heiliger werden, je mehr wir Mensch, Mitmensch werden.
Krise der Kirche oder des Glaubens
Die Krise
stellt die Weichen für das Leben.
Bis weit in unsere Zeit hinein hat sich die Kirche als „allein seligmachend“ verstanden. Mittlerweile muss sie sich damit abfinden, dass es eine Fülle von religiösen Erfahrungen und Bewegungen gibt. Einige Bischöfe sehen darin sogar schon Anzeichen für eine Kirchenverfolgung in Europa.
Diese vielfältigen religiösen Erfahrungen sollte man nicht abtun, auch wenn sich viele von denen, die sie machen, von der Kirche abwenden, da sie in ihr zu wenig vom Wort, vom Werk, vom Geist Jesu finden. Die Kirche ist zu oft vom Weg abgekommen und hat sich in ‚Gotteshäuser‘ zurückgezogen. Aber an die Erfahrungen am Rande der Kirche lässt sich, besonders wenn man keine Vorurteile hat, durchaus anknüpfen und darauf aufbauen. Dann vor allem, wenn aus der Kirchenkrise nicht gleich und leichtfertig eine Glaubenskrise konstruiert wird.
Wo wohnt Gott
Nach dem gemeinsamen Abendgebet
saßen die beiden Mönche im Garten
und betrachteten den klaren Sternenhimmel.
Der Ältere erklärte dem Jüngeren einige Sternbilder,
bis dieser fragte:
„Gibt es einen Gott hinter den Sternen?“
Der Ältere schwieg einige Zeit.
Dann fasste er den Jüngeren an der Hand und sagte:
„Wenn du Gott nicht in dir findest,
wirst du ihn hinter den Sternen vergeblich suchen.“
Auch wenn die Kirche immer noch an alten Gottesbildern hängen mag – Gott ist anderswo zu suchen als in einer jenseitigen Welt, von der aus er alles regelt und verordnet, sagten die Mystiker schon vor Zeiten. Gott ist in der Tiefe, also im Menschen selbst. Meister Eckhart wäre wegen dieser Aussage beinahe auf dem Scheiterhaufen gelandet. Gott sei „nicht die Antwort auf ein menschliches Bedürfnis. Gott so verstehen hieße, ihn verkleinern und damit verneinen“, so der Jesuitenpater George Coyne, der noch in unseren Tagen daraufhin seine Aufgabe als Hofastronom des Vatikans quittieren musste.
Der große Theologe Karl Rahner betont, dass Gott mit jedem Menschen seine Geschichte hat. Und, so fügen wir hinzu: Jeder Mensch hat auch seine Geschichte mit Gott. Es braucht viel Freiheit und Mut, sich das zuzugestehen.
Der tschechische Professor Tomas Halik, er wurde in den kommunistischen Zeiten heimlich zum Priester geweiht, sagt: „Viele, die mit Gott kämpfen, sind ihm näher als die Gleichgültigen.“ Menschen spüren es heute deutlicher als früher, wo alles seine vorgeschriebenen religiösen Bahnen ging, dass sie ohne Gottesbeziehung nicht ganz sind. Gott und die Menschen miteinander auf einzigartige Weise zu verbinden, das hat Jesus in unsere Welt gebracht. In dieser Nähe und Intensität lässt sich das außerhalb des Christentums kaum finden.
Zugegeben: Früher war alles viel einfacher, als man noch sagen konnte: Das hat Gott gesagt. Das ist der Wille Gottes. Das hat Gott so und nicht anders gemacht. Heute muss der Glaube die Unsicherheit und die Verborgenheit Gottes ertragen. Wieder Halik: „Glaube und Zweifel sind Geschwister. Sie brauchen einander. Wer sich seines Glaubens allzu sicher ist, kann leicht zum Fanatiker werden. Davon haben die Religionen derzeit mehr als genug.“
Du sollst Gott lieben, wie er ist:
ein Nichtgott, ein Nichtgeist,
eine Nichtperson, ein Nichtbild.
(Meister Eckhart)
Wir müssen uns von allen Äußerlichkeiten befreien. Deswegen ist es nicht mehr so leicht, von Gott zu reden. Früher ist uns dieses Wort zu einfach und zu schnell über die Lippen gekommen.
