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Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?


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den bekannten Dreischritt umsetzen: „Umeinander wissen, füreinander beten, solidarisch sein“. So soll sich die Kirche in Deutschland, jedes Bistum und jede kirchliche Institution immer wieder die Frage stellen: Sind wir noch auf dem rechten Weg bezüglich einer „armen Kirche und Kirche für die Armen“? Es besteht immer die Gefahr, wieder nachlässig zu werden und vom Ideal abzufallen. Im Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche wichtige und tiefgreifende Umdenk- und Umstrukturierungsprozesse eingeleitet. Viele Texte des Konzils, der Katakombenpakt, aber auch die Enzykliken „Pacem in terris“ von Papst Johannes XXIII. und „Progressio populorum“ von Papst Paul VI. enthalten die Forderung: Weg von der Wohltätigkeit, hin zur Solidarität. Die Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ fordert auf, alle spirituellen, personellen und materiellen Güter brüderlich zu teilen. Das Ziel davon ist, die einzelnen Ortskirchen weltweit eigenständig zu machen. Die Begriffe „Ermächtigung“, „Hilfe zur Selbsthilfe“ und „Aufbau der Kirche vor Ort“ sind die entsprechenden Stichworte. Deshalb muss auch in Deutschland erneut darüber nachgedacht werden, ob nicht der Terminus „Hilfswerk“, der für Misereor, Adveniat etc. gebraucht wird, durch „Solidarwerk“ ersetzt wird. De facto sind die Hilfswerke schon längst Solidarwerke, die Begrifflichkeit hinkt aber noch hinterher.

      Eigenständigkeit, Selbsthilfe und Entwicklung erfordern Freiheit, das Leben und Wirken der eigenen Kirche selbst in die Hand zu nehmen. Die Freiheit wird einerseits verhindert durch Armut, andererseits durch Selbstherrlichkeit. In „Gaudium et Spes“ heißt es: „Die menschliche Freiheit ist oft eingeschränkt, wenn der Mensch in äußerster Armut lebt, wie sie umgekehrt verkommt, wenn der Mensch es sich im Leben zu bequem macht und sich in einer ‚einsamen Selbstherrlichkeit‘ verschanzt“ (Nr. 31). Im Hinblick auf eine internationale Ordnung für Gerechtigkeit und Frieden bedeutet das: „Zum Aufbau einer internationalen Ordnung, in der die rechtmäßigen Freiheiten aller wirklich geachtet werden und wahre Brüderlichkeit bei allen herrscht, sollen die Christen gern und von Herzen mitarbeiten, und das umso mehr, als der größere Teil der Welt noch unter solcher Not leidet, dass Christus selbst in den Armen mit lauter Stimme seine Jünger zur Liebe aufruft. Das Ärgernis soll vermieden werden, dass einige Nationen, deren Bürger in überwältigender Mehrheit den Ehrennamen ‚Christen‘ tragen, Güter in Fülle besitzen, während andere nicht genug zum Leben haben und von Hunger, Krankheit und Elend aller Art gepeinigt werden. Denn der Geist der Armut und Liebe ist Ruhm und Zeugnis der Kirche Christi“ (Nr. 88). Für diesen gerechten Ausgleich weltweit sollen in den reichen Ländern Organisationen aufgebaut werden, die all das befördern: „Das Sammeln und Verteilen von Mitteln muss, zwar ohne starre und einförmige Organisation, jedoch ordnungsgemäß, in den Diözesen, den Ländern und in der ganzen Welt durchgeführt werden, und das in Zusammenarbeit der Katholiken mit den übrigen Christen, wo immer es angebracht erscheint“ (Nr. 88).

      Papst Franziskus hat als Erzbischof von Buenos Aires beim Treffen lateinamerikanischer Bischöfe 2007 Folgendes gesagt: „Die ungleiche Verteilung der Güter schafft eine Situation sozialer Sünde, die zum Himmel schreit – und so vielen Brüdern und Schwestern die Möglichkeit eines erfüllteren Lebens vorenthält.“17 Diesbezüglich ist noch ein Aspekt wichtig: Auch die so genannten Geber müssen sich so arm wissen, dass sie die eigene Bedürftigkeit spüren und bewusst zeigen, dass sie die jungen Kirchen mit ihrer Jugend, ihrer Man/Woman-Power, mit ihren Priestern, Ordensleuten und engagierte Laien, ihrer Spiritualität und Lebendigkeit brauchen. Partizipation bedeutet Partnerschaft auf Augenhöhe; jede Patenschaft oder Paternität muss ausgeschlossen werden. Partizipation und Solidarität sind die Schlüsselworte für eine „Kirche der Armen und eine Kirche für die Armen“, die eine Kirche sein wird, in der alle reicher werden.

