Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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Gruppen im Leben der Kirche geben muss und auch immer gegeben hat. Gerade wenn es in der Kirche notwendig ein charismatisches Moment gibt, das nicht allein durch das kirchliche Amt verwaltet und repräsentiert werden kann und darf, seien diese Gruppen wichtig und nötig.192 Denn sie verleihen dem Charismatischen in der Kirche Konkretheit und Effizienz.193 Weil sich diese Gruppen besonders dadurch auszeichneten, dass sie nicht Ausfluss positiven kirchlichen Rechtes sind und sich von sich aus gründeten, bedürften sie „grundsätzlich auch keiner offiziellen Approbation von oben.“194 Trotz ihres „parakanonischen Charakters“195 dürften sie nicht von vornherein unter dem Verdacht stehen, schismatisch zu sein. Dies sei vor allem dann zu beachten, wenn sich die Priestergruppen „in einem gewissen Gegensatz zu den Bischöfen als Leitern der Kirche“196 befinden. Gerade für die ostdeutsche Situation barg eine solche Feststellung eine nicht zu unterschätzende Brisanz in sich.

      Ende 1968 hatten sich das Kommissariat Magdeburg und hier besonders die katholische Kirche in der Stadt Halle zu einem Schmelztiegel von Reformbewegungen entwickelt. Besonders junge Akademiker sahen in den Aussagen des II. Vatikanischen Konzils zum Kirchenverständnis, Laienapostolat und zum Weltdienst der Christen einen Impuls, die Situation der katholischen Kirche in der DDR theologisch neu zu bewerten. Die strikt durchgehaltene Abstinenzpolitik der katholischen Bischöfe gegenüber der sozialistischen Gesellschaft schien ihnen nicht erst seit dem Konzil anachronistisch. Aber durch seine Aussagen sahen sie ihre Position in besonderer Weise legitimiert. Dass sich in Halle ein weitverzweigtes Netzwerk reformorientierter Katholiken etablieren konnte, dürfte sowohl an begünstigenden personellen als auch institutionellen Rahmenbedingungen gelegen haben. Die ausgezeichneten Verbindungen der in Magdeburg eingesetzten Paderborner Priester sowie der Studentengemeinden nach Westdeutschland scheinen nicht unwesentlich dazu beigetragen zu haben, dass das Erzbischöfliche Kommissariat trotz der seit 1961 bestehenden staatlichen Isolation infolge der Errichtung der innerdeutschen Grenze am Pulsschlag des internationalen Katholizismus blieb. Der weitgehend inoffizielle Import westlicher theologischer und soziologischer Literatur stieß zwar bei den ostdeutschen Bischöfen auf Skepsis, verstärkte jedoch nur ein ohnehin existentes Reformbestreben, das aus der Situation der Kirche unter einer sozialistischen Diktatur erwuchs. Die zunehmende Verschärfung der Autoritäts- und Priesterkrise 1968, die zeitgleiche Erlahmung der Konzilsrezeption und das Erstarken restaurativer Kräfte, die Niederschlagung des Prager Frühlings, das Ende des Erfurter Gesprächskreises, das Ende des „Hallenser Experimentes“ mit dem Sprachenkurs und der Studentengemeinde sowie das vielfach ungenutzte Potential und Mitspracherecht der katholischen Akademiker, all das hatte für diejenigen, die im Konzil einen Aufbruch der Kirche erblickt hatten, das Fass der Enttäuschungen randvoll gefüllt. Die Nachfolgeregelung für den Paderborner Weihbischof in Magdeburg im Jahr 1969 stellte insofern den sprichwörtlichen Tropfen dar, der den postkonziliaren Reformelan auf breiter Front entfesselte.

      2.Initialzündung - die Bischofsernennung in Magdeburg

      Gründungsauslöser und erster öffentlicher Testfall für die Rezeption von Geist und Buchstabe des Konzils war die Nachfolgeregelung für den Magdeburger Weihbischof Friedrich Maria Rintelen im Sommer 1969. Die Entwicklungen im Kommissariat Magdeburg zwischen Juli 1969 und der Bischofsweihe im April 1970 stellen ein Exepmel dafür dar, wie sich innerkirchliche, diplomatische und machtpolitische Aspekte auf die Verwirklichung konziliarer Aufbrüche in der DDR auswirkten. Diese äußerst disparate Gemengelage ist für die Bedingungen konstitutiv, unter denen sich die Konzilsrezeption auch im totalitären SED-Staat vollzog. Dabei zeigt sich, welche Probleme und Konsekutivwirkungen die oft nur unzureichende Implementierung demokratischer Partizipationsmöglichkeiten in sich barg. Das geheime Prozedere der Ablösungsbestrebungen sowie der Versuch einer breiten Beteiligung der Ortskirche bei der Wahl des neuen Weihbischofs führten zu erheblichen und teils öffentlichen Kontroversen. Diese spalteten nicht nur den Magdeburger Klerus, sondern hatten Auswirkungen bis in höchste kirchliche Kreise. Im Folgenden soll das vielfältige Problemfeld aufgezeigt werden, auf dem sich der Aktionskreis Halle als innerkirchliche Protestbewegung konstituierte. Die Entwicklungen werden aufgrund ihrer Brisanz, der umfangreichen und erst jüngst zugänglichen Quellenlage sowie der Bedeutung für spätere öffentliche Wahrnehmung des AKH ausführlich dargelegt.

