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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière


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Militärwissenschaften (SVMM) und der Militärakademie an der ETH Zürich zustande kam und die Tagung vom 28. Februar/1. März 2014 sowie diesen Tagungsband überhaupt ermöglichte. Vor dem Hintergrund des renommierten internationalen Referentenfeldes und der grossen Zahl von Besuchern war es auch eine Genugtuung, dass die schweizerische Militärgeschichte offensichtlich nicht nur zu national eingegrenzten Themen Interesse wecken und Publikum mobilisieren kann. So danke ich abschliessend allen Hauptverantwortlichen und insbesondere dem SVMM für die gelungene Zusammenarbeit und wünsche dem Leser Erkenntnisgewinn und Vergnügen bei der Lektüre dieses Tagungsbandes.

      Brigadier Daniel Moccand,

      Direktor der Militärakademie an der ETH Zürich

      Einleitung

      Mit Chiffren wie Verdun und Somme steht der Erste Weltkrieg noch immer für ein jahrelanges industrielles Verheizen von Hunderttausenden Soldaten an der Westfront. Mögen die grossen Schlachten der Westfront auch künftig die populäre Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs dominieren – sicher ist, dass dieser auch viele andere, ganz unterschiedliche Gefechtsfelder aufwies.

      Zum einen stand die militärische Elite in diesem Krieg vor der grundsätzlichen Herausforderung der permanenten Adaption der Kampfführung. So war denn der Erste Weltkrieg durch eine geradezu revolutionäre Entwicklung der Taktik und Technik, aber auch durch die sich erst ausbildende operative Stufe der Kriegführung geprägt. Diese Entwicklung hatte eine jahrzehntelange Vorgeschichte, kam aber erst in den Jahren 1917/18 zum Tragen. Diese von Deckung, Auflockerung, Tiefengliederung und der Kombination von Feuer und Bewegung geprägte Gefechtsweise bezeichnete der amerikanische Historiker Stephen Biddle unlängst als «modern system of force employment». In Wechselwirkung dazu stand die rüstungstechnische Weiterentwicklung, die mit Neuerungen wie etwa automatischen Handfeuerwaffen, Panzern oder Angriffsflugzeugen aufwartete.

      Zum anderen aber war der Frontenkrieg nur eine Ausprägung des Gefechtsfeldes dieses in neuem Masse sich totalisierenden Kriegs. Letzterer war auch durch eine umfassende personelle, wirtschaftliche, politische und geistige Mobilisierung der Kriegsgesellschaften gekennzeichnet und eröffnete ganz neue Gefechtsfelder – nämliche jene an der Heimfront. Nicht mehr alleine Soldaten in den Schützengräben, sondern Rüstungsarbeiterinnen in den Fabriken und Propagandisten in den Pressebüros wurden mitentscheidend für den Kriegsausgang.

      Die Tagung «An der Front und hinter der Front» fragte nach den Entwicklungen von Doktrin, Ausrüstung, Kriegsbild und Rekrutierungsform ausgewählter Armeen und nach dem Stellenwert der Zäsur «1914». Des Weiteren lenkte sie den Blick auf die Streitkräfteentwicklung nach 1918 und den diesbezüglichen Stellenwert von Kriegserfahrungen und «Kriegslehren». Mit der Betrachtung der Vor- wie der Nachkriegszeit sollte militärisches Denken und Handeln im Ersten Weltkrieg epochal eingebettet und nicht isoliert betrachtet werden. Der Blick auf die Zeit «nach der Front» befasste sich mit dem gesellschaftlichen Erinnern und Gedenken sowie mit den Deutungen und Narrativen der Darstellungen des Ersten Weltkriegs.

      Zu den oftmals nur Spezialisten zugänglichen und verständlichen Gefechtsfeldern gehört die Dynamik militärischer Adaption, sei diese technischer, organisatorischer, taktischer, strategischer oder auch militärtheoretischer Natur. Diese adaptiven Prozesse stehen im Zentrum des Aufsatzes von Georges-Henri Soutou. Er zeigt, wie der als schneller, offensiv geführter Bewegungskrieg geplante Konflikt im Spätherbst 1914 im Westen erstarrte. Dabei betont er die Bedeutung der fehlenden operativen Stufe, die sich erst nach und nach entwickelte, etwa durch die Zusammenfassung von Armeen in groupes d’armées im Herbst 1914 in Frankreich oder durch die Bildung von «Theaterkommandos» wie Ober Ost (Oberbefehlshaber der gesamten deutschen Streitkräfte im Osten) im November 1914 durch das Deutsche Reich. Um dem militärischen Patt an der Westfront zu entkommen, wandten beide Seiten strategische Alternativen an. Vor allem die Entente-Staaten Frankreich und Grossbritannien versuchten eine Peripherie-Strategie, das heisst Offensivaktionen an den schwächer besetzten Fronten der Mittelmächte wie in Griechenland oder bei Gallipoli. Erst mit dem fast schlagartigen Zusammenbruch der bulgarischen Front im September 1918 schlug diese Strategie durch, nachdem die britisch-französische-serbische Saloniki-Front drei Jahre wenig aktiv gewesen war. Nach Soutou versuchten 1915/16 beide Seiten der gescheiterten Vernichtungsstrategie eine Ermattungsstrategie entgegenzusetzen – die Entente durch die Seeblockade, das Deutsche Reich nach dem Scheitern eines Durchbruchversuchs in der Blutmühle von Verdun. Während das Deutsche Reich diesbezüglich erfolglos blieb, brauchte die alliierte Seeblockade sehr lange, bis sie zu wirken begann. 1917/18 folgte dann eine Strategie des Totalen Kriegs, die eine verstärkte Mobilisierung der Gesellschaft, der Industrie und der Politik, eine systematische Kriegführung gegen Zivilisten und den uneingeschränkten U-Boot-Krieg mit sich brachte. Erst durch die taktischen Innovationen der Jahre 1916 bis 1918 wie die Sturmtruppentaktik, neue artilleristische Schiessverfahren und den Panzer als Durchbruchswaffe kam ab Anfang 1918 wieder Bewegung in die erstarrte Westfront. Diese Entwicklung – zusammen mit den Auswirkungen der britisch-französischen Peripheriestrategie – erwies sich, so Soutou, als kriegsentscheidend.

