stiftung beim Aufbau einer Katholischen Akademie in Banja Luka hilft, der weiß, wie verheerend die Wunden heute noch sind, die der Balkan-Krieg der 90er Jahre geschlagen hat. Von einer echten Versöhnung zwischen orthodoxen Serben, katholischen Kroaten und muslimischen Bosniern sind wir weit entfernt. Und Europa muss sich fragen, ob das Schlimmste in einem Krieg, der allein in Bosnien 100 000 Menschen das Leben kostete, nicht hätte verhindert werden können, wenn früher und massiver eingegriffen worden wäre.
Ich bin froh, dass unser Verteidigungsminister sich ausdrücklich als Christ versteht und zugleich sehr zurückhaltend ist, wenn es um die ‚Umsetzung‘ des Christlichen in die Politik geht. Ihn stört es genau wie mich, wenn „Menschen ganz schnell wissen, welche Antwort die Bibel auf eine weltliche Frage gibt“. Thomas de Maizière glaubt nicht, dass es gerechte Kriege gibt. Damit stellt er sich skeptisch gegen eine jahrhundertealte christliche Überzeugung. Aber: „Kriege können gerechtfertigt sein. Die Anwendung von Gewalt führt in ein moralisches Dilemma, aber sie kann geboten sein, um Schlimmeres zu verhindern“ (in: Süddeutsche Zeitung vom 9. April 2012).
Auch in diesem Feld ist der Rat der Kirchen erwünscht, und es ist gut, dass er so ganz unterschiedlich ausfällt. Margot Käßmann hat sich – noch als Ratsvorsitzende der EKD – mit dem Satz, nichts sei gut in Afghanistan, zugunsten eines baldigen Rückzugs positioniert. Anders Franz-Josef Overbeck, der Bischof von Essen und katholische Militärbischof. Er setzt sich dafür ein, das Land nicht sich selbst zu überlassen: „Wir dürfen uns nicht aus Skepsis zurückziehen. … Das würde meinem Verantwortungsideal nicht entsprechen“ (in: Welt Online vom 24. Februar 2012). Möglicherweise sagen beide etwas Richtiges. Aber sie müssen, anders als wir Politiker, nicht entscheiden.
Die Attraktivität des christlichen Menschenbildes
Immer dann, wenn von „christlicher Politik“ die Rede ist, kommt das ‚christliche Menschenbild‘ als ihr Fundament ins Spiel. Was es damit auf sich hat, würde ich so übersetzen: Christlich ist zuallererst die Würde, die Unersetzbarkeit, der Wert jedes Einzelnen. Christen leiten ihn daraus ab, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. Die schlechteste christliche Gesellschaft – so hat es Heinrich Böll einmal formuliert – würde er der besten heidnischen vorziehen, weil in ihr Platz für Alte, Kranke und Schwache sei. Konkret heißt das: Der Mensch ist, gleich ob er arm oder reich, gesund oder krank, jung oder alt, Deutscher oder Ausländer, geboren oder ungeboren ist, von Gott gewollt. Und für Gesellschaft und Politik kommt es darauf an, allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Zweitens: Der Mensch ist zur Freiheit und zur Selbständigkeit berufen. Er soll sich etwas zutrauen und etwas aus sich machen. Es gehört zur Menschenwürde, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. In diesem Sinne ist es, auch wenn das hart klingen mag, menschen unwürdig, auf Dauer „am Tropf“ staatlicher Leistungen zu hängen, wenn man sich auch selbst helfen könnte.
Drittens: Der Mensch ist ein soziales, ein solidarisches Wesen. Er steht nicht allein da, er kann niemals nur an sich denken. Er ist auf Gemeinschaft angewiesen, in erster Linie auf die Familie. Er braucht Solidarität, kann aber auch Solidarität geben. Eine solidarische Gesellschaft fördert deshalb die Familie, weil sie der beste Schutzraum für Menschen ist. Sie integriert Arbeitslose, damit sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Sie will, dass keiner aufgegeben wird.
Und schließlich viertens: Solidarität gilt heute über unsere Generation hinaus im Blick auf unsere Kinder und deren Kinder. Je mehr wir in Natur und Schöpfung eingreifen und die Welt ‚umgestalten‘, umso mehr muss das Prinzip Nachhaltigkeit gelten. Wir tragen Verantwortung dafür, dass die Menschheit auch in Zukunft existieren kann.
So sehe ich – kurz und knapp – den Kernbestand des christlichen Menschenbildes. Zu ihm gehört aber auch, die Menschen nicht zu überfordern, sondern mit ihren Schwächen, ihrer Unvollkommenheit und ihren Fehlern zu rechnen. Das christliche Menschenbild propagiert nicht den idealen Menschen, sondern den Menschen, wie er nun einmal ist. Als ich Büroleiter des niedersächsischen Umweltministers in den 1980er Jahren war, habe ich darüber viel nachdenken müssen. Nirgendwo auf der Welt war das Umweltbewusstsein so ausgeprägt wie hierzulande. Manchmal hat es sich zu echten Untergangsszenarien ausgewachsen. Aber wenn es dann darum ging, von der Straße auf die Schiene auszuweichen, innerhalb Deutschlands auf das Flugzeug zu verzichten, die Kinder mit dem Fahrrad statt mit dem Auto vom Kindergarten abzuholen – dann klafften Theorie und Praxis weit auseinander. Wie kommt das? Offenbar können wir Menschen das logisch Unverträgliche ganz gut vertragen. Werte sind das eine, Bequemlichkeiten das andere. Als Politiker sollte man sich klarmachen, dass sie auch ihr, allerdings begrenztes, Recht haben.