Marius Stelzer

Diversity-Management als Dimension kirchlicher Personalentwicklung


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Kirche und setzt damit das Vorzeichen für die weiteren Überlegungen in den einzelnen Beiträgen.

      Sozialwissenschaftliche Erhebungs- und Auswertungsmethoden werden in der Theologie insgesamt gern kritisch beäugt. Wir wissen aus Erfahrung, dass pastoraltheologisch-soziologische Forschung, vor allem die Fremdperspektive aus anderen Wissenschaften (allen voran Humanwissenschaften), kritisch angefragt wurde und wird. Daher wird im Anhang ein ausführlicher Methodenbericht über Methodologie und den konkreten Methoden zur Datengewinnung und –auswertung aufgeführt. Dabei ist bewusst, dass diese Studie nur einen Ausschnitt des gesamten Ausbildungsthemas beleuchten und nur einen Teil des gesamten Studienmaterials verarbeiten und anbieten kann.

      Ein wichtiges Werkzeug in dieser Studie ist die Analyse sozialer Ungleichheit mithilfe von Lebensstilen und Werteeinstellungen. Dr. Marko Heyse vom Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und ich haben in sehr produktiver und kollegialer Zusammenarbeit ein theoretisch fundiertes, replizierbares und empirisch nachvollziehbares Lebensstilmodell entwickelt, das genauso solide und aussagekräftig ist wie marktübliche Lebensstilmodelle. Eine Beschreibung von Theorie und Methodik des Lebensstilmodells sowie die einzelnen Milieubeschreibungen sind diesem Berichtssystem ebenfalls angehängt. Auch hier sei die Vorablektüre empfohlen.

      Hinweise: Zu keinem Zeitpunkt wurde die Forschungsarbeit seitens kirchlicher, universitärer oder anderer über Drittmittelförderung beteiligter Institutionen oder Autoritäten beeinflusst oder eingeschränkt. Namen und Adressen der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden über die Sekretariate der Ausbildungshäuser zur Verfügung gestellt. Die Stichprobe der Studienteilnehmenden ging deutlich über die Diözese Münster hinaus. Keiner der Ausbildungsverantwortlichen bzw. Akteure in der Projektgruppe und auch keiner der Studienteilnehmer erfuhr, zu wem Kontakt aufgenommen werden konnte (und zu wem nicht) und mit wem ein Interview geführt wurde. Alle beteiligten Teilnehmenden wurden vorab über das Forschungsvorhaben informiert (Forschungsthema, Datenerhebung und Auswertung, Anonymisierung). Jeder Studienteilnehmer hatte das Recht, jederzeit das Interview ohne Gründe abzubrechen oder im Nachgang die Verwendung der Interviewdaten zu untersagen. Alle Teilnehmenden erhielten erst am Ende des Interviews als Dank ein kleines Präsent.

      Diese Studie konnte mit einem Druckkostenzuschuss der Diözese Münster und des ZAP Bochum veröffentlicht werden. Ich danke Generalvikar Dr. Klaus Winterkamp und Prof. Sellmann für die großzügige Unterstützung. Nicht zuletzt danke ich Stephanie Heckenkamp-Grohs, Christoph Schulte und Johannes Lohre für ihre Unterstützung bei der Durchsicht und Korrektur der Studienmanuskripte für die Drucklegung.

Münster, im Advent 2018Marius Stelzer

      1 Projektbeschreibung Matthias Sellmann, Zentrum für angewandte Pastoralforschung, www.zapbochum.de (Aufruf: Juni 2018).

      Ekklesio-Diversity als Schmiermittel der personalen Wertschöpfungskette seelsorglicher Berufe

       Abstract: Der vorliegende Beitrag1 geht der Frage nach, wie sich der pastorale Nahbereich als volkskirchliche Struktur im Lebensstilmodell einzeichnen lässt. Basis der Untersuchung sind qualitative Befunde, die innerhalb eines Beratungsprozesses einer Großpfarrei generiert wurden. Diese Befunde werden durch Erkenntnisse der neuen Kirchengeschichte angereichert, um daraufhin eine Leitidee einer zukünftigen, vielfältigen Sozialstruktur kirchlichen Lebens zu skizzieren, auf die hin Seelsorgende ausgebildet werden könnten. Der Schlüssel zu allem pastoralen Handeln ist hierbei das Paradigma der radikalen Diakonie, das im Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert wird.

      Die soziale Gestalt der katholischen Kirche in ihren Gemeinden ist milieuverengt. Das ist das Ergebnis der Sinus-Kirchenstudie aus dem Jahr 2005 und des Trendmonitors 20102 als auch der empirische Befund innerhalb des kirchlichen Personals.3 Im Gefolge dieser pastoraltheologischen Erkenntnisse hat es viele gute Gehversuche einer milieusensiblen Kirche sowie Tagungen, Kongresse und Best-Practices-Veranstaltungen gegeben. Der große Gewinn ist, mit Hilfe der Milieustudien ganzheitliche Bilder der gegenwärtigen Lebenswelten zu zeichnen, diese Erkundungen als Substrate religiöser Fragen und Sehnsüchte zu dechiffrieren und für die Seelsorge fruchtbar zu machen. Zugleich hat es diesbezüglich im Laufe der letzten zehn Jahre nicht nur Übersättigungs- oder Übermüdungserscheinungen hinsichtlich der Rezeption und Anwendung des Lebensweltenansatzes innerhalb der Pastoral gegeben, sondern es wurden und werden zugleich Überforderungssignale sichtbar.

