Bernhard Kohl

Die Anerkennung des Verletzbaren


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des alttestamentlichen Herrschaftsauftrages. Der in der frühen Kirche entwickelten christlichen Anthropologie ging es darum die Herrschaft des Menschen über die Erde als spirituelles Tun zu fassen, ja, eine Vereinnahmung durch die materielle Seite dieses Tuns wurde sogar als sündhaft interpretiert. Vor allem in der alexandrinischen Tradition zeigte sich eine Tendenz zur Vergeistigung des Konzepts von der Herrschaft des Menschen: Herrschaft wurde als von der Bändigung der Leidenschaften abhängig gesehen, was wiederum nur durch eine spirituelle Vertiefung geschehen konnte. Insbesondere Origenes setzte eine spiritualisierende Interpretation von Gen 1,26f. durch. Er übertrug den biblischen Herrschaftsauftrag explizit auf die Herrschaft über die menschlichen Leidenschaften, da die Leidenschaften eine Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier darstellen und nur durch die Herrschaft darüber das Abbild-Sein Verwirklichung findet.216 Nach Origenes galt diese Deutung von Gen 1,26f. in der Theologie als eine Möglichkeit: es hat mehr Gewicht, was die Menschen sind, als das, was sie tun. Dieses Sein des Menschen konnte aber – insbesondere nach der Auffassung im östlichen Christentum – nur durch die Kontemplation der Dinge erschlossen werden. Nur in der Kontemplation, welche als Vorrecht des Menschen als Statthalter Gottes auf Erden betrachtet wurde, sah man die Möglichkeit gegeben mit den logoi der Schöpfungsordnung in Verbindung zu treten und so als vernunftbegabte Wesen die Schöpfungsordnung in Gottes Plan zusammen zu halten. Hieraus ergibt sich auch, dass der Mensch in der Anthropologie der frühen Kirche in seiner adamitischen Einheit betrachtet wurde. Adam war nach biblischer Überzeugung nicht nur der erste Mensch, sondern repräsentierte auch die Gesamtmenschheit. So kam es zu einer weiteren Unterscheidung zwischen ontologischer und persönlich-soteriologischer Ebene des Menschseins.217

      Wichtig bei allen aufgeführten patristischen Varianten der Unterscheidung von Abbild und Ähnlichkeit ist allerdings die Beachtung der Tatsache, dass die Abbildhaftigkeit in diesem Verständnis eine Dynamik enthält. Die Abbildhaftigkeit ist nicht nur ein Zustand, sondern steht vor allem für eine Möglichkeit. Diese „kommt nur zur Blüte, wenn Menschen […] fähig werden, ihre bei der Schöpfung geschenkten Fähigkeiten zur vollen Reife zu entwickeln. Die Unterscheidung dient also in erster Linie dazu, diesen dynamischen Aspekt des Abbild-Begriffes zu unterstreichen. Die Menschen sind nach dem Bild Gottes geschaffen, damit sie wie Gott werden. Diese Ähnlichkeit ist ihr Reifen als Menschen und ihre Erfüllung einer Mittler-Aufgabe als Mikrokosmos für das geschaffene Universum.“218.

      1 A. N. Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt, Frankfurt a. M. 1984, 75.

      2 Vgl. M. Welker, Schöpfung und Wirklichkeit (NBST; 13), Neukirchen-Vluyn 1995, 33.

      3 J. Butler, Gefährdetes Leben, in: dies.‚ Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt a. M. 2005, 154-178, hier 109f.

      4 Dabei ist zu beachten, dass Gesellschaften in mehreren Dimensionen plural sein können. Zunächst können sie „Pluralität“ aufweisen, womit gesellschaftliche Unterschiede unterschiedlichen Ausmaßes ohne Wertung festgestellt werden. Die Selbstbeschreibung einer Gesellschaft als plural erfolgt über den Terminus des „Pluralismus“, worüber eine soziale Einheit ihre innere Pluralität selbst feststellt und in positiver oder negativer Hinsicht als relevant betrachtet. Darüber hinaus kann Pluralismus aber auch bedeuten, dass eine Pluralität von Überzeugungen als Lebensform Akzeptanz findet, d. h. also, dass eine Gesellschaft ihre Selbsteinschätzung als plural nicht als grundsätzliche Infragestellung ihres Zusammenhalts betrachtet, sondern positiv wahrnimmt. Gesellschaftliche Anerkennung des Pluralismus kann somit eine demokratisch-politische Werthaltung bzw. einen Metawert darstellen, der nicht mit Indifferenz oder Relativismus gleichzusetzen ist, sondern Anstrengungen erfordert, um die „gesellschaftliche Faktenlage der Pluralität auszuhalten und politisch sinnvoll zu gestalten“. Vgl. Chr. Mandry, Pluralismus als „Wert“ – Chancen und Hindernisse aus theologisch-ethischer Sicht, in: Hilpert, K. (Hg.), Theologische Ethik im Pluralismus (SThE; 133), Freiburg CH 2012, 229-237, hier 229.231.236.