      2.1Konfliktreiche Rahmenbedingungen

      Im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg lassen sich in den Jahren 1969/70 im Wesentlichen drei Aspekt benennen, die auf innerkirchliche Reformambitionen Auswirkungen hatten: innerkirchliche Bestrebungen zur Bischofswahl, kirchenpolitische Emanzipationsbemühungen der DDR sowie persönliche Differenzen einzelner Bischöfe in der DDR.

      Die innerkirchlich-theologische Situation war auf und nach dem Konzil unter anderem durch die Frage nach einem möglichen Anteil der Priester und Laien an der Bischofswahl geprägt.197 Durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte hindurch gab es unterschiedliche Formen zur Besetzung eines vakanten Bischofssitzes.198 Eine Beteiligung des Presbyteriums oder der Laien bei der Auswahl und Benennung eines Bischofs wird in der katholischen Kirche spätestens seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr praktiziert.199 Im 20. Jahrhundert wurde das freie päpstliche Ernennungsrecht zur gemeinrechtlichen Regel erhoben und die Möglichkeit zur Bischofswahl war fortan nur noch eine Konzession an zumeist deutschsprachige Konkordatspartner des Heiligen Stuhls.200 Von diesen Regelungen ist das Prozedere für die Ernennung eines Auxiliarbischofs zu unterscheiden, da dieser entsprechend einer einzureichenden Vorschlagsliste vom Vatikan ernannt wird.201 Das II. Vatikanum ließ keinen Zweifel daran, dass es am geltenden Modus zur Bestellung der Bischöfe festhalten und staatliche Einflussmöglichkeiten zurückgedrängt wissen wollte.202 Nach 1965 kam es weltweit zu Forderungen von katholischen Priestern und Laien, ihre Ortsbischöfe selbst wählen bzw. ein Mitspracherecht bei der Kandidatenaufstellung wahrnehmen zu dürfen.203 Die Nachfolge der Erzbischöfe in New York, Paris und Köln204, um nur einige Beispiele zu nennen, sollte dementsprechend geregelt werden.205 Aufgrund der exzellenten Verbindungen der Magdeburger Priester und Laien nach Westdeutschland - hier ist besonders der Freckenhorster Kreis206 zu erwähnen207 - waren diese Entwicklungen in der DDR präsent.208 Nicht zuletzt die theologische Diskussion dieser Frage hatte diese Ansprüche auch auf die Agenda einzelner ostdeutscher Priester und Laien gesetzt. Dabei waren es gerade keine theologischen Außenseiter, die auf die mangelnde Beteiligung der Ortskirche bei der Bestellung eines Bischofs hinwiesen und für geeignete Formen der Partizipation eintraten.209 In Ostdeutschland hatte unter anderem die Meißner Diözesansynode eine entsprechende Beteiligungsmöglichkeit der Ortskirche eingefordert.210

      Die kirchenpolitische Situation in der DDR in den späten 1960er Jahren war wie im gesamten Ostblock äußerst angespannt. Der Grund hierfür lag in einer diffizilen Gemengelage unterschiedlicher außen- und innenpolitischer Interessen der Staaten unter sowjetischer Hegemonie. Umrahmt wurden diese Entwicklungen von der „Vatikanischen Ostpolitik“211 und der Deutschlandpolitik der linksliberalen Bonner Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt.212 Der SED-Staat drängte im Hinblick auf das zwanzigjährige Jubiläum der Staatsgründung auf eine Anerkennung seines völkerrechtlichen Status als zweiter deutscher Staat und übte dafür auch Druck auf die Kirchen aus. Während sich die evangelischen Kirchen in der DDR bereits 1965 von der bundesdeutschen EKD getrennt hatten, galt dies für die katholische Kirche als inopportun. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die katholischen Bischöfe der mitteldeutschen Bistümer alles darangesetzt, die durch die Interzonen- und spätere Staatsgrenze herbeigeführte politische Teilung pastoral abzumildern und die kirchliche Verbindung nicht abreißen zu lassen. Dies zeigte sich besonders deutlich in der Personalpolitik. Friedrich Maria Rintelen, Priester und Generalvikar der Erzdiözese Paderborn, wurde am 12. Dezember 1951 durch Papst Pius XII. zum Titularbischof von Chusira ernannt und am 24. Januar 1952 zum Paderborner Auxiliarbischof geweiht. Kardinal Jaeger entsandte ihn am 1. Januar 1952 als Erzbischöflichen Kommissar nach Magdeburg, wo er den östlichen Diözesanteil im Auftrag von Kardinal Jaeger weitgehend selbstständig leitete.213 Auch in Erfurt, Meiningen und Schwerin waren bischöfliche Kommissare im Amt, die mit delegierten Vollmachten