4.3.Leidenschaftliche Wortverkündigung
Die antiken RabbinerInnen haben davon gesprochen, dass die biblischen Texte im so genannten „schwarzen und weißen Feuer“ geschrieben sind.9 Die Texte sind im „schwarzen Feuer“ festgeschrieben – es handelt sich um tradierte, jahrhundertelang gedeutete Sätze und Wörter, die Geschichten erzählen: von Leben und Tod, Liebe und Hass, Krankheit und Heil, Gericht und Gnade. Das „weiße Feuer“ bewegt sich „zwischen den Zeilen“ – nach rabbinischer Tradition umspielt es die Buchstaben des Textes. Es handelt sich dabei um jene Gedanken, Gefühle, inneren Bilder und Assoziationen, die die Lektüre meist unbewusst begleiten und unsere Deutungen beeinflussen.
Die Rabbiner haben nicht umsonst das Bild des Feuers im Zusammenhang mit den Texten der Heiligen Schrift verwendet. Das Feuer brennt nicht von selbst, es muss entzündet werden. Seine Flammen können so klein werden, dass sie zu erlöschen drohen, oder aber so heftig lodern, dass sie alles zerstören. Brennendes Feuer wärmt, reinigt, belebt, vernichtet.
Der Umgang mit dem Wort Gottes ist nichts Harmloses. Es ist den Menschen geschenkt und anvertraut, um es zum Leben zu erwecken. Es ist zu kostbar, um es lieblos zu behandeln, zu fremd, um es zu schnell zu verstehen, zu radikal, um es leicht zu nehmen. Das Wort fordert und tröstet, verwirrt und verdeutlicht, es macht uns eng und weit zugleich.
Wer glaubt, es ganz erfasst und verstanden zu haben, ist schon auf dem Irrweg. Aber es zahlt sich aus, es immer wieder erneut zu versuchen.
Literatur
Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, 24. November 2013 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 194), Bonn 2013.
Roelofsen, Abraham, Das Predigtnachgespräch in der Gemeinde als Element der Gemeindebildung. Eine empirische Untersuchung zur kommunikativen und theologischen Kompetenz in der Gemeinde (Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge 43), Würzburg 2000.
Verkündigung und neue Evangelisierung in der Welt von heute, hg. v. der Österreichischen Bischofskonferenz, Wien 2012.
Walser, Martin, Halbzeit, Frankfurt/M. 1960.
Zerfaß, Rolf, Spruchpredigt. Grundkurs Predigt 1, Düsseldorf 41995.
Zerfaß, Rolf, Textpredigt. Grundkurs Predigt 2, Düsseldorf 21997.
Die Freude der Verkündigung
Predigt und Emotion
Johann Pock
„Wie beim Schauspieler mischt sich bei den Theologen der Verstand mit dem Gefühl, die Vernunft mit der Sinnlichkeit.“ 10
Freuen Sie sich auf die Predigt? Freuen Sie sich als Predigerin oder Prediger darauf, etwas vom eigenen Glauben einer Gemeinde weitergeben zu können? Freuen Sie sich auf erwartungsvolle Gesichter und eine lebendige Gottesdienstgemeinde? Oder leiden Sie eher daran, eine schwierige Bibelstelle auslegen zu müssen, die zündende Idee zu finden – und das Ganze für eine kleiner werdende Zuhörerschaft?
Oder von der anderen Seite her gefragt: Freuen Sie sich als GottesdienstteilnehmerIn auf die Predigt, die Sie hören werden? Oder erleben Sie auch eher dieses „Loch in der Mitte“11, dass Sie vom Gedankengang des Predigers nicht mitgenommen werden und aussteigen? Oder dass Sie sich ärgern und eigentlich widersprechen möchten? Ulrich Nembach spricht explizit davon, dass HörerInnen und PredigerInnen „Leid und Freud mit der Predigt teilen“12.
Predigen, Verkündigen, mit Freude zu verbinden, ist nicht üblich – und doch legt es ja gerade der Verkündigungsauftrag nahe: Es geht ja um nicht mehr und nicht weniger als um die Verkündigung der „frohen Botschaft“. Und es gilt allen VerkündigerInnen der paulinische Auftrag, „fröhlich mit den Fröhlichen“ und „traurig mit den Traurigen“ zu sein (vgl. Röm 12,15 und Phil 4,4).
