Группа авторов

Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?


Скачать книгу

der Armen, die Stärkung der Frauen, ihre Beteiligungschancen in der Gesellschaft und auch in den politischen Entscheidungen. Viele derartige Projekte habe ich vor Ort selber kennenlernen dürfen und das Engagement der Menschen, die ich ins Herz geschlossen habe, bewundert. Sei es das Engagement in den Slums von Kalkutta, um den Menschen Chancen für ein Einkommen zu geben, sei es im Umfeld von Lima, wo Jugendliche, die Elektroschrott „aufarbeiten“ wollten, neue Lebensperspektiven erhalten sollten, sei es das Engagement zur Aufarbeitung von Gewaltherrschaft in Peru oder auch in El Salvador.

       Der Blick nach vorne

      Aber es gilt auch dranzubleiben: Wir müssen uns weiter gemeinsam gegen gravierende Ungerechtigkeiten engagieren, zum Beispiel gegen ungerechte Handelsbeziehungen, die nach wie vor afrikanische Länder vor allem als Exporteure von Rohstoffen betrachten. Oder gegen das immer noch stattfindende „Landgrabbing“: Viele Industrie- und Schwellenländer kaufen oder pachten Millionen Hektar Land in afrikanischen Ländern für den Anbau von Energiepflanzen. Land, das eigentlich für die Nahrungsproduktion der Afrikaner selbst benötigt wird. Das bedeutet, dass gerade auf dem Kontinent, auf dem noch immer Millionen Menschen von Hunger bedroht sind, den Menschen Lebensperspektiven entzogen werden. Wir haben eine gemeinsame Verpflichtung: den Entwicklungsländern und den Menschen, die dort leben, die souveräne Entscheidung über die Verpachtung von Land zu ermöglichen, das heißt, die Freiwilligen Leitlinien der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, in den internationalen Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds in deren Geschäftspolitik umzusetzen.

      Eine weitere große, gemeinsame Initiative ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer als eine „Steuer gegen Armut“. Diese Steuer ist keine Utopie! Eine Welt, in der wir uns für faire Verteilung einsetzen, ist keine Utopie sondern eine realistische und verwirklichbare Forderung! Ähnlich wie bei der Entschuldungsinitiative Ende der 1990er Jahre und zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir heute mit der Finanztransaktionssteuer die Chance für eine Umsetzung zwischen den Beteiligten einer Basisbewegung, gerade auch den kirchlichen Initiativen, und denen in der Politik, die dazu guten Willens sind. Wir wissen seit Jahren, wie notwendig diese Steuer ist, viele andere erkennen erst jetzt, dass es sich nicht um eine Utopie handelt! Schon 2001 habe ich als Bundesministerin bei dem Frankfurter Professor Paul Bernd Spahn die Studie „Zur Durchführbarkeit einer Devisentransaktionssteuer“ in Auftrag gegeben. Diese hat dargestellt, dass die Steuer keineswegs nur global, sondern auch innerhalb von Zeitzonen funktionieren kann. Sie könnte also zunächst für die europäische Zone bzw. die Eurozone eingeführt werden. Damals wurde diese Botschaft vor allem von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Wir waren damals schon überzeugt: Für ein ökonomisches, ökologisches und soziales Zusammenleben brauchen wir globale Regelungen – brauchen wir Global Governance!

      Wir dürfen nicht zulassen, dass wir als die Generation in die Geschichte eingehen, die zwar Billionen aufbrachte, um den Finanzsektor zu retten, aber nicht die Kraft oder den Willen aufbrachte, die Welt vor Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und Klimawandel zu retten. Aber wir müssen sorgfältig darauf achten, dass die Mittel der Finanztransaktionssteuer nicht zum Stopfen der Haushaltslöcher von Industrieländern missbraucht werden. Es muss eine wirkliche „Steuer gegen Armut“ sein! Es braucht unsere gemeinsame Initiative zur Regulierung der Finanzmärkte und gegen den Marktradikalismus. Dies ist treffend beschrieben im „Aufruf für eine prophetische Kirche“, in dem es heißt: „Übermächtige Finanzinstitute haben die weltweite Finanzkrise verursacht und die Gesellschaft in Geiselhaft genommen. Sie haben die Politik unter Druck gesetzt, ihre Spekulationsverluste kommenden Generationen aufgebürdet und gesellschaftliche Verantwortung verweigert.“20 Das heißt eben auch, den global agierenden Kapitalismus zu bändigen und gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ einzutreten, gegen die Papst Franziskus so wirkungsvoll ankämpft.

