Marius Stelzer

Diversity-Management als Dimension kirchlicher Personalentwicklung


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Bild des sich aufopfernden Soldaten, des Gotteskämpfers im Dienst Christi, verinnerlicht. Daraus resultiert auch seine pastorale Praxis nach 1945, viele Abpfarrungen vorzunehmen, aber auch bischöfliche Internate und Bildungseinrichtungen sowie die diözesane Verbandsarbeit zu fördern. Diese kirchlichen Orte, vor allem die vielen (neuen) Gemeinden, dienten als Bollwerke bzw. Wagenburgen im Kampf gegen die sich abzeichnende Säkularisierung. An der Front dieser Verteidigungslinien fand dieser finale Entscheidungskampf „Gut gegen Böse“ angesichts einer Gesellschaft, die zunehmend entchristlicht war, statt. Hier liegt die Wurzel der sozialen Dynamik, die bis heute anhält, nämlich die der Pfarrei als geschlossenes System, in dem gilt: Wer mitmacht, gehört dazu, wer nicht mitmacht, ist draußen.7

      Die starke These Kösters von der transgenerationalen Weitergabe traumatischer Erfahrungen in der Kirche kann ein weiteres Verstehensmuster liefern, warum gegenwärtig die nach-nachfolgende Generation der Seelsorgenden und der kirchlichen Verantwortungsträger die „Zuflucht im „Ideal der historischen Kontinuität“ suchen und in der Treue zur Tradition ihre Identität durch Abgrenzung bilden.8

      Diakonie als Identitätsparadigma

      Das zweite Vatikanische Konzil dokumentierte die pastorale Wende der Kirche. Der Umgang mit dem Communio-Begriff und seiner pastoralen Entfaltung ist hier relevant: Lumen Gentium und Gaudium et Spes priorisieren den diakonalen Charakter sowie den Christusbezug der Kirche (LG1, GS1) und bezeichnet kirchliche Gemeinschaft als Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe (LG 8). Der Mensch rückt in den Mittelpunkt. In der Würzburger Synode wird die Leitidee der „Kirche als Hoffnungsgemeinschaft“ für die Kirche in Deutschland stark gemacht.9 Diese Idee korrespondiert deutlich mit der Leitidee des Konzils. Der diakonische Ansatz kirchlicher Gemeinschaft versandet jedoch vielfach in der sozialen Realität von Pfarrei und Gemeinde als Harmoniegemeinschaft: Wer mitmacht, erlebt Kirche. Das Rollenverständnis des Pfarrers als Vater der Pfarrfamilie wurzelt zugleich im seinerzeit bewährten Rollenbild des Pfarrherrn der pianischen Epoche, während mit den neuen pastoralen Laienberufen und den ständigen Diakonen weitere berufliche Rollen die pastorale Dynamik beleben. Nicht zuletzt trägt der gesellschaftliche Wandel seit den 1960er Jahren dazu bei, dass Seelsorgende zunehmend unter Modernisierungsstress geraten. Kurzum: Bei allen guten Ansätzen von Konzil und Synode: vor dem Hintergrund des Parochialprinzips hat die Innen-Außen-Struktur kirchlicher Gemeinden in der Variation als Pfarrfamilie weiter Bestand.

      Die Sinus-Studien der letzten zehn Jahre weisen auf, wie stark sich das soziale Feld der Gemeinde verkleinert hat. Traditionelle Milieus, Teile der konservativen und etablierten oberen Schichten sowie die Bürgerliche Mitte konnten 2005 noch als Partizipationsgrößen kirchlich-gemeindlichen Lebens identifiziert werden. In einem Update 2010 wurde deutlich, dass auch die bürgerliche Mitte nur noch marginal am kirchlichen Gemeindeleben partizipierte. Hier schließt sich der Kreis zum aktuellen Befund: gemeindliches Leben ist für moderne Lebenswelten nicht mehr relevant - und auch in den relevanten Milieus ist dessen Legitimität schwach geworden. Zugleich schienen im Pontifikat Benedikts XVI. inhaltlich und ästhetisch Frömmigkeitsformen der pianischen Epoche eine Renaissance zu erleben.

      Seelsorgende im Modernisierungsstress

      Es zeigt sich gegenwärtig, dass sich die Herausforderungen der Gegenwart auf Dienst und Leben der Seelsorgenden auswirken. Dies gilt in besonderer Weise für das Kerngeschäft der territorialen Seelsorge. Die Seelsorgestudie 2014 zeigt:

      „In der Territorialseelsorge Tätige empfinden eine geringere Arbeitszufriedenheit, eine deutlich höhere Arbeitsbelastung und eine geringere Autonomie als Seelsorgende in kategorialen Tätigkeitsfeldern […]. Priester in der Territorialseelsorge haben zum Beispiel auch eine geringere Lebenszufriedenheit, schlechtere Werte in gesundheitsrelevanten Variablen und deutlich höhere Burnoutwerte. Ihre Arbeitszeit liegt im Mittel vier Stunden höher“.10

      Die Größe einer pastoralen Einheit wirkt sich den Diagnosen der Seelsorgestudie nach kaum auf die psychologische Gesundheit, auf Belastungswahrnehmung und Zufriedenheit von Seelsorgenden aus. Viele Seelsorgende sind mit ihrer Tätigkeit eher zufrieden, gleichwohl sind sie eher unzufrieden mit Organisation, Struktur und Leitung der Diözese (Leitung, Prioritätensetzung, Zukunftsstrategien).11 Es drängt sich die Hypothese auf, dass Seelsorgende durchaus über Lösungswissen und Handlungsstrategien für diversifizierte Formen des zeitgenössischen Kircheseins im Territorium verfügen, jedoch binnenkirchliche Resterwartungen in Gemeinden und Diözesanleitungen diesen Gestaltungstransfer eher verhindern – und dieser Umstand berufliche Belastungen und Unzufriedenheit fördert. Man darf gespannt sein, ob die qualitativen Interviews der Seelsorgestudie hierauf Antworten geben.