Ich gehe in meinem Beitrag nicht auf die Vielfalt der Verkündigungssituationen ein (wie z.B. den Religionsunterricht, oder die Verkündigung durch die helfende Tat), sondern habe explizit die Wort-Verkündigung im Rahmen einer Predigt im Blick.
Eine Predigt bzw. eine Homilie dient primär dazu, den Menschen das Wort Gottes zu verkündigen bzw. auszulegen.13 Dies geschieht sowohl durch das persönliche Zeugnis der PredigerInnen, als auch durch das Vermitteln von Erkenntnissen und Überzeugungen. Auch Wort-Verkündigung geschieht dabei ganzheitlich – und deshalb sind nicht nur bei den HörerInnen Verstand, Wille und Gefühl anzusprechen, sondern auch bei den Predigenden selbst hat die Ebene des Gefühls, der Emotionen, der persönlichen Betroffenheit und Leidenschaft eine zentrale Bedeutung für die Verkündigung.
Im Folgenden soll diesem häufig missachteten Aspekt der Emotionen im Umfeld der Predigt nachgespürt werden – beginnend bei der klassischen Rhetorik bis hin zu aktuellen Konzepten für RednerInnen und PredigerInnen. Und hier ist es nicht zuletzt der Enthusiasmus des Papstes und die emotionalen Reaktionen, die gerade durch seine Predigten weltweit hervorgerufen werden, die hier anhand seines Lehrschreibens „Evangelii gaudium“ in den Blick genommen werden.
1.Theologie mit Gefühl? 14
Die Emotionalität ins Spiel zu bringen, ist auf dem Feld der Homiletik (wie überhaupt in der Theologie) nicht selbstverständlich. So findet sich das Stichwort „Gefühl“ in der 3. Auflage des LThK überhaupt nicht mehr. In der 2. Auflage war zumindest noch das Stichwort angegeben – mit dem Verweis auf Affekt und Gefühl. Unter dem Stichwort „Gefühl“15 wird darauf verwiesen, dass im allgemeinen Sprachgebrauch Gefühl, Affekt und Emotion synonym verwendet werden, wobei der Mensch im Unterschied zum Denken, das eine Form der Vergewisserung darstellt, im Gefühl etwas in Bezug auf sich selbst lernt. Und während ethisch das Denken als Ort des Meinens und Urteilens und das Wollen als Ort der Handlungsausführung gesehen werden, betrachtet man das Gefühl als jene Kraft, die es braucht, damit letztlich das objektiv Gute eine Herrschaft über den Willen gewinnt. Gott erspürt man nämlich leichter mit dem Herzen als mit der Vernunft.16
Diese Gefühlsebene ist es nun aber, die für unser gegenseitiges Verstehen zentral ist. Psychologisch spricht man hier von der sogenannten „Verstehenspyramide“:17
Abb. 118
Hiermit wird deutlich, dass ein Großteil des Verstehens im Unterbewusstsein geschieht, wo unser Gefühl, unsere Wünsche und Interessen bzw. auch unsere Grundantriebskräfte (Selbsterhaltung, Selbstentfaltung, Selbstbestimmung) liegen.19
Auch andere Rhetorikhandbücher verweisen auf die Bedeutung der Gefühlsebene für die Überzeugungskraft einer Rede:
„Die Wirksamkeit von Argumentations-Ketten, in denen nicht nur Verstand und Wille, sondern auch das Gefühl angesprochen werden, ist unbestritten.“20
Wenn ein Hauptziel der Verkündigung darin besteht, Menschen in ihrer Erfahrungswelt zu erreichen und ihnen Horizonte des Reiches Gottes darinnen zu zeigen oder zu eröffnen, so darf dabei die Ebene der Emotionen nicht missachtet werden. Engemann beklagt zu Beginn seiner Einführung in die Homiletik zu recht, dass „die Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit der Hörer einen auffallend spärlichen Raum“21 einnimmt in den landläufigen Predigten – und dies nicht nur in den stärker biblisch ausgerichteten Predigten der protestantischen PredigerInnen. Die Bedeutung der Gefühle greift Engemann unter der Überschrift der „psychologischen und soziologischen Probleme“ auf: „Der Predigt eignet wie jeder sprachlichen Äußerung das Vermögen, sowohl Empfindungen (des Redenden) anzuzeigen als auch auf Seiten der Hörer