Karin Seethaler

Zum Einklang finden mit sich und den anderen


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Bedenklich ist auch ein Zuviel. Eine übermäßige Beschäftigung mit dem Körper und der Gesundheit kann so weit gehen, dass man andere Lebensbereiche aus dem Blick verliert. Für Fitnessprogramme nimmt man sich Zeit, was natürlich auch gut ist, doch man nimmt sich keine Zeit, innezuhalten. Man arbeitet und ist dann in der Freizeit so sehr mit seinem Körper und mit dessen Fitness beschäftigt, dass kaum mehr Zeit bleibt, sich für Gott und für die Mitmenschen zu öffnen. Bei manchen ist die eigene Gesundheit als höchstes Gut zum modernen Religionsersatz geworden, für den man bereit ist, viel Geld und Zeit zu opfern. Würde in der Meditation das körperliche Wohlbefinden im Zentrum stehen, nähme man überwiegend seinen Körper wahr mit dem Ziel, ihn bestmöglich zu entspannen. Für die göttliche Dimension des Lebens bliebe dann schlichtweg keine Zeit mehr.

       Wie viel Zeit widme ich meiner körperlichen Fitness und meiner Gesundheit? Kommen andere Bereiche meines Lebens dadurch zu kurz?

       Wie gehe ich damit um, wenn mein Körper mir Grenzen setzt?

       Vertraue ich mich in der Sorge um meine Gesundheit Gott an?

       Wenn ich in der Meditation bemerke, dass die natürliche innere Körperspannung nachgelassen hat – dieses Nachlassen zeigt sich zum Beispiel durch einen runden Rücken oder einen nach vorne geneigten Kopf –, richte ich meinen Oberkörper und meinen Kopf wieder auf. Es kann auch geschehen, dass die innere Spannung zu stark ist, so dass ich zum Beispiel die Schultern unmerklich nach oben ziehe und mein Kopf sich etwas nach hinten neigt. Wenn ich dies bemerke, richte ich auch hier meinen Kopf wieder auf und löse die Schultern, indem ich sie etwas fallen lasse. Diese kleinen körperlichen Veränderungen wirken sich unmittelbar auf mein Befinden aus: Sobald ich wieder eine aufrechte Körperhaltung eingenommen habe, fühle ich mich präsenter.

       Achte ich im Alltag immer wieder auf eine aufrechte Körperhaltung?

       Gibt es „Hilfsmittel“, die mich darin unterstützen, in meinen täglichen Verrichtungen eine gute Körperhaltung zu pflegen (zum Beispiel ein Keilkissen, eine erhöhte Arbeitsfläche, bequemes Schuhwerk, gezielte Gymnastik oder regelmäßige Rückenschulung)?

       Ich glaube, dass Krankheiten Schlüssel sind, die uns gewisse Tore öffnen können. Ich glaube, dass es gewisse Tore gibt, die nur die Krankheit öffnen kann. Es gibt einen Gesundheitszustand, der es uns nicht erlaubt, alles zu verstehen; und vielleicht verschließt uns die Krankheit einige Wahrheiten; ebenso aber verschließt uns die Gesundheit andere oder führt uns davon weg, so dass wir uns nicht um sie kümmern. Ich habe unter denen, die sich einer unerschütterlichen Gesundheit erfreuen, noch keinen getroffen, der nicht auf irgendeinem Gebiet ein bisschen beschränkt gewesen wäre; wie Menschen, die nie eine Reise gemacht haben. […] Wer nie krank war, steht vielem Leiden ohne die Fähigkeit zu wahrem Mitgefühl gegenüber. (André Gide) 9

       In der Meditation kann ich mit unterschiedlichsten körperlichen Problemen konfrontiert werden: Der Rücken tut weh, die Knie schmerzen, der Nacken ist verspannt. Dann ist es sehr wichtig, mir die Hilfsmittel zuzugestehen, die diese Schmerzen lindern könnten. Ich kann zum Beispiel den Rücken stabilisieren, indem ich zwischen Stuhllehne und dem unteren Lendenbereich eine zusammengefaltete Decke schiebe. Wenn ich meine Hände auf einem Kissen ablege, werden sie leicht erhöht, wodurch die Schultern entlastet werden. Die Arme ziehen den Oberkörper nicht mehr nach unten. Bei schwerwiegenden Rückenproblemen ist es möglich, sich komplett anzulehnen oder auch im Liegen zu meditieren. Dem Gesunden wird die liegende Position allerdings nicht empfohlen, da sie dazu verleitet, sanft einzuschlummern.

