Bruno Meier

Von Morgarten bis Marignano


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eine solche Urkunde noch heute vorweisen kann. Tschudi hat diese Konstruktion in seiner Schweizer Chronik untermauert beziehungsweise als selbstverständlich angenommen. Um diese Vorgänge zu verstehen, muss das Umfeld der staufischen Aktivitäten in Norditalien um 1240 und vor allem der in dieser Zeit anbrechende Kampf zwischen Kaiser und Papst genauer beleuchtet werden. Und in diesen Jahren treten auch die Habsburger auf das politische Parkett der Innerschweiz.11

      Privilegien für Uri und Schwyz

      Die Neuordnung der Verhältnisse nach dem Aussterben der Zähringer im Jahr 1218 brachte den Raum zwischen Genfersee und Bodensee in Bewegung. Der Stauferkönig Friedrich stärkte seine Position, indem er einige der zähringischen Reichslehen zu seinen Handen nahm, neben den Städten Bern und Zürich zum Beispiel das Haslital, aber auch die Täler Blenio und Leventina südlich des Gotthards. Dies deutet darauf hin, dass der Gotthardpass in diesen Jahren an Bedeutung gewann. Durch das Aussterben der mächtigen Dynastien der Lenzburger und Zähringer stand der Kaiser einer Vielzahl von Ansprechern an Reichslehen gegenüber, neben den Adelsgeschlechtern wie den Kyburgern, Habsburgern, Savoyern, Rapperswilern und anderen auch die Talschaften wie Uri, Urseren oder Hasli. Wie diese Talschaften verfasst waren, ob bereits kommunale Strukturen gelebt wurden, wissen wir nicht.

      Nach 1218 scheinen die Habsburger im Besitz der Reichsvogtei Uri gewesen zu sein, ob als Pfand oder Lehen ist nicht bekannt. Wir können dies indirekt daraus schliessen, dass Friedrichs Sohn, König Heinrich (VII.), 1231 im elsässischen Hagenau diese Verleihung oder Verpfändung gegenüber dem Habsburger Rudolf III. rückgängig und Uri zur reichsfreien Talschaft machte. Dies wird nicht ohne Entschädigung abgelaufen sein, die Urner werden sich ausgekauft haben. Allerdings ist eine originale Urkunde zu diesem Vorgang nicht mehr erhalten und nur durch Tschudi überliefert. Das Land Uri beruft sich Mitte des 14. Jahrhunderts – wieder nach Tschudi – auf diese Tradition, und zwar in der Privilegienbestätigung von Kaiser Karl IV. vom Oktober 1353 in Zürich.12 Die Überlieferungsgeschichte zum Land Uri ist, wahrscheinlich unter anderem wegen eines Archivbrandes im Jahr 1799, dünn. Tschudi notiert aber zu 1353 für Uri eine andere Privilegienreihe als für Schwyz und Unterwalden.13 Dies deutet darauf hin, dass er die Urkunde von 1231 tatsächlich gekannt und abgeschrieben hat. Die historische Einbettung dieser Rücknahme ans Reich ist durchaus schlüssig. Etwa zur gleichen Zeit wird das Urserental als Reichsvogtei den Rapperswilern, unter anderem Herren von Göschenen, verliehen. Das Tal war bisher unter der Herrschaft des Klosters Disentis stark auf den Ost-West-Verkehr zwischen dem Vorderrheintal und dem Oberwallis ausgerichtet gewesen. In den 1230er-Jahren häufen sich aber Nachrichten zum Nord-Süd-Passverkehr über den Gotthard. Die staufischen Könige werden dieser neuen Bedeutung des Gotthards Rechnung getragen und ihren Einfluss am Passweg verstärkt haben.

      Das Reichsprivileg von Kaiser Friedrich II. vom Dezember 1240 in Faenza könnte man in einen ähnlichen Kontext stellen: Privilegierung einer Talschaft am Weg zum Gotthard. Man kann es aber auch ganz anders lesen. 1239 war der Konflikt zwischen Kaiser und Papst wieder aufgeflammt. Und die Habsburger, Landgrafen im Aargau und westlichen Zürichgau mit Ansprüchen bis nach Unterwalden und Schwyz, hatten ihren Besitz aufgeteilt. Rudolf III., genannt der Schweigsame, hatte dabei die Ansprüche in der Innerschweiz übernommen. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Habsburger Linie, die sich nach ihrem Stammsitz später Habsburg-Laufenburg nannte, auf dem Meggenhorn am Vierwaldstättersee mit der Neu-Habsburg ein neues Herrschaftszentrum aufbauen wollte. Ein Vorhaben, das aber in den Anfängen steckenblieb. Die Reste der Neu-Habsburg wurden von der Stadt Luzern 1351 im Konflikt zwischen Habsburg-Österreich und Zürich zerstört. Rudolf III. schlug sich 1239 auf die päpstliche beziehungsweise antistaufische Seite. Sein Neffe Rudolf IV., Sohn seines Bruders Albrecht IV., der wahrscheinlich 1239 von einem Kreuzzug ins Heilige Land nicht mehr zurückkehrte, war hingegen staufertreu. Der Legende nach soll König Friedrich II. gar sein Taufpate gewesen sein. Rudolf IV. übernahm 1240 Verantwortung für den Besitz seines Familienteils, wozu unter anderem der Raum Brugg-Bremgarten, Zug, das Fricktal und Besitz im Elsass dazugehörten. 1240 war unter den Habsburgern deswegen eine innerfamiliäre Fehde ausgebrochen, die auch gewalttätige Aktionen gegeneinander umfasste. Rudolf IV. hielt sich im Mai 1241 im kaiserlichen Gefolge vor Faenza auf. Es ist gut möglich, dass er und die Schwyzer im kaiserlichen (Sold-)Dienst gleichzeitig und mit denselben Interessen vor Faenza beim Kaiser gewesen waren.14

