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Wie heute predigen?


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hat seiner Klage freien Lauf gelassen – ihm darf sich anschließen, wen die ‚Ohnmacht der Verkündigung‘ verzweifeln lässt.“41

      Und Hieke stellt die wichtige Frage: Warum ist Verkündigung mitunter auch eine Last? Seine Antwort, ausgehend vom Propheten Jeremia, lautet: „Das Problem Jeremias ist das Grunddilemma jeglicher Rede von Gott: Ist sie angesichts der Unanschaulichkeit Gottes überhaupt möglich?“42 Die Verkündigung eines Gottes, der nicht (be-)greifbar ist, stellt vor das Problem, das Unaussprechliche zur Sprache zu bringen.

      Hieke betont jedoch den entscheidenden Unterschied der Verkündigungssituation des Jeremia, der „Vernichtung und Unheil“ ankündigen musste, zur Verkündigung der „Frohen Botschaft“ in der christlichen Verkündigung heute.43

      Dass Predigen auch zur Last (für die PredigerInnen) werden kann, kann unterschiedlichste Gründe haben: Das Fehlen von persönlicher Begeisterung für die Glaubensweitergabe; mangelnde Resonanz auf Predigten von Seiten der HörerInnen; Zeit- und Ideenmangel in der Predigtvorbereitung; die Herausforderung, häufig zu ganz unterschiedlichen Anlässen zu predigen etc.

      Erich Garhammer sieht das Leiden aber als Herausforderung, diese Emotionen zu benennen – denn keiner kann auf alle Fragen des Lebens Antworten bieten:

      „Predigt verfügt über kein Passepartout für alle Eventualitäten des Lebens, sondern fordert lebensnahe, erstrittene und auch erlittene Konkretion. ‚Zeige deine Wunde‘ ist nicht nur ein Programmwort eines Kunstverständnisses (Josef Beuys), sondern könnte auch Leitfaden der eigenen Predigtpraxis sein.“44

      Und auch Ulrich Nembach stellt die Frage: „Warum sprechen Hörer und Prediger nicht über ihr Leid an der Predigt?“ Er thematisiert das Problem anhand des Begriffs „Mit-Teilung“: Er meint, dass es in der Predigt darum geht, sich mitzuteilen und auch teilzugeben an der eigenen Freude. Mitteilung aber wird zumeist mit Information verbunden; die „Gemeinschaft, die zwischen den Teil-Gebenden und –Nehmenden entsteht, kommt nicht in den Blick.“45 Beim Brechen des Brotes, bei diesem Teilen, wird die Gemeinschaft sichtbar. Daher möchte Nembach auch die Predigt als Geschehen des „Teil-Gebens und Teil-Nehmens“ sehen, und nicht der Mit-Teilung. „Teilen vollzieht sich in den biblischen Texten als Anteil-Geben und -Nehmen an Leid und Freud.“46

      Nembach baut in weiterer Folge seine ganze Homiletik anhand von Leid und Freud auf: „Leid und Freud begegnen sich zunächst in der Predigt, wandeln sich zu solchen mit der Predigt und werden schließlich zur Möglichkeit des Teilens.“47 Und er stellt (1996) fest, dass Arbeiten zum Leid der Prediger fehlen.48 „Auch die praktische Theologie nimmt das Leid der Prediger nicht wahr.“49 Fast 20 Jahre später stimmt dieser Befund leider immer noch: Es gibt meines Wissens außer den Klagen über (schlechte) Predigten keine Arbeiten, die sich mit dem Leid der PredigerInnen beschäftigen würden (genauswenig übrigens wie über das Leiden mit den Predigten – und über das Thematisieren des Leides der Welt in den Predigten).

      Es geht somit um die Frage, wie Leid und Freud, wie Emotionen, in der Predigt selbst thematisiert und aufgegriffen werden; wie Emotionen vorkommen und wie emotional die Predigten sein sollen und dürfen.

      Emotionen, Freud und Leid, sind aber nicht einfach mit dem „Amen“ nach der Predigt abzustellen und abgeschlossen, sondern wirken weiter. Für mich bedeutet dies, dass zur Emotionalität der Predigt auch gehört, dass es über die Predigt einen Austausch gibt – und zwar vor der Predigt, aber auch danach: am Kirchplatz, in Bibelrunden, in E-mails oder in persönlichen Gesprächen.

      Die Aussage „Schön haben Sie gepredigt, Herr Pfarrer!“ ist ja ein erster Schritt dazu; sie zeigt (wenn sie ehrlich gemeint ist), dass auf der Gefühlsebene jemand erreicht worden ist. Wenn aber ein Prediger/eine Predigerin ihre persönliche Glaubensüberzeugungen, ihre eigenen Erfahrungen und damit auch viel Emotion in die Predigt hineingelegt haben, dann eröffnet sich die Erwartungshaltung einer Reaktion auf der anderen Seite. Dabei ist dies aber nicht nur etwas, was von Seiten der Hörenden zu erwarten ist, sondern auch von Seiten der Predigenden aktiv angestoßen werden kann.