      Körperschmerzen, die sich nur während der Meditation zeigen, können ein Hinweis dafür sein, dass ich eine falsche Sitzposition gewählt habe oder das bewegungslose Sitzen noch nicht gewöhnt bin. Wenn beides nicht zutrifft und trotzdem Körperschmerzen auftreten, die nach der Meditation jedoch abklingen, ist dies ein Hinweis dafür, dass es sich um einen „Heilungsschmerz“ gehandelt hat. Heilung und Wandlung vollziehen sich über den Körper.10 Grundsätzlich ist die innere Haltung wesentlich, die ich gegenüber dem Körperschmerz einnehme und auch gegenüber den Gefühlen, die dieser Körperschmerz in mir auslöst. Diese Empfindungen kommen zu den körperlichen Schmerzen hinzu, so dass ich einem doppelten Schmerz ausgesetzt bin. Generell gilt: Alles, was sich in mir zeigt, darf da sein – auch Gefühle von Angst, Widerstand und Ablehnung gegen den körperlichen Schmerz. Dies zieht viel Aufmerksamkeit von mir ab, was auch zutiefst menschlich ist. Auch Fragen nach dem „ Warum“ der Schmerzen tauchen vielleicht auf und nehmen mich aus der Gegenwart weg. So wie es mir möglich ist, lasse ich diesen Schmerz gewähren und wende mich dem Namen Jesu zu und damit der erlösenden Kraft seines Namens (Apg 4,12). Die Verbindung zu seinem Namen hilft mir, mit meinen menschlichen Begrenzungen der Gegenwart zugewandt zu bleiben. Ich unterdrücke und bekämpfe weder den körperlichen Schmerz noch meine Gefühle, die durch den Schmerz ausgelöst werden. Zwar habe ich einen Körper, ich lebe in ihm. Ich bin jedoch nicht nur Körper und ich bin auch nicht nur Gefühl. Mit der Hinwendung zum Namen Jesu wende ich mich dem Licht seiner Gegenwart zu, das auch in mir gegenwärtig ist. Es geschieht dabei eine Öffnung zu einer Dimension, die über meine körperliche Existenz hinausführt.

      Zeigen sich im Alltag Körperschmerzen, welcher Art auch immer, werden wir natürlich versuchen, sie zu lindern und gegebenenfalls ärztlichen Rat einzuholen. Eine gesunde Selbstfürsorge drückt sich zudem darin aus, dass wir unserem Körper neben der ärztlichen Versorgung auch genügend Zeit und Ruhe zugestehen, um zu gesunden. Es gibt jedoch Schmerzen, die trotz guter medizinischer Versorgung und ausreichender Ruhe spürbar bleiben. Der Körper kann ein strenger, unerbittlicher Lehrmeister sein, der uns auf unsere menschliche Realität verweist, ob wir es wollen oder nicht: Wir sind verwundbar, zerbrechlich und endlich und bekommen dies immer wieder schmerzhaft zu spüren.

      Eine Frau vertraute mir ihren Leidensweg an, der durch einen ständigen Schmerz an ihrem Fuß ausgelöst wurde. Man hatte schon alles versucht, um die Fehlstellung am Fuß zu beheben, die den Schmerz verursachte. Jedoch ohne Erfolg. Zurückgeblieben waren viele enttäuschte Hoffnungen. Es wurde ihr gesagt, dass man fortan nichts mehr für sie tun könne, was konsequenterweise für sie hieß, dauerhaft mit diesen Schmerzen und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit zu leben. Diese Diagnose ließ sie verzweifeln. Alles gute Zureden, dieses Los jetzt anzunehmen, half nichts. Es verstärkte nur ihre Verzweiflung, da alles in ihr diesen Schmerz und die körperliche Einschränkung ablehnte. Auch wenn der Verstand befahl, diese Situation jetzt anzunehmen, waren ihre Gefühle der Ablehnung stärker. In der Meditation erkannte sie dann, dass die Verzweiflung noch viel schlimmer zu ertragen war als ihr Fußschmerz. Ein Ausweg tat sich für sie auf, als ihr bewusst wurde, dass sie sich selbst von ihrem Widerstand und ihrer Verzweiflung nicht befreien konnte und dass sie dies auch gar nicht musste. Diese Befreiung kann nur Gott in ihr bewirken. Der innere Gefühlsaufruhr konnte sich beruhigen, als sie anfing, darauf zu verzichten, sich für ihre Empfindungen zu rechtfertigen oder sich zu verurteilen, weil sie ihre Situation nicht anzunehmen vermochte. Nun bekämpfte sie ihre Empfindungen nicht mehr und versuchte auch nicht mehr, diese zu unterdrücken, sondern sie wandte sich stattdessen mit ihnen der Gegenwart und dem Namen Jesu zu. In dieser Hinwendung wurde sie ruhiger und von einem Hoffnungsschimmer neu berührt. Auch wenn es ihr noch schwer ums Herz zumute war, begann das Quälende allmählich zu schwinden. Im Alltag versuchte sie ebenso, nicht mehr gegen ihre Empfindungen und Körperschmerzen anzukämpfen. Dieser innere Kampf hatte ihr so viel Lebensenergie abgezogen, dass ihre Kraft im Alltag kaum mehr für das Nötigste gereicht hatte. Jetzt vollzog sie eine innere Wende hin zu den alltäglichen, konkreten Schritten, die ihr sehr wohl noch möglich waren und die dazu beitrugen, ihre Lebensqualität trotz der körperlichen Einschränkung zu erhöhen. Indem sie aktiv wurde und etwas unternahm, verringerte sich ihre Angst. Jeder dieser Schritte und jede Wende hin zu seiner Gegenwart führte sie wieder neu ins Leben hinein.

       2. Meine Gedanken bemerken

       Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten. (Volkslied)

      Jeder Gedanke, dem wir eine Bedeutung geben, indem wir mit