Roland Breitenbach

Das Evangelium zu Fuß


Скачать книгу

Herrscher, Richter und Rächer, umso mehr lenkten sie von dem ab, der letztlich unfassbar und unbeschreiblich ist; machten handsam, was nicht zu fassen und zu begreifen ist.

       Gott

       Auf Drängen seiner Schüler

      erklärte sich der Weise bereit,

      alles, was er von Gott wisse,

      in einem Buch zusammenzufassen.

      Wieder und wieder mussten die Schüler nachfragen,

      bis sie endlich das fertige Exemplar in Händen hielten.

       Doch die Enttäuschung war groß:

      Nichts als leere Seiten.

      „Nichts,

      das ist alles, was wir von Gott sagen können“,

      erklärte der Weise.

      Unsere Worte über Gott sind „wie Finger, die auf etwas ganz anderes zeigen“ (Lenaers). Wurde in unseren Gebeten, in seinen Geboten Gott genannt, dann zeigte der Finger immer nach oben, in den Himmel, in eine unbegreifliche Ferne. Doch Gott ist nie draußen. Er ist immer schon drinnen. In uns, sagten die Mystiker schon vor fünf, sechs Jahrhunderten – und das ist auch die wichtigste und schönste Erfahrung, die wir Heutigen machen können: Gott ist der Kern, die Mitte eines jeden kosmischen Prozesses. Er ist auch unsere Mitte. In unserem Verständnis gibt es nur noch eine Welt, in der sich Gott wie ein großes Geheimnis offenbart, das vor Liebe überfließt und an dieser Liebe erkennbar ist. Je größer das Geheimnis unserer Welt wird, sagen nicht wenige anerkannte Wissenschaftler, desto tiefer wird unsere Ahnung von Gott in allem.

      Diese Gotteserfahrung hat Konsequenzen für den Glauben, für die Lehre und die Ethik der Kirche wie für unser Beten. Mit dem Namen „Gott“ wird auf den tiefsten Grund unserer Wirklichkeit gezeigt. Die Mystiker ringen darum, wie sich diese Wirklichkeit für uns deuten lässt. Besonders drastisch tat das Meister Eckhart schon im 14. Jahrhundert:

      Manche Menschen wollen Gott mit den Augen ansehen,

      mit denen sie eine Kuh ansehen.

      Sie wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben.

      Die Kuh liebt man wegen der Milch,

      des Käses, des eigenen Nutzens.

      So halten es jene Leute mit Gott.

       Sie lieben Gott nicht, sie lieben ihren Eigennutz.“

      Fragt man Eckhart, wie man Gott begegnen soll, antwortet er: „Der wahrhaft Liebende liebt Gott in allem und findet Gott in allem.“ Und: „Wenn du Gott bei deiner Arbeit im Stall weniger nahe bist als im Hochamt, dann hast du ihn nicht.“

      In diesen Worten erfahren wir zugleich, was heute beten heißt: sich bewusst in Freud und Leid, in Hoffnung und Trauer mit Gott verbinden und daraus leben und handeln, ohne etwas zu erwarten. So bleibt uns weniger das Bitten als mehr das Loben und Danken als die selbstverständliche Gebetsform, die wir in jedem Gottesdienst üben. Wir leben aus der Wirklichkeit Gottes, die sich an uns verschenkt. Und dann, so vertrauen wir, wird alles gut.

      Lob und Dank haben viel mit Ehrfurcht, Staunen und Bewunderung zu tun. Das Staunen darüber, dass Gott uns annimmt, wie wir sind, und uns nicht, wie das unter überholten Vorstellungen gedacht wurde, ständig in die Zange nimmt. Bewunderung darüber, dass sich das große Weltgeheimnis uns zugewandt hat und zu uns sagt: Mein bist du. Ich hab dich lieb. Ehrfurcht vor uns selbst, weil Gott sich auch in uns zeigen und sichtbar machen will.