      Neue Gefechtsfelder ergaben sich aber auch im geografischen Sinn, nämlich dadurch, dass dieser Krieg sehr rasch zu einem Weltkrieg mit erheblicher aussereuropäischer Beteiligung (Japan, Osmanisches Reich, USA) wurde und eben auch auf aussereuropäischen Gefechtsfeldern stattfand. Umgekehrt kämpften auf dem europäischen Schauplatz Soldaten aus der ganzen Welt, von den Australiern und Neuseeländern bei Gallipoli über Kanadier am Vimy Ridge bis hin zu den Tirailleurs sénégalais am Chemin des Dames. Wie Stig Förster in seinem Artikel zeigt, entstanden aussereuropäische, bisweilen auch eigenständige Gefechtsfelder, wie etwa der Kampf um Unabhängigkeit vor allem in den britischen Kolonien oder die Vernichtung von Minderheiten, die im Falle der Armenier genozidale Ausmasse annahm.

      Zu den wichtigsten Themenfeldern des Ersten Weltkriegs gehört sicher die Mobilisierung der Kräfte und Ressourcen durch die einzelnen Nationen. In Bezug auf die Rekrutierung der Soldaten gab es vor und während des Kriegs erhebliche Unterschiede. Dabei spielten nationale Vorstellungen und Eigenheiten eine sehr grosse Rolle. Ian Beckett zeigt die Entwicklung der Rekrutierung in der britischen Armee, die als kleine Berufsarmee in einen erwarteten kurzen Krieg zog. Als sich dieser Krieg immer länger hinzog und in seinen Dimensionen mehr und mehr auswuchs, brauchte das britische Heer neue Kräfte. Diese versuchte es zuerst durch das Heranziehen der Territorials und von Freiwilligen zu gewinnen, und erst als dieses Reservoir weitgehend ausgeschöpft war, wurde eine Wehrpflicht eingeführt. Deren Durchsetzung erfolgte aber deutlich weniger strikt als in den anderen europäischen Ländern.

      In Österreich-Ungarn war die Wehrpflicht wie in den meisten europäischen Armeen bereits vor dem Krieg vorhanden, dafür spielten hier die Nationalitätenfrage, der Reichsaufbau der Doppelmonarchie und die relativ geringen Militärausgaben eine wichtige Rolle hinsichtlich des Umfangs, der Ausrüstung und des Ausbildungsstandes der österreichisch-ungarischen Streitkräfte von 1914. Die enormen Verluste des ersten Kriegsjahres vor allem im aktiven Offizierskorps machten allerdings Umstellungen notwendig, die auch politische und soziale Ordnungsvorstellungen betrafen. Als Ironie der Geschichte bezeichnet Günther Kronenbitter in seinem Beitrag das völlige Ausbleiben des vielfach befürchteten Auseinanderbrechens der multiethnischen Armee. Bedeutsamer für die Niederlage Österreich-Ungarns war die zunehmend schlechte Versorgungslage, die ab 1917 katastrophale Ausmasse annahm.

      Der Frage, ob der Erste Weltkrieg ein totaler Krieg war, und wenn ja, in welchem Masse und ab wann, widmet sich Roger Chickering. Dabei plädiert er mit dieser Frage für eine neue Herangehensweise, die Kriege nicht einfach als total oder nicht total etikettiert, sondern die in ihnen ablaufenden Prozesse genauer auf ihre Totalisierungstendenzen hin untersucht. Chickering tut dies exemplarisch für den Ersten Weltkrieg und schält drei mögliche Phasen (Jahreswende 1917/18, Herbst 1914, das lange Jahr 1915) heraus. An der Diskussion derselben zeigt er nicht nur exemplarisch die dem historischen Konzept des Totalen Kriegs inhärenten Widersprüche auf, sondern deutet an, dass die einzelnen Nationen zu verschiedenen Zeitpunkten in ganz unterschiedlichem Masse einen totalen Krieg führten. Letztlich, so Chickering, müsse der Totale Krieg weniger als ein Zustand, sondern vielmehr als ein Prozess verstanden werden, bei dem es darum ging, die Herausforderung der grossen materiellen und moralischen Bürden, die