Bernhard Kohl

Die Anerkennung des Verletzbaren


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in einem Subjekt-Objekt-Modell, d. h. sich selbst als ein wollendes Subjekt zu begreifen, das seine Absichten in Handlungen realisiert, setzt die Annahme einer vom Wollen unabhängigen Realität voraus. Innerhalb dieses Subjekt-Objekt-Modells wird die Annahme eines selbstständigen Objekts zum integralen Bestandteil des Selbstbewusstseins, da ein Subjekt im Akt der direkten Selbstbezugnahme sich selbst als reines Ich zum Gegenstand hat.68 Anders ausgedrückt: Als Bewusstsein ist das Selbstbewusstsein zunächst Begierde und verfolgt in der Begierde „die Selbsterhaltung seiner Ichheit in der Vernichtung der Gegenständlichkeit, die ihm des Negative, Unwesentliche ist“69. Damit ist das Selbstbewusstsein zuerst nichts anderes, als das seiner selbst bewusste Leben, „also eine höhere Form des Lebens, nämlich das menschliche Leben, das das seiner selbst nicht bewusste Leben der Natur zur Voraussetzung hat“70.

      Damit existieren im hegelschen Ansatz also zwei Bewusstseine: Das eine ist zunächst das Selbstbewusstsein, welches sich im Vollzug auf das Selbst als Objekt richtet, welches also ein Verhältnis referentiellen Bezugs von mir als Vollzugsobjekt auf ein Bezugssubjekt herstellt. Im Selbstbewusstsein ist das Selbst Gegenstand des Bewusstseins. Das „andere Bewusstsein“ ist

      „das von meinem Selbstbewusstsein im Vollzug zum Gegenstand meines selbstbezüglichen Urteilens oder Denkens erklärte Bewusstsein. […] Im reflektierenden Denken vollziehe ich in der Tat Akte, mit denen ich mich auf mich selbst beziehen möchte. […]“71.

      Die sich nun stellende Frage ist, wie ein solcher Selbstbezug möglich ist, wenn eine Einheit von Bewusstsein und Selbstbewusstsein, von Vollzug des Denkens und Wissens gewahrt sein soll, da ich „weder einfach Vollzugsobjekt noch einfach Objekt des Wissensaktes“72 bin.

      Dieser Einheit nähert sich Hegel über den Begriff der Begierde, welche die Grundform aller volitionalen Einstellungen und zugleich notwendiges Implikat von Selbstbewusstsein bildet: Die unmittelbare Selbstbeziehung des Bewusstseins lebendiger Wesen stellt sich in der Perzeption von Begierden dieses Wesens dar, die befriedigt werden können. In der Begierde und ihrer subjektiven Befriedigung findet sich „schon eine auf eine richtige Befriedigung durch Objekte der Welt ausgerichtete Subjektivität“73. Hieraus gewinnt Hegel die Erkenntnis, dass auch jede theoretische Selbstbeziehung in einem praktischen Selbstverhältnis gründet „und dieses immer auf die Befriedigung einer externen Bedingung abzielt, selbst dann, wenn ich selbst vermeintlich der denkende und urteilende ‚Herr‘ dieser Bedingung und der Kontrolle ihrer Erfüllung bin oder zu sein scheine“74. In der Haltung der Begierde vergewissert sich das Individuum seiner selbst als eines lebendigen Bewusstseins, welches mit aller Wirklichkeit die Eigenschaften des Lebens teilt, ihr aber darin überlegen ist, dass jene von ihm als Bewusstsein abhängig bleibt. Der Mensch erfährt sich also in der Begierde als Teil der Natur, als Bewusstsein, das auf die Befriedigung elementarer, organischer Bedürfnisse angewiesen ist. Gleichzeitig, solange er sich als bedürfnisbefriedigendes Wesen versteht, „im Rahmen seiner Begierde tätig ist, besitzt er ein unmittelbares Wissen von seiner Doppelnatur, die ihn zugleich innerhalb wie außerhalb der Natur stehen lässt“75. Die Triebbefriedigung ist also nicht negativ zu sehen, sondern spielt eine wichtige Rolle in der Erzeugung eines Selbstbewusstseins, welches dem vorangegangenen, ersten Bewusstsein überlegen ist und beide „Bewusstseine“ miteinander verbindet, eine wichtige Rolle. Dies deswegen, da das Bewusstsein sich durch sie nicht mehr bloß punktuell erfährt, sondern ihm in der Befriedigung seiner Begierde die unmittelbare Gewissheit seiner selbst ist, „das mit seiner mentalen Aktivität exzentrisch in die Natur versetzt ist“76.