      5 M. Heimbach-Steins, Menschenrechte in Gesellschaft und Kirche. Lernprozesse, Konfliktfelder, Zukunftschancen, Mainz 2001, 150f.

      6 P. E. Gordon, Kritische Theorie zwischen dem Heiligen und dem Profanen, in: WestEnd 13 (2016) 3-33, hier 21f.

      7 Vgl. zu dieser Thematik bspw. die Rede von Jürgen Habermas anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001. Darin äußert er seine Überzeugung, dass gerade in Anbetracht der Ereignisse des 11. Septembers 2001 auch eine säkularisierte Gesellschaft nicht auf Artikulation und Übersetzung der Inhalte religiöser Sprache verzichten könne und macht dies besonders am Beispiel der Gottebenbildlichkeit fest: „Die Kehrseite der Religionsfreiheit ist tatsächlich eine Pazifizierung des weltanschaulichen Pluralismus, die ungleiche Folgelasten hatte. Bisher mutet ja der liberale Staat nur den Gläubigen unter seinen Bürgern zu, ihre Identität gleichsam in öffentliche und private Anteile aufzuspalten. Sie sind es, die ihre religiösen Überzeugungen in eine säkulare Sprache übersetzen müssen, bevor ihre Argumente Aussicht haben, die Zustimmung von Mehrheiten zu finden. So machen heute Katholiken und Protestanten, […], den (vielleicht vorschnellen) Versuch, die Gottesebenbildlichkeit des Menschengeschöpfs in die säkulare Sprache zu übersetzen. Die Suche nach Gründen, die auf allgemeine Akzeptabilität abzielen, würde nur dann nicht zu einem unfairen Ausschluss der Religion aus der Öffentlichkeit führen und die säkulare Gesellschaft ihrerseits nur dann nicht von wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung abschneiden, wenn sich auch die säkulare Seite ein Gespür für die Artikulationskraft religiöser Sprachen bewahrte. Die Grenze zwischen säkularen und religiösen Gründen ist ohnehin fließend. Deshalb sollte die Festlegung dieser umstrittenen Grenze als eine kooperative Aufgabe verstanden werden, die von beiden Seiten fordert, auch die Perspektive der jeweils anderen einzunehmen. Vgl. J. Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt a. M. 82016, 21f.

      8 Chr. Mandry‚ Europa als Wertegemeinschaft. Eine theologisch-ethische Studie zum politischen Selbstverständnis der Europäischen Union (Denkart Europa. Schriften zur europäischen Politik, Wirtschaft und Kultur; 9), Baden-Baden 2009, 212.

      9 M. Heimbach-Steins, Menschenrechte, 151.

      10 Ebd., 174.

      11 Ebd., 177.

      12 Vgl. K.-W. Merks, Grundlinien einer interkulturellen Ethik. Moral zwischen Pluralismus und Universalität (SThE; 132), Freiburg CH 2012, 17.

      13 Ebd., 25.

      14 Ebd., 52.

      15 Vgl. ebd., 66f.

      16 Vgl. ebd.

      17 Vgl. ebd., 75ff. und ders., Gott und die Moral. Theologische Ethik heute (Schriften des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der WWU Münster; 35), Münster 1998, 352ff.

      18 Vgl. ders., Grundlinien einer interkulturellen Ethik, 75.

      19 Vgl. ders.‚ Gott und die Moral, 357.

      20 Vgl. ebd., 405.

      21 Vgl. ders., Grundlinien einer interkulturellen Ethik, 76.

      22 Ebd., 77.

      23 Vgl. W. Lesch, Übersetzungen. Grenzgänge zwischen philosophischer und theologischer Ethik (SThE; 113), Freiburg CH 2013, insbesondere 66 und Kapitel 5.

      24 Vgl. R. A. Siebenrock, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit „Dignitatis humanae“, in: Hünermann, P. / Hilberath, B. J. (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 4, Freiburg i. B. 2005, 125-218.

      25 Vgl. K.-W. Merks, Grundlinien einer interkulturellen Ethik, 123.

      26 Ebd., 157.

      27 Ebd., 196f.

      28 Vgl. zum Folgenden ebd., 223ff.

      29 Vgl. Chr. Becker, Was bleibt? Recht und Postmoderne.