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Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?


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Armutsbekämpfung ist nicht Umverteilung, sondern Entwicklung eigener Potenziale

       Kurt Gerhardt ist Journalist, arbeitete 1983–1986 für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) im Niger, ist Mitbegründer u. a. der Initiative „Grundbildung in der Dritten Welt“, des Vereins „Makaranta“ sowie des „Bonner Aufrufs – Für eine andere Entwicklungspolitik!“ 23

      Die deutsche Kirche ist reich. Sie gilt jedenfalls als reich, verglichen mit den Verhältnissen in anderen Industrieländern, wie z. B. Frankreich. Sie gibt aber auch reichlich. Von deutschen Hilfswerken (u. a. Misereor, Caritas International und Missio), Diözesen und Orden flossen im Jahre 2011 etwa 165 Millionen Euro in afrikanische Entwicklungsprojekte. Finanziell nicht abzuschätzen ist der persönliche Beitrag vieler Missionare und anderer kirchlicher Helfer. „Entwicklungsprojekte“ kann vielerlei heißen. Bei einer Kirche wird man an erster Stelle an missionarische Einsätze denken, weil, wie etwa Papst Paul VI. gesagt hat, „Evangelisierung die eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität“ sei (z. B. Evangelii nuntiandi, 14). Die Kirche hat aber, so ebenfalls Papst Paul VI. „den ganzen Menschen“ im Blick und engagiert sich daher für Entwicklung im weitesten Sinn, für Seele und Leib (z. B. Populorum Progressio, 14).

      Der „Bonner Aufruf für eine andere Entwicklungspolitik“ interessiert sich nicht dafür, was die Kirchen an religiöser Entwicklungsarbeit in Afrika leisten, sondern für die personelle und finanzielle Unterstützung außerhalb dieses Bereichs, zum Beispiel in der Bildung, im Gesundheitswesen und in der Landwirtschaft. Der nicht-religiöse Anteil der katholischen Entwicklungshilfe ist allerdings kaum kalkulierbar, weil die Übergänge zwischen den verschiedenen Bereichen oft fließend sind. In der kirchlichen Hilfe – und das gilt besonders für Caritas International – ist außerdem ein großer Anteil an humanitärer oder Not- bzw. Katastrophen-Hilfe enthalten, die zwar im öffentlichen Bewusstsein, nicht aber in der Fachwelt zur Entwicklungshilfe zählt. Auch hier lassen sich Größenordnungen kaum bestimmen.

      Niemand kann also einigermaßen genau sagen, wie viel Geld die „reiche“ katholische Kirche Deutschlands für Entwicklungshilfe im engeren Sinn in Afrika ausgibt. Dennoch wird man sagen können, dass es jährlich etliche zig Millionen Euro sind. Soweit dies der Fall ist, darf man annehmen, dass kirchliche Träger – und vor allem die Praktiker der Hilfe vor Ort – es überwiegend mit ähnlichen Bedingungen zu tun haben wie staatliche Organisationen, etwa die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit). Sie treffen auf die gleichen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen in den Partnerländern, die gleichen Denk- und Handlungsweisen der Menschen und auf die gleichen Schwierigkeiten wirksamen Gebens und Nehmens – des anspruchsvollsten Teils des komplexen Unternehmens „Entwicklungshilfe“. Wir können in Afrika noch so bescheiden und einfühlsam auftreten – für die Massen der Armen sind und bleiben wir die „reichen Onkel“ aus dem Norden. Dieser Reichtum betrifft nicht nur unser Geld, sondern auch unsere Fähigkeiten und Erfahrungen. Und diese schwierige Ausgangslage gilt nicht nur für GIZ-Experten, sondern in ähnlicher Weise für alle, auch für Missionare.

      Diese völlig unterschiedlichen Ausgangsbedingungen einer Zusammenarbeit zwischen Arm und Reich bergen erhebliche Gefahren. Dass diese in der Vergangenheit nicht klar genug erkannt und vermieden worden sind, ist der wesentliche Grund für das weitgehende Scheitern unserer Entwicklungshilfe in Afrika.

       Das Subsidiaritätsprinzip wird nicht ernst genug genommen

      Nachdem ich 1983 die Praxis der Entwicklungshilfe in Afrika einige Monate lang erlebt hatte, schrieb ich dem „Nestor“ der Katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, in einem Brief, die Entwicklungshilfe sei ein Bereich, in dem nach meinem Eindruck das Subsidiaritätsprinzip dringend konsequenter angewandt werden müsse. Offensichtlich war ich der Meinung, dass dies bei weitem nicht der Fall war. Man konnte leicht erkennen, dass wir als Entwicklungshelfer viel zu aktiv waren, während die afrikanischen Partner, die es eigentlich sein sollten, es nicht genügend waren.