      Der Kampf um das staufische Erbe

      Ob die Habsburger je konkret vogteiliche Rechte über Schwyz und Unterwalden ausgeübt haben, bleibt fraglich, die Indizien sind schwach. Sie haben wahrscheinlich versucht, während der Wirren um das staufische Erbe ihre Ansprüche durchzusetzen. Rudolf III. hielt sich im Mai 1242 bei Kaiser Friedrich in Capua in Süditalien auf. Er scheint sich vorübergehend wieder mit dem Kaiser versöhnt zu haben, wandte sich aber spätestens nach der Absetzung Friedrichs durch den Papst 1245 wieder der gegnerischen Seite zu. Ein päpstliches Dokument von Ende August 1247 weist darauf hin, dass die Leute von Schwyz und Sarnen nach wie vor dem Staufer treu und von Rudolf III. von Habsburg-Laufenburg abgefallen seien. Die Geschichtsschreibung hat daraus einen Aufstand der Schwyzer und Obwaldner gegen den Habsburg-Laufenburger gemacht. Als Beweis der Vogteiherrschaft der Habsburger über Schwyz wird gern eine Urkunde von Juni 1217 herangezogen. Gemäss diesem Dokument schlichtete Graf Rudolf II. von Habsburg, genannt der Alte, als «von rechter erbeschaft rechter voget und schirmer der vorgenanden luten von Swiz» einen Konflikt zwischen dem Kloster Einsiedeln und den Landleuten von Schwyz im Rahmen des immer wieder aufflammenden Marchenstreits. Die Urkunde ist nur als deutsche Übersetzung in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts überliefert und wird heute als Fälschung gewertet.15 Zusammengefasst: Die später immer wieder reklamierten und hochstilisierten Rechte der Habsburger in der Innerschweiz aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entpuppen sich bei näherem Hinsehen als nebulös, kaum greifbar und können höchstens als Ansprüche benannt werden. Ähnlich nebulös wie der Übergang von ehemals kyburgischem Besitz in der Innerschweiz an die Habsburger im Jahr 1273. Darauf wird im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein.

      In den Wirren der 1240er-Jahre bis zum Tod von Kaiser Friedrich II. 1250 und der anschliessend definitiven Wende gegen die Staufer blieb auch das Mittelland nicht von Konflikten verschont. Die Stadt Bern, seit 1218 Reichsstadt, blieb staufertreu. Sie vertrat mehr und mehr Interessen über das eigene Stadtgebiet hinaus, hatte zum Beispiel 1224 von König Heinrich (VII.) den Schutz des Klosters Interlaken übertragen erhalten, der Anfang einer bernischen Interessenpolitik im Oberland. 1243 erneuerte Bern ein offenbar älteres Bündnis mit dem seit 1218 kyburgischen Freiburg, das zur antistaufischen Koalition zählte. Die beiden Städte wollten damit Konflikten vorbeugen. Neben Bern waren auch die anderen Reichsstädte Zürich und Konstanz staufertreu und beteiligten sich zum Beispiel 1247/48 an der Belagerung des päpstlich orientierten Luzern. Bern soll dabei an der Spitze der «Eidgenossen im Burgund» vor Luzern erschienen sein.16

      Für Luzern bedeutete die erfolglose Belagerung durch die staufertreuen Städte das Ende einer konfliktreichen Zeit. Ab 1252 söhnten sich die allermeisten Gegenparteien aus, auch die verfeindeten Habsburger Familienteile. Die Stadt Luzern, hervorgegangen aus der Propstei St. Leodegar des Klosters Murbach im Elsass, scheint um 1250 bereits eine respektable Grösse erreicht zu haben und wird seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts vom wachsenden Verkehr über den Gotthard profitiert haben. Stadtherren waren nominell die Habsburger, Vögte des elsässischen Klosters. Eine Aussöhnung fand auch in der Stadt selbst statt, in der offenbar päpstliche und kaiserlich gesinnte Bevölkerungsteile gegeneinander gestanden hatten. Der Papst hatte 1247 im selben Dokument, in dem er den Leuten von Schwyz und von Sarnen den Kirchenbann angedroht hatte, dasselbe auch Luzern in Aussicht gestellt, falls sie sich dem Staufer zuwenden würden. 1252 beeidete die Luzerner Bürgerschaft den sogenannten geschworenen Brief, einen Stadtfrieden, der ähnlich tönt wie der Bundesbrief von 1291 zwischen Uri, Schwyz und Unterwalden. Die Luzerner sollten untereinander Frieden halten und sich auch nicht in Fehden ausserhalb der Stadt, insbesondere um den See und unter den «Waldleuten», den «Intramontanes», einmischen.17

      Rudolf von Habsburg im Vormarsch

      Das Abflauen der Konflikte um das Staufererbe nach 1252 war aber nicht das Ende einer gewalttätigen