      Dennoch reicht auch die mit der Triebbefriedigung verbundene Erfahrung des Selbstbewusstseins noch nicht aus, da darin eine Selbsttäuschung enthalten ist, die darin besteht, dass das Individuum in der Befriedigung der Begierde „die Erfahrung von der Selbständigkeit seines Gegenstandes“77 macht. Das Individuum, das durch den triebgesteuerten Verzehr seiner Umwelt versucht die Gewissheit zu erlangen, dass die ihm entgegenstehende Wirklichkeit Produkt seiner eigenen Gedankentätigkeit ist, kann nämlich das Objekt, auf das sich seine Begierde bezieht, in deren Befriedigung nicht aufheben. Die Wirklichkeit kann nicht von ihm verzehrt werden, da sie unabhängig von ihm besteht. Ein Aufheben der Begierde, ihrer Negation in der Befriedigung, könnte also einerseits dadurch geschehen, dass sich die Begierde selbst aufhebt, also nicht mehr vorhanden ist, oder andererseits dadurch, dass der Zustand, durch den die Begierde befriedigt wird, eine solche Gestalt annimmt, die die Begierde zum Schweigen bringt. Diese Gestalt wird dann erreicht, wenn das Subjekt auf ein Element der Wirklichkeit stößt, welches in umgekehrter Weise versucht das nach Befriedigung suchende Subjekt zu verzehren, also die von ihm geleistete Negation an ihm selbst auszuführen.78 Obwohl hier nicht der Raum ist Hegels Gedankengang in extenso wiederzugeben kann man in der bisher geführten Argumentation den Hinweis drauf entdecken, dass das Subjekt auf ein anderes Subjekt, ein anderes Bewusstsein treffen muss, da nur dieses in der Lage ist von sich aus eine Negation auszuführen. Wenn das Selbstbewusstsein in seiner Begierde die Erfahrung der Selbstständigkeit des Lebens macht, dann macht es gleichzeitig die Erfahrung, dass es seine Befriedigung nicht in der Begierde, d. h. in der Aufhebung, Vernichtung und Zerstörung lebendiger Gegenstände der Natur finden kann, „sondern in einem lebendigen Gegenstand, der ihm in seiner Struktur entspricht, d. h. in einem anderen lebendigen Selbstbewusstsein“79. So schreibt Hegel auch:

      „Das Selbstbewusstsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewusstsein.“80

      Im Anderen begegnet dem Selbstbewusstsein nun nicht mehr ein Fremdes, sondern sein eigenes Wesen. Die Befriedigung durch die Begegnung mit diesem Anderen ist deswegen darin gegeben, dass das zweite Subjekt eine Negation, eine Selbstdezentrierung nur deswegen vollzieht, weil es dem ersten Subjekt begegnet. Dem ersten Subjekt tut sich damit ein Element der Wirklichkeit auf, welches allein aufgrund seiner Präsenz den eigenen Zustand verändert. Durch diesen Akt der Selbstbeschränkung ergibt sich die Erfahrung einer wesentlichen Abhängigkeit vom anderen Subjekt und zwar einer reziproken Abhängigkeit, weil als Konsequenz aus der Selbstnegation des zweiten Subjekts, auch eine Negation des ersten erfolgt, sobald es dieses „Artgenossen“ ansichtig wird. „Beide Subjekte müssen wechselseitig in dem Augenblick, in dem sie sich begegnen, gegenüber sich selbst eine Negation vollziehen, die in der Abstandnahme vom jeweils Eigenen besteht.“81

      Genau dieser Vorgang wird von Hegel als Anerkennung bezeichnet. In der intersubjektiven Begegnung ereignet sich eine Selbstbeschränkung der Individuen, in der das Ego in der Selbstbeschränkung des Alter eine Aktivität erkennen kann, in der sein Selbst eine Veränderung der Wirklichkeit hervorruft und in gewissem Sinne eine neue Wirklichkeit erzeugt. In diesem Sinne kann die von Hegel beschriebene Anerkennungsbeziehung auch als dialektische bezeichnet werden, da jede Seite die andere setzt bzw. impliziert und sie gleichzeitig negiert, d. h. sich selbst durch Verneinung konstituiert. Diese widersprüchliche Struktur müssen die Individuen durch eine zunehmende Differenzierung ihrer Beziehung überwinden, in welcher die Begriffe und Relationen in komplexere überführt werden, die sowohl die Ein- als auch die Ausschlussbeziehungen beinhalten. Hegel spricht hier auch von einer doppelsinnigen Beziehung, da jedes selbstbewusste Wesen seine Identität in einem anderen, ebenso selbstbewussten Wesen hat, dem es folglich auch Bewusstseinseigenschaften zuschreiben muss und das ihm seine eigenen bestätigt, dessen Andersheit seiner selbst das Subjekt aber gleichzeitig negieren muss. „Es muss sich durch Ausgrenzen wiedergewinnen und das andere dadurch zugleich ‚frei entlassen‘.“82 Hegel entfaltet diese Bewegung der Anerkennung in drei Phasen, die jeweils in sich doppelsinnig sind:83 Zunächst erfährt das Selbstbewusstsein in der direkten Begegnung mit einem anderen Selbstbewusstsein, dass es nicht ein Solitäres auf der Welt ist. Dieses Anderssein des Selbstbewusstseins weist den Doppelsinn auf, dass es sich 1.) selbst verliert, weil es sich selbst nur als Anderes findet und dass es 2.) das Andere nicht als selbstständiges Wesen ansieht, weil es im Anderen nur sich selbst sieht. Dieses selbstverlorene Sich-selbst-Finden im Anderen vereinnahmt diesen Anderen gleichzeitig. Da dieses selbstverlorene Sich-selbst-Finden im Anderen dem selbstständigen Selbstbewusstsein nicht gerecht wird, muss das Selbstbewusstsein sein Anderssein aufheben, wobei auch in dieser zweiten Phase des Aufhebens eine Doppelsinnigkeit besteht: Wenn das Selbstbewusstsein 1.) darauf aus ist, die Selbstständigkeit des anderen Wesens aufzuheben, dann hebt es sich