      Ebenso braucht es gemeinsame Initiativen, um die Millenniumsentwicklungsziele, die acht Regeln für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung sind, zu verwirklichen. Wir haben bereits große Fortschritte gemacht, zum Beispiel bei der Armutsbekämpfung und beim Thema Gesundheit. Trotzdem müssen wir weiter die wachsende Ungleichheit überwinden. Wir haben große Fortschritte gemacht beim Kampf gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose, vor allem durch die Arbeit des Globalen Fonds. Zum ersten Mal gibt es die reale Chance, dass es eine Generation frei von HIV/Aids gibt. Aber wir brauchen dennoch mehr Engagement bei der Bekämpfung der Mütter- und Kindersterblichkeit. Die Kindersterblichkeit ist zwar um ein Drittel zurückgegangen, dies ist allerdings immer noch zu langsam zur Erreichung des Millenniumsentwicklungsziels 4. Die Müttersterblichkeit ist seit 1990 fast halbiert worden, jedoch immer noch weit vom Ziel für 2015 entfernt. Dabei ist es besonders wichtig, Frauen den Zugang zu Mitteln der Familienplanung und zu sozialen Dienstleistungen zu ermöglichen. Bei der Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele 7 und 8 gilt es, sich auch noch einmal bewusst zu machen, dass die Ärmsten durch die weiter zunehmende Umweltzerstörung am meisten betroffen sind. Auf diesen Hintergrund ist ein globales Engagement zugunsten der Einhaltung der Finanzzusagen dringender denn je: Im Jahr 2012 sind die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit weltweit um 4 Prozent gesunken. Wir sind weit entfernt von dem bereits 1972 gegebenen Versprechen der reichen Länder, 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für die Entwicklung armer Länder zur Verfügung zu stellen. Es ist an der Zeit, endlich die globalen Gewichte anders zu setzen: 1,7 Billionen US-Dollar werden nach wie vor für Rüstung ausgegeben.

      Nicht nur deshalb sollten wir uns gemeinsam gegen einen Einstieg in eine neue Aufrüstungsrunde bei Kampfdrohnen einsetzen. Es besteht die Gefahr, zu einer im Verborgenen stattfindenden Kriegsführung zu kommen, die die generelle Ächtung des Krieges im Völkerrecht unterläuft. Krieg würde damit unter die Wahrnehmbarkeitsschwelle gedrängt. Krieg würde „banalisiert“, wie das Friedensgutachten 2013 der vier Friedensforschungsinstitute festgestellt hat.21 Verantwortliche Regierungen, NGOs und Kirchen sollten sich explizit gegen den Export von Waffen und Kleinwaffen in Länder, die die Menschenrechte missachten und die nur neue Konflikte schüren, engagieren.

      Wir brauchen ein gemeinsames Engagement bei der Erarbeitung der so genannten Nachhaltigkeitsentwicklungsziele (Sustainable Development Goals), die von 2015 an bis 2030 verwirklicht werden und als universell gültige Regeln, die den Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit mit dem Kampf gegen die Klimaveränderungen verbinden, gelten sollen. Konkrete Beispiele sind: die extreme Armut in all ihren Formen und gerade auch den Hunger beenden; die Entwicklung „innerhalb der planetarischen Grenzen“ halten sowie Nachhaltige Energie für alle fördern.

      Und notwendig ist: Gemeinsames Engagement für Lenkungsstrukturen zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung: Transparenz, Rechenschaftslegung, Beteiligung, das Ende von Steueroasen, international verbindliche Regeln für das internationale Finanzwesen und für den Handel müssen so gestaltet werden, dass sie mit der Verwirklichung der Ziele für die nachhaltige Entwicklung im Einklang stehen. Das heißt vor allem auch eine organisierte Rechenschaftspflicht der Unternehmen, die zum Beispiel in der Textilindustrie in Entwicklungsländern arbeiten, über die Einhaltung von Schutzpflichten und ILO-Normen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Um all das besser erreichen zu können, sollten Religionsgemeinschaften, Kirchen und Politiker sich gemeinsam engagieren für einen UN-Sicherheitsrat für nachhaltige Entwicklung, in dem alle Regionen hochrangig vertreten sind und eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft verwirklicht wird, damit die Ziele der Nachhaltigkeit und globalen Gerechtigkeit auch global eine Chance haben.

      Meine Hoffnung, die ich in der Zeitschrift „Franziskaner“ geäußert habe, ist eingetreten:22 Papst Franziskus versteht sich als Gewissen der Welt und engagiert sich für globale Gerechtigkeit und die Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt. Diese Stimme für globale Gerechtigkeit fehlte bisher in unserer Welt! Ich hoffe, dass sein Wirken im Sinne des heiligen Franz von Assisi dazu beiträgt, dass die Menschen, die in unserer Welt an den Rand gedrängt werden, in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rücken. Er soll ein Papst für alle Menschen sein, einer, der sich der Ökumene öffnet und den Dialog der Religionen fördert. Es ist wichtig, dass die Nachhaltigkeitsziele, die ab dem Jahr 2015 gelten sollen, auch von den Kirchen mitgestaltet und vor allem auch mit umgesetzt werden. Eine bessere Welt kommt nicht von allein, dies bedarf des Engagements aller!