      In der im Messbuch strikt vorgeschriebenen Form der gottesdienstlichen Feier kommt an mindestens zehn Stellen zum Ausdruck, dass wir uns gefälligst als sündige und nicht etwa als erlöste Menschen zu fühlen haben und Gott entsprechend um sein Erbarmen bitten müssen. Das Gottes- und Menschenbild des römischen Messbuchs entspricht schon lange nicht mehr dem Selbstverständnis der Menschen in unseren Gemeinden. Im wunderbaren schwedischen Film „Wie im Himmel“ sagt dagegen die Pfarrersfrau überzeugend: „Gott vergibt uns nicht, weil er uns erst gar nicht verurteilt.“

      Ein befreiendes Wort, das wir gerne aus dem Mund derer hören möchten, die uns das Evangelium verkünden. Gott hat uns erst gar nicht verurteilt – das gehört zu meinem Glaubensbekenntnis. Es lässt mich aufrecht stehen und beten. Das gibt mir ein gesundes Selbstbewusstsein.

      Wer betet, will schließlich Gott nicht begreifen, sondern ihm begegnen. Einem Du, das die Liebe ist, wie Johannes schreibt. Das Begreifen dessen, was göttliche Liebe ist, was sich in dieser Liebe alles verbirgt, erwarte ich für mich in einer neuen Welt.

       Ein neues Jesusbild

       Welcher Kirche

       würde Jesus heute beitreten?

      (Walter Ludin)

      Die alten Bilder tragen nicht mehr. Sie sind weitgehend unverständlich geworden. Wenn wir uns also darüber austauschen, was wir glauben, brauchen wir neue Bilder, ein neues Jesusbild; wir brauchen verständliche Worte und wir brauchen verständliche Riten.

      Jesus war wieder einmal auf die Erde gekommen.

      Er wollte sehen, wie es mit seiner Botschaft stehe.

       Schneller als gedacht

      wurde er von einer kirchlichen Behörde gefragt,

       welches die wahre Religion sei:

       das Judentum, der Islam, das Christentum?

      „Ich stelle mich auf die Seite der Menschen,

      nicht der Religionen“,

      gab Jesus zur Antwort.

      „Du solltest vorsichtiger sein mit dem,

       was du sagst!“

       „Ich weiß!

       Deswegen bin ich schon einmal gekreuzigt worden.“

      Wir begegnen heute Gott vor allem und zuerst in der Menschlichkeit Jesu. Er selber bezeichnet sich als Weg zu Gott. Zugleich lehrt er durch sein Leben, dass wir Gott auch in der Mitmenschlichkeit eines jeden Menschen erfahren können. Damit wäre eigentlich doch alles gesagt. Doch wir müssen das noch ein wenig entfalten.

      Christsein, das ist also die Lebenshaltung nach dem Wort und Beispiel Jesu von Nazareth, im Glauben an seine göttliche Sendung. Durch seinen Tod am Kreuz, mehr noch durch sein neues Leben sind die Gläubigen zu einer ganz besonderen Gemeinschaft zusammengewachsen. Diese nennen wir Kirche, die Gemeinschaft der durch das Evangelium Herausgerufenen.

      Für unseren Glauben und damit für unsere Lebensgestaltung sind wir ganz auf das Zeugnis der ersten Christen, auf die Jüngerinnen und Jünger Jesu, angewiesen. Weit über ihr schlichtes Zeugnis hinaus gibt es spätestens mit dem Konzil von Nicäa (325) die Lehre der Kirche, dieser Mann aus Nazareth sei „wahrer Mensch und wahrer Gott“ gewesen.

      Mit der Vorstellung von der ‚Gottheit Jesu‘ haben wir es mit einer Deutung zu tun, die sich erst allmählich in der Kirche entwickelte. Schon im Alten Testament, in der Hebräischen Bibel, war ‚Sohn Gottes‘ nicht wortwörtlich zu verstehen. Es war eine Auszeichnung. Ein Ehrentitel. Mit solchen und weiteren Titeln wie ‚Lamm Gottes‘ oder ‚der Gesalbte Gottes‘ suchte die Kirche für Jesus und seine Verehrung die passenden Worte und Bilder zu finden.

      Jesus ‚Gott‘ zu nennen wäre weder dem Apostel Paulus noch den ersten drei Evangelisten Matthäus Markus und Lukas in den Sinn gekommen. Gott, das war und bleibt Gott allein. Der Glaube an diesen einen Gott hat das Volk Israel durch seine schwierige Geschichte getragen.

      Im Heidentum, von dem die junge Christengemeinde ringsum umgeben war, wimmelte es nur so von menschlichen Halbgöttern