       5.Keine Predigt ohne Emotion!

      Der Altmeister evangelischer Predigtlehre, Rudolf Bohren, beschreibt in seiner Predigtlehre die Freude am Predigen als eine seiner Leidenschaften:

      „Vier Dinge tue ich leidenschaftlich gerne: das Aquarellmalen, das Skilaufen, das Bäumefällen und das Predigen … Predigen ist schön, es macht Freude. Das ist das erste, was in einer Predigtlehre zu lehren ist.“50

      Predigen als Leidenschaft ist zwar noch keine Garantie dafür, dass die Predigt gelingt; die persönliche Freude und Begeisterung an der Verkündigung eröffnen aber jedenfalls leichter jene Räume der Kommunikation, wo bei Zuhörenden nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz angerührt, bewegt wird. Erkenntnis (Verstand) und Gefühl gehören ja in einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen untrennbar zusammen.

      Die Analyse der klassischen Rhetorik hat gezeigt, dass Emotionen einen wesentlichen Aspekt der Kommunikation ausmachen; zugleich wird damit aber auch deutlich, dass sie nicht instrumentalisiert werden dürfen, um eigene Ziele zu erreichen. Vielmehr gehört es zur Authentizität der PredigerInnen, mit den eigenen und fremden Emotionen nicht zu spielen.

      „Im Blick auf den pathos muss der Prediger eine ‚emotionale Garantie‘ gewährleisten, er oder sie hat für die Echtheit von Gefühlen und Appellen an das Gewissen einzustehen.“51

      In ähnlicher Weise betont Klaus Müller die Bedeutung der Emotionalität als „viertes Instrument“52 der Redekunst, warnt aber zugleich davor, sie gewissermaßen „anlernen“ zu wollen und zu intensiv einzusetzen. „Eine Überbeanspruchung emotionaler Mittel verunklart die Sache und manipuliert die Hörer“53.

      Keine Predigt kommt ohne Emotionen aus – nur wird es in manchen expliziter, in manchen impliziter erfolgen. Eine neuere Form, Emotionen explizit zum Thema zu machen und auch zu versprachlichen, ist der Bibliolog. Dort sind die „unterschiedlichen Rolleninszenierungen, -phantasien, -imaginationen das zentrale Experimentierfeld. Die körperlich wahrnehmbaren Gefühle und Gedanken rücken ins Zentrum und können verbalisiert werden.“54

      Vor allem das Einbringen von (persönlichen) Erfahrungen und Betroffenheiten, das Erzählen von Erlebnissen ist ein Weg, Emotionen auszudrücken und anzusprechen. Alois Schwarz geht in seiner Homiletik von der „persönlichen Betroffenheit vom Wort Gottes“55 aus, sieht aber auch die Bedeutung der persönlichen Erfahrungen, denn gerade „Erlebnisse und Erfahrungen bewirken emotionale Betroffenheit“56.

      „Wenn der Prediger ein persönliches Erlebnis erzählt oder von den Erfahrungen seiner Hörer spricht, wird er viele ansprechen und aufhorchen lassen. … Wer das Gefühl, die Stimmung, das ‚Herz‘ der Zuhörer anspricht, wirkt mit seinen Worten viel bestimmender. Der Prediger soll den Menschen in seinem Innersten treffen, ohne daß er ‚rührselig‘ oder zu ‚gefühlsbetont‘ seine Aussagen verdeutlicht.“57

      Predigt hat Zeugnischarakter – und damit ist Predigt herausgefordert, Glauben und Leben (mit all seinen Facetten) zu thematisieren und zu verbinden.

      „Damit Menschen vom Evangelium angesprochen und zur Metanoia bewogen werden, reicht das empathische Einbringen von menschlicher Erfahrung so wenig zur Verkündigung aus wie das bloße Repetieren von Glaubenssätzen. Es kommt auf die gelungene Korrelation von Glaube und Leben, von Botschaft und Situation an.“58

      Predigt als Zeugnis nimmt die PredigerInnen in Pflicht, „persönlich zu predigen“,59 nicht „über“ das Wort Gottes zu reden, sondern davon, was einen selbst betroffen hat und betroffen gemacht hat.

      „Jede Predigt im Gottesdienst der Kirche muß ein persönliches Bezeugen dessen sein, wovon der Prediger spricht. Dabei richtet der Zeuge zunächst die Aufmerksamkeit auf sich selbst und auf das, was er verkündet.“60

      Unter