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Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?


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Instanzen der Kirche wachen über die Geschicke und Vorgänge der Welt und der Kirche selbst. Aufmerksamkeit ist nötig. Die Aufmerksamkeit auf die gute Entwicklung in die Zukunft darf nicht mit Angst um Position und Macht verwechselt werden. Freude an der guten Sache ist stärker als die Angst vor bösen Entwicklungen. Die Angst vor Bösem führt das Böse mitunter erst herbei. Die Kirche wird Kirche der Armen, wenn sie die Haltung des Staunens und der Fröhlichkeit der Armen lebt und teilt.

      –Im Sonnengesang hat Franziskus alle Geschöpfe – sogar den Tod – seine Geschwister genannt. Welche Gelassenheit, welche Offenheit und Freiheit sich da ausdrückt! Dieses Lied soll Franziskus im Augenblick des Todes angestimmt haben, in der Situation letzter Gott- und Weltoffenheit. Ist nicht das das tiefste Zeugnis, das ein Armer zu geben hat?

      –In der asiatischen wie auch in der christlichen Tradition wird Armut als eine Quelle innerer Freiheit gesehen, die nötig ist, um den Willen Gottes überall und in allen Dingen zu finden. So gibt es in diesen Traditionen viele inspirierende Geschichten, die oft mit einem Guru, einem geistlichen Lehrer zu tun haben. Etwa: Ein Räuber bestahl den geistlichen Meister. Der Dieb aber ist beeindruckt und beschämt von der Armut des Bestohlenen. Dieser überlässt dem Räuber willig seinen ganzen Besitz. Der Räuber aber merkt, dass ihm der geistliche Meister viel mehr geschenkt hat, als er selbst zuerst sah. Der Arme übergibt mit seiner Armut seinen ganzen Reichtum (vgl. Lk 21,1–4).

      –Eine Kirche der Armen setzt nicht Interessen jeglicher Art ins Zentrum, sondern im Zentrum, als Anfang und Ende, steht Gott. „Primo Deum“ („Zuerst Gott“) hat Ignatius von Loyola gesagt. An Gott orientiert sie sich. Ihn sieht sie im „Mensch gewordenen“ Herrn, im „armen Christus“. Dieser aber fordert die Kirche auf, sich ihm anzugleichen, ein „alter Christus“ (ein anderer Christus) zu werden. Das fordert von der Kirche, die wie er werden will, Mut zu einer Freiheit, die nicht an Äußeres gebunden ist, an Dinge und Traditionen, sondern offen ist für Neues und für Überraschungen.

      –Eine Kirche für die Armen muss selbst arm und bescheiden werden. Die Exerzitien des hl. Ignatius lehren, dass Gott in allem sich gibt, in allem wirkt und lebt, in allem von oben herabsteigt wie das Wasser von der Quelle und die Strahlen von der Sonne (Geistliche Übungen Nr. 340 f.): Gott ist in allem zu finden. Das gilt nicht nur innerhalb der Grenzen des katholischen Glaubens, sondern universell. Die Kirche hat gelernt, dass der Dialog mit den Religionen und Kulturen nicht mehr aus dem Bewusstsein der abendländischen Superiorität geführt werden kann. Die Kirche kann in ihrem Dialog den anderen Kulturen und Religionen nur auf Augenhöhe begegnen. Sie muss das Evangelium verkündigen, aber im dialogischen Ringen um die Wahrheit. Sie wird den Reichtum der Kulturen respektieren und bereit sein, auch von der Wahrheit und von den Werten, von den menschlichen Haltungen und vom Geist Gottes, der auch in anderen Religionen und Kulturen waltet, zu lernen. Sie ist nicht mehr das „signum elevatum inter populos“, wie das Erste Vatikanische Konzil sagte, ein herausragendes Zeichen unter den Völkern, sondern die Dienerin der Wahrheit und die Zeugin der Liebe.

      –Eine solche Kirche kann schließlich vor der modernen Gesellschaft glaubwürdig bezeugen, dass ein menschliches, liebevolles und in großer Freude gelebtes Leben auch mitten in der Armut möglich ist, ohne alle die guten Dinge zu haben, die für ein frohes Leben so wesentlich erscheinen. Es gibt in dieser Hinsicht zahllose Zeugnisse christlicher und nicht-christlicher Heiliger.

      Die Rede von der Kirche für die Armen als einer armen Kirche löst Angst und Unsicherheit aus. Auf theoretischer Ebene und mit Argumenten kann man Ängsten kaum begegnen. Wir werden uns in immer neuen Begriffsklärungen und endlosen Definitionen verfangen. Die Sprache von Gleichnissen und Zeichen, wie sie Papst Franziskus in großer Zahl setzt, führt weiter, rüttelt auf und schafft Raum zum Denken – und Beten.

       Martha Zechmeister

       Theologische Einführung: Jorge Mario Bergoglio – der Papst der Befreiungstheologie?

