Bernhard Kohl

Die Anerkennung des Verletzbaren


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im Paradies erschaffene erste Mensch wird am Ende neu geschaffen; was die Sünde zerstörte wird durch den Menschgewordenen zurückerstattet. […] Christus hat das Heil der Menschen endgültig ‚sichergestellt‘. […] Für die Anthropologie resultiert daraus: Der ‚neue‘ Mensch ist die Wiederherstellung des ‚alten‘ – zugleich aber ist er mehr: nämlich der durch die Menschwerdung ‚gesicherte‘ neue Mensch.“203

      Dies bedeutet allerdings gleichzeitig, dass der Mensch keinen wirklichen Beitrag zum Fortgang der Heilsgeschichte leisten kann. Alle Geschichte, alle geschichtliche Entwicklung steht im Rahmen des göttlichen Heilsplanes. Freiheit des Menschen bedeutet Gehorsam gegenüber Gott. Aus dieser Zielstrebigkeit der irenäischen Geschichtstheologie ergibt sich dann auch ihre Christozentrik. Christus ist der Brennpunkt der Geschichte, die ganze Schöpfung, ihre Gesamtheit konzentriert sich auf ihn, strebt auf ihn hin. Vom einzelnen gottebenbildlichen Geschöpf kann hier nicht mehr die Rede sein, da sie von der Rede über das gottebenbildliche Menschengeschlecht verdeckt wird.

      Somit trennen imago und similitudo für Irenäus in diesem Rahmen nicht Natur und Übernatur, sondern stellen zwei zeitlich voneinander getrennte Momente im Werden der Gottebenbildlichkeit des Menschen dar: Irenäus spricht von der „ersten Schöpfung“, um diese von der „Gemeinschaft mit Gott“ abheben zu können, um den Urstand, in welchem der Mensch imago und similitudo besaß vom Endstand unterscheiden zu können, in dem die durch den Sündenfall verlorene similitudo zurückerstattet wurde.204 Irenäus will also den Fall völlig in den Heilsplan einbeziehen und versteht auch die Störung des Heils- bzw. Weltplans als von Gott einberechnet. Die ganze Heilsgeschichte stellt sich damit als Weg vom Bild zur Ähnlichkeit dar, als Weg vom durch den Sündenfall in seiner Verwirklichung gehinderten Schöpfungsziel zur Vollendung in Christus.205

      Auch Tertullian geht es immer um die Einheit der beiden Testamente. Darüber hinaus sieht er seinen Auftrag darin, die Gutheit der Schöpfung gegen Marcion zu verteidigen und zu beweisen. Tertullian sieht insbesondere in der Schöpfung des Menschen einen Akt besonderer Güte Gottes, da die „bonitas“ hier tätig ist, „non imperali verbo, sed familiari manu“206. Der Mensch wird von Gott ganz persönlich und unmittelbar erschaffen.

      Dieser Beweis a primordio, d. h. davon ausgehend, dass die Berichte vom Anfang ein besonderes Gewicht haben, dient Tertullian also einerseits dazu, die Gutheit des Schöpfers und der Schöpfung aufzuzeigen. Andererseits geht es ihm aber auch darum die jüdisch-christliche Lehre von der Einheit des Menschen gegen die Gnosis zu verteidigen. Die Genesis – so Tertullians Auffassung – bestätigt sowohl, dass die Seele von Gott geschaffen ist und deswegen vernünftig sein muss, weil Gott vernünftig ist, als auch, dass das Fleisch göttlicher Herkunft ist, weswegen eine leibliche Auferstehung des Menschen erforderlich ist.207

      Darüber hinaus sieht Tertullian Christus als die Imago Dei an, da Gott an Christus denkt, als er den Menschen schafft, da er weiß, dass Christus eines Tages Mensch werden wird. Ein Hinweis hierauf ist in der Formulierung „ad imaginem dei“ gegeben, da Gott sonst „ad suam imaginem“ gesagt hätte.208

      Der Entwurf Tertullians zur Ebenbildlichkeit kann in gewissem Sinne als existenziell-konkrete Ergänzung der irenäischen Bildtheologie bezeichnet werden. Er fügt dem Verständnis vom Menschen als ausgezeichnetem Geschöpf Gottes und der Geschichte als Schritt vom Urstand zum Endstand die Perspektive des einzelnen Menschen, die Perspektive der existenziellen Situation des gottebenbildlichen Menschen hinzu. Tertullian versteht Geschichte und darin sich realisierende Gottebenbildlichkeit auch als Heils- und Unheilszeit des Einzelnen. Dabei argumentiert Tertullian in zwei Aussagenreihen. In der ersten greift er die irenäische Unterscheidung von Bild und Ähnlichkeit auf, womit auch er die zwei Momente des Anfangs und des Endes auseinanderhalten möchte. In der zweiten öffnet er sich in starkem Maße der stoischen Anthropologie und sieht mit dieser die Willensfreiheit als das den Menschen auszeichnende Spezifikum an. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen liegt für Tertullian im „Kraftfeld des freien Willens“. Dabei setzt er die Begriffe Bild und Ähnlichkeit zusammen und spricht von der „Ganzheit des Bildes und der Ähnlichkeit“ als Fundament menschlichen Handelns. Freiheit ist die Seinsform des Menschen als Bild und Ähnlichkeit Gottes. Somit ist Tertullian der erste Theologe, der die Gottebenbildlichkeit als Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen fasst.209