      Nell-Breuning beantwortete meine Beobachtung damals mit dem beeindruckenden Satz, wir müssten beim Helfen darauf achten, dass wir unsere afrikanischen Partner nicht zu Objekten der Hilfe machten, dass sie vielmehr Subjekte ihrer Entwicklung blieben. Falsches Helferverhalten hat mit unserer Position der Reichen zu tun. Sie hat bis heute wesentlich dazu beigetragen, dass wir uns im Übermaß für die Entwicklung Afrikas zuständig fühlen. Aus dieser Haltung heraus zu handeln verstößt gegen das Subsidiaritätsprinzip, weil es die Eigenverantwortung der Partner geringachtet und behindert; es verletzt auch ihre Würde. Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll Hilfe so gegeben werden, dass der, dem geholfen wird, möglichst bald unabhängig von Hilfe wird. Hilfe, die ein halbes Jahrhundert lang gegeben wird, kann nur das Gegenteil bewirken. Wir Reichen haben Hilfe zu einem Dauerprozess mit unabsehbarem Ende gemacht. Damit haben wir die Abhängigkeit der Afrikaner von Hilfe immer mehr verstärkt.

      Die Kirchen wird man davon nicht ganz ausnehmen können. Wenn zum Beispiel ein Missionsorden bestimmte Pfarreien, Klöster und Gemeinden in Afrika über viele Jahre hin finanziell fördert, wird dadurch die afrikanische Vorstellung von den Reichen im Norden gefestigt, auf deren gute Gaben man auch in Zukunft hoffen darf. Mit der Zeit bildet sich sogar die Einstellung, auf diese Wohltaten einen Anspruch zu haben, und sei es als Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht in der Kolonialzeit. So berechtigt diese Haltung sein mag, ihre Auswirkungen sind verheerend.

      Die jahrzehntelange Hilfe hat längst zu einer schweren Schädigung der afrikanischen Mentalität geführt, die sich z. B. so äußert: Wenn sich ein Problem auftut, stellt sich typischerweise und reflexhaft zuerst die Frage „An welche ausländische Organisation wenden wir uns am besten, um das Problem zu lösen?“, statt zuerst mal die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ein späterer afrikanischer Präsident sagte mir schon in den achtziger Jahren: „Nous sommes devenus un peuple de la main tendue.“ (Frei übersetzt: Eure Hilfe hat uns zu Bettlern gemacht.)

      In der Dritte-Welt-Szene schien früher Konsens zu sein, dass die helfenden Organisationen sich so bald wie möglich überflüssig machen müssten. Nach 50 Jahren Entwicklungshilfe scheint von diesem Selbstverständnis nichts übriggeblieben zu sein. Hat man je von einer Hilfe-Agentur, ob kirchlich oder staatlich, gehört, sie habe beschlossen, ihre Arbeit demnächst einzustellen? Man stelle sich vor, die deutschen Bischöfe beschlössen, Misereor in drei Jahren zu schließen. Dass das wie eine verrückte Idee klingt, ist auch ein Zeichen dafür, wie weit das organisierte Helfen in die falsche Richtung gelaufen ist.

      Ein wesentlicher Grund dafür, dass das organisierte Helfen inzwischen als Ewigkeitsveranstaltung angelegt zu sein scheint, ist nicht die Not der anderen, sondern das eigene Interesse. Die Hilfe-Apparate, national wie international, privat wie staatlich, haben längst ein solches Ausmaß und eine derartige Verfestigung erreicht, dass ein Rückbau gar nicht mehr als denkbar erscheint. Sehr viele Menschen, die in diesem System arbeiten, leben sehr gut damit und möchten es nicht missen – um es zurückhaltend zu sagen.

      Die Abhängigkeit von der Entwicklungshilfe ist also zweiseitig; sie betrifft die Nehmenden ebenso wie die Gebenden.

       Entwicklungshilfe ist nicht Nothilfe

      Der Versuch, die offensichtliche Erfolglosigkeit des Hilfesystems zu überwinden, führt gelegentlich zu absurden Ergebnissen. Vor Jahren kam die Idee auf, das Wort „Entwicklungshilfe“ sei entwürdigend und solle daher nicht mehr verwendet, sondern durch „Entwicklungszusammenarbeit“ ersetzt werden. Der Vorschlag wurde anstandslos exekutiert, auch im kirchlichen Bereich. Dass „Hilfe“, einer der nobelsten Begriffe der Menschheitsgeschichte, nicht mehr sein durfte, sagt einiges über die Orientierungslosigkeit des Entwicklungshilfewesens.

      Zu den Kardinalfehlern unserer Entwicklungspolitik gehört die Fixierung auf „mehr Geld“, die Vorstellung, mehr Geld führe zwangsläufig zu mehr Entwicklung. Als habe es nicht ein Übermaß an Beweisen dafür gegeben, dass mehr Geld Entwicklung nicht nur nicht vermehrt, sondern oft sogar behindert hat, etwa durch Minderung afrikanischer Eigenanstrengungen. Wahre Entwicklung