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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière


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umrissenen Hauptproblemlagen der Kriegführung begegnen Dimitry Queloz und Gerhard Gross in ihren Beiträgen zur Entwicklung der operativen und taktischen Konzepte der französischen Armee beziehungsweise des deutschen Heers im Ersten Weltkrieg. Queloz hält diesbezüglich fest, dass die erst ab 1913 in mehrere Gefechtsvorschriften formulierte Kampfdoktrin der «offensive à outrance» zu spät publiziert wurde, um die reale Gefechtsführung im französischen Heer bei Kriegsbeginn nachhaltig zu beeinflussen. Dergestalt «doktrinbefreit», adaptierten die französischen Truppen bereits ab den ersten Kriegswochen ihre Kampfweise an die Gegebenheiten der jeweiligen Gefechtsfelder, wobei die Minderung der eigenen Verluste Hauptantrieb dieser Bemühungen gewesen sei. Die konzeptuelle und technologische Weiterentwicklung des befestigungsgestützten Defensivkampfes sollte die französische Armee bis zum Jahre 1918 zu einer völlig veränderten und umfassend modernisierten Streitkraft machen, wobei Queloz die Entwicklungswege und Sackgassen militärischer Innovation in der französischen Armee problematisiert.

      Gerhard Gross beschäftigt sich demgegenüber schwergewichtig mit der operativen Stufe der deutschen Kriegführung und geht mit ihr auf der Basis seiner kürzlich hierzu erschienenen Monografie streng ins Gericht. Seine Kritik zielt indirekt auch auf die vermeintlich allzu positive Darstellung der Entwicklung der deutschen Kampfführung durch mehrere angelsächsische Militärhistoriker in jüngster Zeit, welche die taktisch-operativen Erfolge des deutschen Heers im Ersten Weltkrieg als Ausgangspunkt der anfänglichen Siegesserie des deutschen Militärs im Zweiten Weltkrieg interpretieren. Zwischen 1914 und 1918 scheiterten nach Gross die auf Bewegung, Angriff, Schnelligkeit, Initiative, Freiheit des Handelns, Schwerpunkt, Überraschung, Umfassung und Vernichtung fokussierten operativen Konzepte des deutschen Heers fast alle an der fehlenden Mobilität beziehungsweise an der Langsamkeit der Truppe, an der lediglich eingeschränkten Fähigkeit zum taktischen Angriff sowie an grundsätzlichen, weil strukturellen Unzulänglichkeiten der deutschen Operationsführung. Die operativen Erfolge des deutschen Heers an der Ostfront wie den Abwehrsieg bei Tannenberg im Jahr 1914, die Sommeroffensive nach der Durchbruchsschlacht bei Gorlice-Tarnów im Jahr 1915 oder die Eroberung Rumäniens im Jahre 1916 anerkennt Gross wohl, qualifiziert sie jedoch lediglich als Halberfolge, da die eigentliche Zielsetzung des deutschen operativen Denkens, die Umfassung und Vernichtung der gegnerischen Kräfte, dabei kaum je gelang. Das entsprechende Schicksal erfuhr, nach Gross symptomatisch, die deutsche Frühjahresoffensive von 1918, welche trotz beachtlicher taktischer Anfangserfolge aufgrund der mangelnden Mobilität der Truppenverbände versackte und letztlich scheiterte.

      Wie die nicht kriegführende Schweizer Armee den taktischen und operativen Herausforderungen des Ersten Weltkriegs zu entsprechen versuchte, erläutert schliesslich Michael Olsansky. In seinem Beitrag zeigt er auf, wie Kriegsschauplatz-Abkommandierungen schweizerische Offiziere an fast alle europäischen Fronten des Ersten Weltkriegs führten und dazu beitrugen, zumindest das Kriegsbild im schweizerischen Offizierskorps einigermassen aktuell zu halten. Auf der Basis dieser Frontmissionen lieh sich die Schweizer Armee gewissermassen die Kriegserfahrungen anderer Armeen und war dadurch in der Lage, die Truppenausbildung in der zweiten Kriegshälfte etwas zu modernisieren. Die Haupteinflüsse hierzu kamen von der französischen Armee und vom deutschen Heer, wobei es für den schweizerischen Militärapparat doch schwierig war, aus den teilweise entgegengesetzten Entwicklungswegen dieser beiden Armeen eine eigene Art der Kriegs- und Gefechtsführung herauszufiltern. Die eigentliche schweizerische Adaption der revolutionären Militärentwicklungen des Ersten Weltkriegs sollte sich denn auch erst allmählich in der Zwischenkriegszeit vollziehen.

      Aber welche Lehren – bei aller Problematik dieses Begriffes – zogen nun europäische Armeen aus dem Ersten Weltkrieg? Markus Pöhlmann hält in seinem Beitrag zum deutschen Militär nach 1918 deutlich fest, dass der Erste Weltkrieg wohl ein zentraler Erfahrungshintergrund des deutschen Offizierskorps war und auf der taktischen Ebene der Landkriegführung die Erfahrungen und Innovationen der Kriegszeit grosse Wirkung entfalteten. Jedoch waren für die deutsche Militärentwicklung der Zwischenkriegszeit die sich ändernden politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rüstungsindustriellen Kontexte, so zum Beispiel die militärischen Korsettbestimmungen des Vertrags von Versailles, mindestens so wichtig, sodass der Weltkrieg mit zunehmender Dauer «seine Bedeutung als Referenzereignis verlor». Daneben legt Pöhlmann einen wichtigen Fokus auf die gesamtgesellschaftlichen Aspekte der totalen Kriegführung (Wehrverfassung, Ressourcenmobilisierung, Propagandatätigkeit etc.), deren sich in der Zwischenkriegszeit nicht primär das deutsche Militär, sondern zusehends zivile Stellen und Akteure annahmen und unter der Leitvorstellung der «Wehrwissenschaften» eine zwar kurzlebige, aber gesamtheitliche und anwendungsorientierte «Meta-Wissenschaft vom Kriege» entwickelten.

