Tasche und tastete nach ihnen, wenn ich den Mut verlor.“13
Negative Gedanken können aber bereits durch banale Unannehmlichkeiten in uns ausgelöst werden: Die Wartezeit beim Arzt ist zu lang, die Steuernachzahlung zu hoch, der Handytarif zu kompliziert, die Parkplatzgebühren zu teuer, die Warteschleife für eine telefonische Auskunft zeitraubend und der Arbeitskollege war wieder einmal so rechthaberisch. Man kann sich in diese negativen Situationen und Gegebenheiten durchaus hineinsteigern und sie dramatisieren. Besonders Gruppen können dafür anfällig sein, sich gegenseitig in negativer Weise zu bestätigen, indem man über andere schimpft und sie kleinmacht. Solche Situationen bezeichnet man religiös als Versuchung. Erliegt man ihnen im Alltag, breiten sich die negativen Gedanken immer mehr aus und trüben schließlich das Gemüt entsprechend ein. Denn „auf Dauer nimmt die Seele die Farbe deiner Gedanken an“ (Marc Aurel).
Aufbauende Gedanken, die ermutigen und Kraft geben, sind religiös bedeutsam. Gott, der ein Gott des Lebens ist, fordert dazu auf, das Leben zu wählen. „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen“ (Dtn 30,19). Im Alltag bin ich aufgefordert, mich in meinem Denken und Tun beständig neu für das Leben zu entscheiden. Die konkrete Umsetzung dieser Aufforderung beginnt damit, mich für aufrichtende, stärkende und ermutigende Gedanken zu entscheiden, die mich und andere in ihrer Würde achten. Dies hat nichts damit zu tun, Schwierigkeiten zu ignorieren. Vielmehr hat es mit einer bewussten Entscheidung zu tun. Religiös zu leben heißt, sich für das zu entscheiden, was dem Leben dient und was Sinn stiftet – jeden Tag, jede Stunde, jede Minute neu. Die konsequente Hinwendung zu aufbauenden, lebensbejahenden Gedanken verändert meinen Blick auf mich selbst, auf andere und auf das Leben. Im beständigen Zurückkehren zur Gegenwart bzw. zu etwas Konkretem verlieren die negativen Gedanken ihre Macht. Sie können meine Stimmung nicht mehr nach unten ziehen. Ich werde stattdessen wieder empfänglich für das Gute, das unabhängig von diesen einengenden Gedanken in meinem Leben auch noch da ist. Ich erfahre, dass dieser innere Weg, den ich streckenweise als inneren Kampf erfahren kann, eine innere Grundhaltung in mir wachsen lässt, die dem Leben zugewandt bleibt und es bejaht, so wie es ist.
Paulus ruft dazu auf, unser Denken zu erneuern (Röm 12,2). Was bedeutet diese Aufforderung für mich konkret? Welche Gedanken haben eine negative Auswirkung auf mein Lebensgefühl? Welche Gedanken bauen mich stattdessen auf und ermutigen mich? Was hilft mir, mich in schwierigen Situationen bewusst an sie zu erinnern und an ihnen festzuhalten?
In der Meditation kann es Zeiten geben, in denen es notwendig ist, mir bewusst lebensfördernde Gedanken ins Bewusstsein zu rufen, um von negativen Gedanken, die mich beständig um mich selbst kreisen lassen, Abstand zu nehmen. Der große Mystiker Meister Eckhart empfiehlt: „Du Mensch, schau dich in deinem Leben nie so an, als wärst du ferne von Gott. Und wenn du dich nicht so ansehen kannst, dass du nah seist bei Gott, so fasse doch den Gedanken, dass Gott nahe bei dir ist.“ Gedanken dieser Art führen mich wieder in die Beziehung zu Gott und lenken meine Aufmerksamkeit hin zu seiner lebensspendenden Gegenwart, auch wenn ich sie nicht spüre.
Der Alltag kann Zeiten mit sich bringen, in denen man so aufgewühlt ist, dass man in der Stille keinen Halt findet. Kontemplativ im Alltag zu leben bedeutet nicht, dass man immer ausgeglichen und ruhig ist, sondern dass man stets auf Gott bezogen bleibt. Gebete, die man auswendig kennt, helfen uns dabei, mit Gott in Beziehung zu bleiben. Das langsam gesprochenen Gebet in unruhigen Zeiten erfährt man dann als Stütze.
Im Anhang dieses Buches finde ich eine kleine Auswahl von Gebeten. Ich wiederhole das Gebet, das mich anspricht, immer wieder und lerne es dabei auswendig. Es steht mir dann jederzeit zur Verfügung. Doch nicht die auswendig gelernten Worte sind das Entscheidende, sondern die Resonanz, die sie in mir auslösen.
Die Bibel ist eine Schatztruhe von Gedanken und Worten, die Hoffnung geben und neuen Mut. Die Kraft der Worte Jesu lässt Petrus sagen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68).Jesu Worte schenken Frieden, selbst in Augenblicken der Verwirrung. Sie ermutigen zum nächsten Schritt, auch wenn uns der Mut verlassen will. Sie geben Zuversicht, selbst im Schmerz.