Für mich und meinen Glauben gilt ein wichtiger Satz: In der Menschlichkeit Jesu begegne ich Gott. In den Leiden wie in den Freuden der Menschen; selbst noch in ihrem Versagen. Gott lässt sich im Gesicht der Mitmenschen erkennen, und ich hoffe, dass auch auf meinem Gesicht das Göttliche erkannt werden kann. In der Gerichtsrede nach Matthäus lässt Jesus Gott in der Gestalt des Königs sagen: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Aber auch: Was ihr ihm verweigert, habt ihr mir verweigert. Das Menschliche wie das Allzumenschliche trifft Gott, so sagt es Jesus.
Das ist die Tür, dessen bin ich sicher, die zu Gott führt. Er wartet hinter dieser Tür. Auf der Tür steht das Wort Liebe nach der kurzen Formel, die uns Jesus gegeben hat: „Gott lieben, den Nächsten lieben und sich selbst“. Ein heiliger Dreiklang, auf den wir hören sollen und den wir anschlagen können, wo immer wir sind, um entschlossen durch diese Tür zu gehen. Allem Krisengerede zum Trotz.
Große Teile der Bibel enthalten Verbrauchtes, bestenfalls etwas, das dringend der Aufarbeitung bedarf. Der Beweis dafür lässt sich leicht auf den 54 eng bedruckten Spalten des Buches Leviticus antreten: Dieses biblische Buch strotzt nur so von fragwürdigen Reinheitsvorschriften, Nahrungsverboten, sexuellen Verurteilungen und Todesstrafen, selbst bei Vergehen, die wir heute als geringfügig oder vernachlässigenswert ansehen.
Dennoch gehört die Bibel zu unserem heiligen „Erbgut“, aber es ist eben ein Erbe, das 2000 bis 3000 Jahre alt ist, niedergeschrieben in der Denk- und Redeweise längst verflossener Generationen und einer überholten Weltanschauung.
Entscheidend für uns jedoch ist: Die Texte der Bibel sind der Niederschlag der Gotteserfahrung, die Menschen ihrer Zeit gemacht haben. In den Evangelien, der Apostelgeschichte, den Briefen ist es die besondere Gotteserfahrung, die durch Jesus Christus ausgelöst wurde und die so für die Menschheit jener Zeit, des ersten und zweiten Jahrhunderts, eine ganz neue, weil andere Bedeutung gewonnen hat. Auf einmal ist Gott für die Menschen da und nicht umgekehrt. Gott thront auch nicht mehr hoch über allen Himmeln; er nimmt unsere Gestalt an. Gott herrscht nicht unnahbar in weiter Ferne über die Welt und die Menschen, er begegnet uns in Menschlichkeit. Mit dem Neuen Testament lernen wir Jesus von Nazareth als den von Gott erfüllten Menschen kennen und lieben. Und zwar auf so nachhaltige Weise, dass wir den Weg, den er zeigt, mitgehen wollen. Denn erst mit der Nachfolge werden Worte auf Papier zum Wort Gottes, zur Weisung, zum Leben.
Deswegen können beispielsweise drei Worte aus dem 1. Johannesbrief – ‚Gott ist Liebe‘ – Menschen zutiefst berühren und sie dazu bewegen, in ihrem Leben die Liebe zu verwirklichen.
Das ist für mich zugleich das Eigentliche an den hl. Schriften: Sie wollen schöpferisch sein, in uns etwas auslösen. Das sagt uns, dass sie insoweit ‚Wort Gottes‘ sind, als sie eine Veränderung des Menschen zum Guten bewirken: Versöhnung schaffen, Gerechtigkeit durchsetzen, Frieden stiften, zur Verantwortung anregen. Wo die gleichen Schriften allerdings zu Gewalt, Terror und Blutvergießen anstiften – Stellen dafür gibt es genug –, haben sie das Prädikat ‚Wort Gottes‘ verwirkt.
Das neue Gottesbild
Man kann Gott totschweigen.
Man kann ihn auch totreden.
(Phil Bosmans)
„Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ So wie ihn die Menschen denken oder beschreiben. Ansonsten wäre er in unserer Hand. „Sie schufen sich Gott nach ihrem Bild und Gleichnis“, müsste sonst im ersten Buch der Bibel stehen. Gott ist im Verlauf der Zeiten zu einem ganz Anderen geworden, als er uns in der kirchlichen Tradition überliefert wurde: Aus dem Gott-in-der-Höhe wurde ein Gott-mitten-unter-uns. Einer, der für uns da ist.
Die Vergangenheit hatte für Gott eine Fülle von Bildern zur Verfügung, die je nach „Sachlage“ als Froh- oder Drohbotschaft von den Predigern eingesetzt wurden. Wir Heutigen stellen fest: Es gibt keine Worte und Bilder mehr,