      Im Rahmen eines wissenschaftlichen Beratungsprozesses in einer Großpfarrei im Bistum Münster konnten wir qualitativ ermitteln, wie sich im pastoralen Feld einzelner (Kirchturm-)Gemeinden unter dem Dach einer Pfarrei die soziale Struktur von Kirche verdichtet hat: „Gemeinde“ lässt sich als ein Engagement- und Nahbereich skizzieren, der sich personell aus Engagierten konservativer und etablierter Milieus (überwiegend ehrenamtliches Engagement von Frauen im sozialen Bereich; Männer: eher Verwaltung, Kirchenvorstand etc.), aus Engagierten in der alt geworden bürgerlichen Mitte (oftmals Engagement in Pfarreiräten und in Kinder/Jugendkatechese), aus Engagierten des konventionellen Kleinbürgertums (Verbandsarbeit: kfd, KAB, Kolping) sowie der Traditionellen (Gottesdienstbesucherinnen) und Benachteiligten (Partizipation als Nutzer der sozialen Dienste wie Kleiderkammern, Sozialbüros) speist. Empirisch gesehen bilden die Generationen jenseits des 50. Lebensjahres die Hauptkohorten dieser Sozialform der Gemeinden in der Pfarrei. Natürlich engagieren sich auch Jugendliche, die höchstwahrscheinlich im Sinus-Jugendmodell die konservativ-bürgerliche Gruppe bilden: Messdiener, Jugendgruppen, Liturgie- und Musikkreise, Verbandler. Für diese Jugendlichen stellt dieser kirchliche Nahbereich einen sicheren, weil heimatlichen und konsistenten Partizipationsraum dar.

      Anhand des eigens entwickelten Lebensstilmodells, der Lebensführungstypologie lässt sich dieser qualitative Befund veranschaulichen. Dieser Befund beruht auf knapp 20 offene Einzelfragen, die insgesamt sieben ehrenamtlichen Gemeindeteams an den Kirchorten der Pfarrei gestellt wurden. Auf die Fragen nach den bisherigen Aufgaben und den zukünftigen Zielen, die sich das Gemeindeteam jeweils setzt, antworteten praktisch alle Teams, man wolle das bewahren und erhalten, was da ist. Ein Gemeindeteam hat dem Fragebogen die persönlichen Steckbriefe der Teammitglieder beigefügt. Mit Hilfe dieser Hinweise und mit Blick auf die Konstellationen der anderen Gemeindeteams konnte in dieses Lebensstilmodell das Carré gemeindlicher Partizipation hineinmodelliert werden:

       Abbildung 1: Das soziale Feld der klassischen Pfarrei im Lebensstilmodell (eigene Darstellung).

      Das hier eingezeichnete soziale Feld der klassischen Pfarrei mit ihren Gemeindeorten und -gremien ist ein Resultat kirchengeschichtlicher Faktoren. Im Folgenden werden diese Hintergründe aufgezeigt, weil bis in die Gegenwart hinein die theologische und pastorale Ausbildung des Seelsorgepersonals auf genau dieser volkskirchlichen Leitidee und den damit korrespondierenden kirchlichen Rollenmustern, Kompetenzprofilen und Handlungsfeldern beruht.

      Das Zugehörigkeitsparadigma im katholischen Milieu

      Die oben im Lebensstilmodell skizzierte Form kirchlicher Zugehörigkeit liegt zum einen in einem Kirchenbild und priesterlichen Rollenbild der pianischen Epoche begründet, in der „die Gemeinschaft des Kirchlichen die Selbstverständlichkeit und die Freiheit das Unselbstverständliche“ war.4 Religiös-kirchliche Zugehörigkeit war die Norm; der Priester war als patriarchalischer Pfarrherr (Pastor bonus) die autoritäre und prominente Vermittlungsinstanz von Glaubensinhalten und Sakramenten. Die volkskirchliche Alltagsfrömmigkeit dieses katholischen Milieus war gekennzeichnet von der Praxis des häuslichen Gebets, der regelmäßigen Beichte, der sonntäglichen Messfeier, von Sakramentenempfang, Volksmissionen, Prozessionen und religiösem Brauchtum. Extra ecclesiam nulla salus.5

      Der Kirchenhistoriker Norbert Köster vertritt die These, dass die Generation der Bischöfe, die für die pastorale Nachkriegsordnung verantwortlich zeichnete, vielfach von eigenen Fronterfahrungen in beiden Weltkriegen geprägt war. Am Beispiel Bischof Michael Kellers weist er nach, wie sich diese Erfahrungen in dessen individueller Spiritualität niederschlugen und programmatisch für Pastoral, für Frömmigkeitspraxis und Priesterbild wurden.6