Welche Worte von Jesus kenne ich, die mich zuversichtlich stimmen und Mut zusprechen?
Es wurde mir erzählt, dass jemand beim Durchblättern einer Bibel am Seitenrand des Öfteren ein „E“ bemerkte. Er ging davon aus, dass die Mutter seines Freundes, der die Bibel gehörte, immer wieder den Anfangsbuchstaben ihres Vornamens vermerkte. Als er nachfragte, antwortete sein Freund zu seiner Überraschung: „Nein, ‚E‘ bedeutet ‚Erfahren‘. Meine Mutter hat erfahren, was an dieser Stelle geschrieben steht.“
Ich lese die Bibel unter dieser Perspektive. Welche Bibelstelle kann ich mit meinem Leben in Verbindung bringen? Welche Bibelstelle bringt meine eigene Erfahrung zum Ausdruck?
So wie unser Körper gute Nahrung braucht, um gesund zu bleiben, braucht unsere Seele ebenso gute Nahrung, um Gott im Alltag zugewandt zu bleiben. Mit welcher Literatur nähre ich meine Seele?
Psalmen sind ein Schatz, in dem Menschen seit Jahrtausenden Worte wiederfinden, die ihre eigenen Klagen und Nöte sowie ihre Hoffnungen und ihren Dank vor Gott zum Ausdruck bringen. Welche Psalmworte kenne ich? Welche sind für mich bedeutsam? Wenn ich den einen oder anderen Psalmvers auswendig lerne, steht er mir im Alltag zur Verfügung.
2.3 Umgang mit immer wiederkehrenden Gedanken
Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert. (Albert Einstein)
Sobald ich merke, dass ich in der Meditation in Gedanken bin, wende ich mich von ihnen ab und der konkreten Wahrnehmung zu. Dies ist möglich bei zusammenhanglosen, sich aneinanderreihenden Gedanken. Wenn Gedanken jedoch um ein bestimmtes Thema kreisen, das mich sehr beschäftigt oder vielleicht sogar bedrängt, ist es fast aussichtslos, in dieser Weise mit ihnen umzugehen. Wenn mir zum Beispiel ein Konfliktgespräch beständig durch den Kopf geht, scheint ein Zurückkehren zur Wahrnehmung nur einen Bruchteil einer Sekunde möglich zu sein. Kaum habe ich meine Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung gelenkt, schon taucht der nächste Gedanke zum gleichen Thema auf. Immer wiederkehrende Gedanken sind ein Hinweis auf Gefühle, die ich noch nicht angeschaut habe. Ich wende mich deshalb nicht immer wieder nur von diesen Gedanken ab, sondern halte manchmal inne und achte darauf, was sie in mir auslösen und welche Empfindungen mit all den beständig wiederkehrenden Gedanken mitschwingen. Es könnte sein, dass ich einen gewissen Ärger wahrnehme. Dann ist dieser Ärger, der zwar in mir ist, jedoch von mir noch nicht wahrgenommen wurde, die Quelle der wiederkehrenden Gedanken. Wenn ich den Ärger nun bewusst wahrnehme und ihn mir zugestehe, trenne ich ihn nicht länger von mir weg. Es fällt dadurch etwas Spannung von mir ab und es kann ruhiger in mir werden. So wie es mir möglich ist, wende ich meine Aufmerksamkeit immer wieder neu der Gegenwart und dem Namen Jesu zu. In dieser Verbindung, auch wenn sie schwach erscheint, geschieht unmerklich Wandlung.
Sich von positiven wiederkehrenden Gedanken zu lösen ist in der Meditation manchmal schwieriger als von negativen. Wenn ich zum Beispiel voller Freude gedanklich mit der Planung einer Geburtstagsfeier beschäftigt bin, ist es alles andere als einfach, mich von diesen Gedanken abzuwenden. Wer wendet sich schon gerne von etwas ab, das Freude bereitet? Der meditative Umgang besteht jedoch nicht darin, sich von der Freude abzuwenden, sondern von den Gedanken. Die Freude nehme ich ausdrücklich wahr und wende mich mit ihr dem Namen Jesu zu.
Im Alltag erfährt man nicht die positiven, sondern die negativen immer wiederkehrenden Gedanken als belastend. Sie fixieren die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema. Es fehlt ein gewisser Abstand, der es ermöglichen würde, in Ruhe auf dieses Thema zu schauen. Stattdessen wiederholen sich die gleichen Gedanken wie bei einer hängengebliebenen Schallplatte. Man reagiert nicht mehr auf das, was jetzt ist, sondern auf seine Gedanken im Kopf, was wiederum belastend in Beziehungen hineinwirken kann.
Als Kind war ich von der Möglichkeit beeindruckt, mit meinem Zeigefinger, den ich ganz dicht vor mein Auge hielt, den großen Mond verdecken zu können. Wenn ich den Zeigefinger