      Schließlich zeigt sich bei genauem Hinsehen, dass pastorale Planungsprozesse aus eben dieser Leitidee von Kirche und Gemeinde heraus entwickelt werden. Die Lektüre zahlreicher lokaler Pastoralpläne offenbart auch, dass faktisch alle Pläne hinsichtlich einer Zukunftsvision von Kirche auf genau diese Leitidee kirchlichen Gemeindelebens wiederum abzielen.12 Hier kommt wiederum der qualitative Befund des oben genannten Coaching-Prozesses zum Tragen: Alle ehrenamtlichen Gemeindeteams an den Kirchtürmen wurden befragt, was ihre wichtigsten Aufgaben in den vergangenen zwei Jahren gewesen seien und welche Ziele sie für die kommenden Jahre sähen. Unabhängig voneinander war die Antwort aller Teams signifikant: Bewahren und Erhalten des kirchlichen Lebens vor Ort.

      Ekklesio-Diversity als Kennzeichen einer zeitgenössischen Kirche

      Von diesen Erkenntnissen ausgehend entwickelten wir mit Hilfe der Lebensführungstypologie eine Leitidee von Kirche, die die starken Grenzziehungen zwischen dem ‚Innen und Außen’ der volkskirchlichen Grundstruktur aufhebt. Denn im Rahmen der qualitativen Interviews der Ausbildungsstudie hat sich durchgängig gezeigt, dass für viele Befragte die kirchliche Kultur innerhalb dieses pastoralen Handlungsquadrats nicht nur lebensstilistisch, sondern auch vom pastoralen Professionsanspruch her gesehen nicht relevant, nicht attraktiv und nicht interessant ist. Man fragt sich zu Recht, wie es die wenigen jungen Seelsorgerinnen und Seelsorger, junge Priester vor allem, in ihrem Minderheitenstatus inmitten eines überalterten Klerus und inmitten einer alternden Gottesdienstgemeinde überhaupt aushalten, ohne aus dem System auszusteigen.13

      Ausgangspunkt der Überlegungen ist der pastoraltheologisch-diakonische Ansatz des Konzils (LG1), den Hans Hobelsberger aufzeigt: Kirche dient nicht sich selbst, sondern der kreativen und handlungsbezogenen Konfrontation von Evangelium und menschlicher Existenz (Rainer Bucher) und damit dem Heil des Menschen, dem Gelingen des Lebens (Glaubensbekenntnis von Nizäa).14 Diakonie ist daher der Rahmendiskurs jeglichen pastoralen Engagements. Das bedeutet, neben dem gemeindlichen Leben an den Kirchtürmen, vor Ort weitere Orte und Gelegenheiten zu fördern, zu entdecken oder zu gründen, an denen Menschen Leben und Glauben um des Heiles willen teilen. Das sind klassischerweise: Schulgemeinden, Altenpflegeeinrichtungen, Kindertagesstätten, Hochschulen. Das sind darüber hinaus temporäre Eventgemeinden (Geistliche Konzerte, Performances, Installationen, Kirchentage) oder auch En-passant-Gemeinden (Klöster, Stadt- und Jugendkirchen) und viele andere mehr. Die folgende Grafik zeigt exemplarisch Orte und Gelegenheiten im Milieupanorama einer Kommune/Pfarrei:

       Abbildung 2: Verortung von Gemeinden im Lebensstilmodell (eigene Darstellung).

      Die zentrale und unverzichtbare Anforderung: Diese Orte und Gelegenheiten sind nicht die Rekrutierungsfelder für die klassische Gemeindepastoral. Der Rekrutierungsgedanke widerspricht fundamental dem diakonischen Ansatz. Sie sind auch nicht Satelliten der Gemeindepastoral. Es entsteht vielmehr ein nachbarschaftliches Prinzip gleichberechtigter kirchlicher Orte und Gelegenheiten unter dem Dach der Pfarrei. Um es exemplarisch zu verdeutlichen: Die Pastoral beispielsweise in einer KiTa ist nicht dazu da, dass die Kinder sonntags in den Kindergottesdienst kommen. Und die Kinder in der KiTa sind nicht die „besten Missionare“, um irgendwie die Eltern pastoral zu erreichen, damit sie sich „in der Gemeinde“ engagieren. Pastoral in der KiTa ist um der Kinder willen da: deren Freuden und Hoffnungen, Trauer und Ängste, Sorgen und Fragen anzunehmen, ernst zu nehmen und diese Lebensfragen kreativ mit dem Evangelium zu konfrontieren, d. h. kindgemäße und entwicklungsgemäße Formen der religionspädagogischfrühkindlichen