       Heidemarie Wieczorek-Zeul

       Partnerschaft von Kirche und Politik für eine gerechte Globalisierung

       Heidemarie Wieczorek-Zeul war von 1987 bis 2013 Bundestagsabgeordnete der SPD und von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 18

      Das noch junge Pontifikat von Papst Franziskus könnte den Weg bereiten, dass die in Deutschland schon immer gute Zusammenarbeit zwischen Kirche und progressiver Politik für eine weltweite Armutsbekämpfung nochmals intensiviert werden kann.

       Ein Blick zurück

      Die größte gemeinsame Initiative zwischen den Kirchen, ihren Entwicklungsorganisationen, der Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und mir als Entwicklungsministerin war die Verwirklichung der Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten hochverschuldeten Entwicklungsländer anlässlich des G8-Gipfels 1999 in Köln. Diese so genannte Kölner Entschuldungsinitiative hat Millionen und Abermillionen Menschen in Entwicklungsländern das Leben leichter gemacht. Zu diesem Zeitpunkt standen die Entwicklungsländer bei den reichen Staaten und den internationalen Entwicklungsagenturen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds mit 2,5 Billionen US-Dollar in der Kreide. Die eigentliche Last waren die enormen Zins- und Tilgungsleistungen. Diese betrugen pro Jahr etwa 250 Milliarden US-Dollar; das entsprach den jährlichen Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland, also dem Etat einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt.

      Ich habe dem Bundeskanzler damals eine globale Entschuldungsinitiative vorgeschlagen, die zwei Grundgedanken hatte: Erstens würden nicht nur wir als Bundesrepublik Deutschland den ärmsten 43 hochverschuldeten Ländern ihre Schulden erlassen, sondern auch die internationalen Finanzinstitutionen und die G8-Staaten würden sich daran beteiligen. Zweitens würden die Länder, denen die Schulden erlassen werden sollten, verpflichtet werden, das eingesparte Geld in Bildung, den Kampf zur Reduzierung der Armut und die Steigerung der Gesundheitsausgaben zu investieren. Dabei griffen wir die Forderungen aus dem Bereich der kirchlichen Initiativen für einen Schuldenerlass auf.

      Schulden zu erlassen ist für keine Regierung ein leichter Schritt. Umso bemerkenswerter, dass der Bundeskanzler meinen Vorschlag wie selbstverständlich aufgriff und ihn dann ohne Abstriche den übrigen G8-Staaten präsentierte.

      Der Kölner G8-Gipfel war der letzte G8-Gipfel, der ohne Demonstrationen verlief. Denn uns alle verband ein gemeinsames Ziel: eine gerechte Gesellschaft. Für mich war die Menschenkette, die wir gemeinsam mit NGOs und eben auch vielen Vertretern der Kirchen, den Kölner Dom im Rücken, hinunter zum Rhein bildeten, der emotionale Höhepunkt der Veranstaltung. Da reichten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Hände zum Versprechen: Wir machen die Welt gerechter! Ich fand es wunderbar, dass von Köln die Botschaft ausging: Es gibt nicht nur die Globalisierung des Kapitals, es gibt auch die Globalisierung der Solidarität. Unsere gemeinsame Initiative brachte konkrete Ergebnisse:

      –125 Milliarden US-Dollar wurden im Austausch mit Investitionen in Gesundheit und Bildung erlassen (37 Millionen Kinder in Afrika können somit zusätzlich in die Schule gehen).

      –Die Schuldenstände der 36 HIPC-Länder (hochverschuldete arme Länder) sind um 90 Prozent reduziert worden!

      –Wendeten sie 2001 noch 3 Prozent des BIP für den Schuldendienst auf, so sank dieser Wert deshalb auf unter 1 Prozent. Für die Armutsbekämpfung konnten sie 2001 6 Prozent des BIP aufwenden, 2010 dann rund 9 Prozent!

      –Voraussetzung für Armutsbekämpfung war die Verpflichtung zum Vorlegen von Strategiepapieren zur Armutsreduzierung, die unter anderem einer Überprüfung durch die kirchlichen „Jubilee 2000“-Initiativen vor Ort standhalten mussten.

      –Die fatalen Strukturanpassungsprogramme des IWF, die auch noch aus dem Entwicklungshaushalt finanziert wurden, wurden beendet.

      Zu Recht schrieb im Juli 2013 Martin Lanz in der Neuen Zürcher Zeitung: „Verkehrte Welt: Die meisten Industrieländer sind hoch verschuldet und haben teilweise den Zugang zu den Kapitalmärkten verloren, während lange als hoffnungslos geltende afrikanische Entwicklungsländer ein beachtliches Maß an makroökonomischer Stabilität erreicht haben (…).“19

      In der Entwicklungszusammenarbeit, die ich während meiner Ministerzeit