       Dr. Martha Zechmeister CJ ist Professorin für Theologie an der Universidad Centroamericana in San Salvador 3

      Seit ich den Beitrag zu diesem Buch zugesagt habe, habe ich mich tausende Male deshalb verwünscht. Denn von einem Moment zum anderen kam ich nicht damit nach, die widersprüchlichsten Emotionen zu verarbeiten, die dieser neue Papst seit seiner Wahl am 13. März 2013 in mir auslöste. Mein Beitrag soll redlich sein – und so kann ich nichts anderes anbieten als eine Chronik dieses Wechselbades der Gefühle. Sicher ist eines: Der Rhythmus, in dem dieser Papst zum Umdenken zwingt, ist atemberaubend.

      Ich arbeite an jener Universität, an der 1989 am Ende des zwölfjährigen Bürgerkriegs sechs Jesuiten und zwei Frauen von den Militärs und der faschistoiden Regierung umgebracht wurden. El Salvador gehört weltweit zu den Spitzenreitern in Sachen Ungleichverteilung und Gewalt: die Schere zwischen extrem Armen und extrem Reichen klafft dramatischer auseinander denn je – und gerade die Armen werden von gewalttätigen Jugendbanden terrorisiert. Diese sind selbst Opfer der hohen Jugendarbeitslosigkeit, der Perspektivenlosigkeit und des organisierten Verbrechens großen Stils, das sich ihrer als billige Handlanger und Tarnung bedient. Aus dieser Perspektive habe ich bis jetzt dieses Pontifikat wahrgenommen.

       Die Schatten der Vergangenheit

      Es war ein scharfer Kontrast. Als der neue Papst in Rom auf die Loggia trat, saß ich mit meinen Hausgenossinnen – Studentinnen, die aus Situationen extremer Armut kommen – beim Mittagessen und verfolgte die Ereignisse im lokalen Fernsehen. Als der Kardinaldekan den Namen Bergoglio aussprach, erstarrte ich zur Salzsäule. Denen um mich herum sagte der Name zunächst nichts, doch als ihnen klar wurde, dass es sich um einen Lateinamerikaner handelt, erschallte euphorischer Jubel: im Esszimmer, aus dem Fernsehgerät, aus den Fenstern der Nachbarn – und es wurde um die Wette geböllert, ganz so, als ob die Nationalmannschaft gerade ein wichtiges Tor geschossen hätte.

      Ich jedoch fühlte in diesem Augenblick alles bedroht, was ich mir vom Weg meiner Kirche in die Zukunft erhoffe und ersehne, gerade und vor allem die Vision einer „Kirche der Armen“, deren glaubwürdigste Repräsentanten für mich Oscar Romero und Ignacio Ellacuría sind. Denn das Einzige, was ich in diesem Moment mit dem Namen Bergoglio verband, war, dass er unter Verdacht stand, als Provinzial der Jesuiten in Argentinien seine eigenen Mitbrüder während der Zeit der brutalen Militärdiktatur verraten zu haben. Als junge Ordensfrau hatte ich bei Exerzitien von dem gehört, was die beiden Jesuiten Franz Jalics und Orlando Yorio durchgemacht hatten. Sie lebten als Seelsorger in einem Elendsviertel, wurden als Terroristen verdächtigt und haben die fünf Monate Folter, Haft und Todesangst nur durch das Jesus-Gebet überlebt. In mir weckte damals diese Erzählung die Sehnsucht, wie sie die Nähe zu Jesus in den Armen zu suchen – und sie konfrontierte mich damit, wohin konsequente Nachfolge führen kann. Der Name Bergoglio fiel in diesen Exerzitien nicht, ebenso wenig wie in dem Buch von Jalics,4 das mir ein Jahrzehnt danach half, mich wieder auf meine „erste Liebe“ zurückzubesinnen. Doch später hörte ich von argentinischen Freunden, dass mit der „Person“, von der Jalics schreibt, dass sie mit ihrem Leben spielte und es unterließ, sich für sie einzusetzen, sein damaliger Provinzial Jorge Mario Bergoglio, der spätere Erzbischof von Buenos Aires, gemeint war.

      Wenn ich etwas von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie gelernt habe, dann dies: Die Opfer haben ein unbedingtes Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Sosehr der Ausruf des neuen Papstes bei seiner ersten Pressekonferenz „Ach, wie sehr möchte ich eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen!“ mich faszinierte und Hoffnung in mir weckte, so unerträglich war für mich der Gedanke, dass dieses Programm mit einem solchen Schatten belastet sein könnte. Seitdem habe ich viel gelesen, von verbissenen Enthüllungsjournalisten und voreiligen Apologeten – und von glaubwürdigen Zeugen, die dennoch dieselben Ereignisse in ganz verschiedenen Versionen beschreiben. Klar wurde mir vor allem eines: Wie wenig aufgearbeitet die Zeit der Diktatur ist und wie offen die Wunden heute noch sind.

      Aufatmen ließ mich schließlich das Zeugnis des argentinischen Friedensnobelpreisträgers