      Adrian Wettstein fokussiert seine Betrachtungen demgegenüber auf eine französische Armee, die sich in der Zwischenkriegszeit primär im Ruhme ihres Sieges sonnte und darob sukzessive intellektuell, konzeptuell und materiell stagnierte. Dabei spielte der auf die Weltkriegserfahrung zurückgehende Imperativ der eigenen Verlustminimierung eine zentrale Rolle und prägte die erstmalig 1921 verschriftlichte französische Doktrin der «bataille conduite» massgeblich. Aufgrund sinkender Rüstungsausgaben, rüstungstechnologischem Stillstand und der Verkürzung der Wehrdienstzeit wurde diese Kampfweise bis 1940 auch nicht mehr grundsätzlich überdacht und die französische Doktrinentwicklung stand spätestens in den 1930er-Jahren still.

      Wim Klinkerts Betrachtungen zur niederländischen Militärdebatte der Jahre 1918 bis 1923 gehen wiederum über den engeren militärischen Sachverhalt hinaus. Als Nichtkriegsteilnehmer versuchten führende Vertreter des Offizierskorps die niederländische Militärentwicklung nach Kriegsende weiterhin an der modernen Militärentwicklung auszurichten, wobei sich die traditionell auf das deutsche Modell fokussierte Beobachtung tendenziell auf das französische Militär verlagerte. Alternative Militärkonzepte wurden weniger im militärischen Apparat als in der niederländischen Politik entworfen, wobei sich vorab die politische Linke gegen die Übernahme klassischer ausländischer Militärkonzepte sträubte und auf die Möglichkeiten des Kleinstaats ausgerichtete Gegenmodelle forderte. Diese Diskussionen prallten jedoch an einer an militärischen Angelegenheiten weitgehend desinteressierten Öffentlichkeit ab, die, tendenziell pazifistisch ausgerichtet, Militär vor allem als Kostenfaktor begriff und die Wehrpflicht als staatlichen Eingriff in die individuelle Lebensgestaltung jedes Einzelnen empfand.

      Nicht ganz so drastisch standen die Dinge im anderen kriegsunversehrten Kleinstaat Mitteleuropas, der Schweiz. Wie Michael Olsansky ausgehend vom Beispiel des Referatsauftritts von Hans von Seeckt vor der Zürcher Offiziersgesellschaft im Jahr 1930 darlegt, war in der Schweiz das öffentliche Interesse an militärischen Fragen grundsätzlich vorhanden. Jedoch hinderten nach Kriegsende auch hier tiefgehaltene Militärbudgets und damit ausbleibende Rüstungsanschaffungen die schweizerische Militärführung daran, die Kampfweise der Schweizer Armee umfassend zu modernisieren. Aufgrund mehrerer systeminhärenter Bremsfaktoren publizierte die schweizerische Militärführung erst im Jahr 1927 eine erste offizielle Nachkriegs-Gefechtsvorschrift, ein Paradebeispiel für die Problematiken der schweizerischen Militärentwicklungsadaption. Einen Beitrag zu den Kriegserfahrungen der britischen Military Intelligence leistet Sönke Neitzel, wobei die Frage nach der Halbwertszeit und der prozessualen Verwertung derselben im Zentrum steht.

      Ein Krieg, der während vier Jahren in intensiver Weise ebenso sehr hinter der Front wie an der Front ausgefochten wurde, musste zu höchst unterschiedlichen Formen des Erinnerns, Gedenkens und Verarbeitens führen. Sieg und Niederlage, Aufrechnung und Nicht-Anerkennung von Kriegsschuld sowie Überwälzung der Niederlage auf das Versagen der Heimfront bildeten die hauptsächlichsten Facetten dabei. Gerd Krumeich zeigt dies in einem Vergleich der Erinnerungsaktivitäten im besiegten Deutschland und im siegreichen Frankreich. In Deutschland liess sich kein nationaler Konsens des Gedenkens und Trauerns herstellen. Die Errichtung von Denkmälern und Gedenkstätten wurde politisch von links und rechts intrumentalisiert und nach deren Errichtung gegenseitig zum Teil wieder zerstört. Zu umstritten war die Frage, weshalb der Krieg verloren ging und der als ungerecht empfundene Frieden von Versailles hatte unterzeichnet werden müssen. Mit der Machtergreifung der NSDAP setzte eine heroische und revanchistische Gedenkkultur ein. Nach der noch katastrophischeren Niederlage im Zweiten Weltkrieg geriet das Gedenken an die Kriegstoten des Ersten Weltkriegs in den Hintergrund. Ganz anders konnte sich in Frankreich ein Gedenken und Trauern etablieren, das bis heute