      Die Art und Weise, wie die frühchristlichen Autoren den Begriff der Gottebenbildlichkeit auffassten war stark von den jüdischen und griechischen Quellen beeinflusst, auf die sie sich stützten. Die hebräische Sichtweise des Menschen hebt den Menschen als jemanden hervor, der von Gott zu Taten des Gehorsams aus Liebe aufgefordert ist. Die griechische Anthropologie hingegen, insbesondere die platonische Tradition, konzentrierte sich auf die menschliche Seele als Trägerin eines Bildes (eikon) der Gottheit. Hieraus resultierte eine Trennung zwischen Körper und Seele, wobei die Seele als wahre Person und deren Unsterblichkeit als das eigentliche menschliche Schicksal angesehen wurde, eine Auffassung, die der traditionellen jüdischen Anthropologie vollkommen fremd ist.210 Besonders deutlich zeigt sich die Aporie der neuplatonischen Auslegung der Gottebenbildlichkeit bei Augustinus, einer Interpretation, von der sich die christliche Theologie nie mehr ganz befreien konnte.

      Augustinus greift in seiner Bildtheologie keines der vorliegenden Konzepte auf. Auch konstruiert er sie nicht auf einer Exegese von Gen 1,26f., sondern auf dem Gedanken, dass in den drei Grundkräften des menschlichen Geistes - Gedächtnis, Verstand und Wille - eine Nachbildung der Trinität zu sehen ist. Damit hält er die Unterscheidung von imago und similitudo nicht aufrecht, sondern trennt sie nur noch in einem formallogischen Sinn: Similitudo bezeichnet eine wie auch immer geartete Ähnlichkeit zu einem abgebildeten Urbild, wohingegen die imago weiter reicht, umfassender ist, da sie eine Ursprungsbeziehung zwischen Abbild und Urbild einschließt, was bei der similitudo nicht der Fall sein muss. Dennoch kennt auch Augustinus die Unterscheidung zwischen einer schöpfungsmäßigen Gottebenbildlichkeit und einer gnadenhaften. Diese gnadenhafte oder übernatürliche Ebenbildlichkeit bezeichnet er häufig – wenn auch nicht konsequent – als similitudo.211

      Die Rückerstattung der imago, also der aus der Schöpfung herrührenden Gottebenbildlichkeit, ist für Augustinus ein Werk des Heiligen Geistes und besteht darin, dass der Mensch fähig ist Gott zu fassen, d. h. durch Gott ansprechbar zu sein. Wer von Gott ansprechbar ist, der lebt als Imago Dei, als Bild nach dem Bilde, da das eigentliche Bild Gottes nur der Sohn sein kann. Der Mensch besitzt Gottebenbildlichkeit insofern der Sohn das Urbild der Menschen ist. Augustinus zufolge ist der trinitarische Gott aber nicht nur im menschlichen Geist, sondern in der gesamten Schöpfung abgebildet, wenngleich auch nicht in einem vergleichbaren Maß: der Mensch ist Imago Dei, die Schöpfung Vestigium Dei.212 „Hier darf auch nicht übergangen werden, dass der heilige Verfasser nach den Worten: ‚Nach unserem Bild‘ sogleich hinzufügt: ‚Und er soll Gewalt haben über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels‘ und über die übrigen vernunftlosen Tiere. Darunter sollen wir offenbar verstehen, dass der Mensch darin nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, womit er sich vor den vernunftlosen Lebewesen auszeichnet. Das ist aber die Vernunft als solche, möge sie nun Verstand, Fassungsvermögen oder mit einem noch passenderen Worte genannt werden. [Dies weist deutlich darauf hin. BK] worin der Mensch nach dem Bilde Gottes erschaffen ist: dass es sich nicht um körperliche Züge handelt, sondern um eine gewisse intelligible Form des erhellten Verstandes.“213

      Die Konzentration der Ebenbildlichkeitsvorstellung auf Jesus Christus hat erhebliche anthropologische Konsequenzen, da sie eine kritische Unterscheidung zwischen der Lebenswirklichkeit der Menschen und der Geschichte des einen Menschen Gottes enthält. Christus tritt an die Stelle dessen, der zum Bild Gottes geschaffen wurde, d. h. an die Stelle des Menschen. Christus wird also zum Grundbild für das Menschsein an sich eingesetzt, womit aber auch eine grundlegende Unterscheidung impliziert ist214: nicht der Mensch, sondern Christus wird als