Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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für die Berliner Pläne277 mit der Begründung, dass er es für kirchenrechtlich unzulässig halte, wenn nicht der zuständige Paderborner Erzbischof, sondern Kardinal Bengsch eine Nachfolgeregelung forciere.278 Aufgrund der beschriebenen Vorgänge erscheint es folgerichtig, dass die Absicht und die Pläne zur Ernennung von Paul Nordhues ihren Ursprung an der Spree hatten und Kardinal Jaeger hierüber erst nachträglich informiert wurde. Alfred Bengsch hat nicht nur inoffiziell gegen Rintelen, sondern auch für Nordhues bei Nuntius Bafile interveniert. Aufgrund der mündlich erklärten Bereitschaft des von Bengsch favorisierten Nachfolgers wandte sich der Berliner Kardinal über Prälat Groß an die zuständigen staatlichen Stellen in der DDR, um die Frage der Wiedereinbürgerung von Paul Nordhues zu eruieren.279 Er war aufgrund seiner Ernennung zum Paderborner Weihbischof 1961 legal in die Bundesrepublik verzogen und deshalb ausgebürgert worden. Groß erhielt von Seiten der DDR die Zusage, dass man Weihbischof Nordhues „auf dem Wege der Familienzusammenführung über die Liste, die die Rechtsanwälte Vogel und Stange einreichen, hereinlassen“280 würde. Die DDR legte dabei großen Wert darauf, dass diese Angelegenheit aufgrund „ihres delikaten gesamtdeutschen Charakters (Paderborn-Magdeburg) absolut vertraulich und diskret behandelt werden“281 müsse. Die Pläne zur Nachfolge waren so geheim, dass selbst der davon unmittelbar Betroffene und noch amtierende Kommissar Friedrich Maria Rintelen nichts wusste. Diese Geheimpolitik sollte nicht zu unterschätzende Folgen haben.

      Über den prinzipiellen Schwebezustand, in dem sich die Kommissare in der DDR befanden, war Weihbischof Rintelen voll im Bilde.282 Zudem war ihm die kirchenrechtliche Norm hinsichtlich der Emeritierung von Auxiliarbischöfen bewusst. Gegenüber der Berliner Ordinarienkonferenz und gegenüber Kardinal Jaeger hatte Rintelen deshalb verschiedentlich angedeutet, dass er „mit Erreichen des 70. Lebensjahres die Leitung des Kommissariates niederlegen“283 würde. Auf die konkrete Anfrage Kardinal Jaegers über seine Zukunftsvorstellungen im Juni 1969 erwiderte Rintelen intern, dass er „nicht böse sein würde, wenn ich bald der Last und Verantwortung meines Amtes ledig würde.“284 Öffentlich hielt Rintelen allerdings daran fest, dass er auch mit 70 Jahren und darüber hinaus sein Amt ausüben wolle, da er körperlich in guter Verfassung sei.285 Aufkommende Gerüchte über eine Nachfolgeregelung dementierte er offensichtlich in Unkenntnis der tatsächlichen Pläne.286 Zugleich informierte Rintelen seinen Paderborner Erzbischof von den verschiedenen Anfragen sowie seiner Reaktion darauf und bemerkte: „Ich nehme an, dass du diesen Brief mit solchem Schmunzeln liest wie ich ihn schreibe.“287 Doch noch bevor dieser Brief in Paderborn eintraf, setzte Kardinal Jaeger seinerseits den noch amtierenden Kommissar mit den Absichten für die Regelung seiner Nachfolge schriftlich ins Benehmen.288 Der Erzbischof schlug deshalb vor, Rintelen möge für ein klärendes Gespräch nach Paderborn kommen oder, sollte er keine Reisegenehmigung bekommen, eine schriftliche Stellungnahme für den Nuntius fixieren.289 Unmittelbar darauf verfasste Rintelen ein Antwortschreiben, in dem er seine Überraschung über diese Vorgänge zum Ausdruck brachte.290 Anfang Juli 1969 fuhr Weihbischof Rintelen nach Paderborn und wurde von Nuntius Bafile und Erzbischof Jaeger über den Ablauf seiner Emeritierung informiert.291 Für die Gründung des späteren Aktionskreises Halle sind die Entwicklungen unmittelbar nach der Rückkehr von Weihbischof Rintelen aus Paderborn am 14. Juli 1969 von entscheidender Bedeutung. Entgegen einer vereinbarten oder zumindest vorausgesetzten Geheimhaltung der Vorgänge und Pläne äußerte sich Rintelen gegenüber dem Hallenser Propst Dr. Langsch zu den geheimen Planungen für seine Nachfolge.292 Gegenüber engen Vertrauten machte er „kein Hehl aus seiner Niedergeschlagenheit.“293 Mit der Enthüllung der hinter seinem Rücken betriebenen Absetzungspläne löste der desavouierte Weihbischof eine Bewegung aus, deren Konsequenzen er weder überblickt noch intendiert haben dürfte.

      Die Mitglieder des Magdeburger Presbyteriums erhielten an den darauffolgenden Tagen Kenntnis von den Vorgängen um Weihbischof Rintelen und einzelne Mitglieder des Priesterrates fuhren selbst nach Magdeburg, um sich die Informationen aus erster Hand bestätigen zu lassen.294 Diese Mitteilungen gegenüber engen Vertrauten und Vertretern des Presbyteriums reichten aus, um binnen kürzester Zeit Solidarisierungsbekundungen und spontane Treffen hervorzurufen.295 Der Magdeburger Priesterrat hatte aufgrund dieser Neuigkeiten zu einer außerordentlichen Sitzung für den 22. Juli eingeladen.296 Doch einer Gruppe von Priestern vorwiegend aus dem Hallenser Raum erschien es zudem nötig, den frühestmöglichen Termin für eine Vollversammlung des Presbyteriums zu wählen, um nicht durch ein zwischenzeitliches Bekanntwerden des neuen Koadjutors den Eindruck zu erwecken, dass man sich gegen ihn formiere.297 Trotz Urlaubszeit und einer nur 24stündigen Einladungsfrist, erschienen am darauffolgenden Samstag, den 19. Juli, etwa 80 der insgesamt über 300 Magdeburger Priester, „alle nicht außer Landes weilende Mitarbeiter des Seelsorgeamtes, der Akademikerseelsorge, der Magdeburger Studentenpfarrer, der Diözesancaritasdirektor“298 sowie die beiden Pröpste von Halle und Magdeburg, die Paderborner Domkapitulare waren.299 Auf dem Treffen wurden durch den Sekretär des Priesterrates Wolfgang Simon die im Umlauf befindlichen Informationen zur Causa Rintelen bestätigt und ein Leitungsgremium, bestehend aus Theo Steinhoff, Claus Herold und Willi Verstege, per Akklamation gewählt, das die Sitzung leiten und koordinieren sollte.300 Auf der Versammlung war zudem ein Vertreter der katholischen Akademikerarbeit im Kommissariat erschienen und hatte eine von Laien verfasste Protestnote verlesen.301 Nach einer ausführlichen Debatte verabschiedete man eine Erklärung, die an Papst Paul VI., Kardinal Jaeger, Kardinal Bengsch und Weihbischof Rintelen gerichtet war und die zunächst 72 der 77 anwesenden Priester unterzeichneten, später zählte die Protestnote insgesamt 155 Unterschriften:

       „Aus Solidarität mit unserem Bruder und Weihbischof Friedrich Maria Rintelen protestieren wir gegen die Verfahrensweise, mit der über den Kopf hinweg ein Koadjutor ernannt worden ist. Dieses Verhalten halten wir für unbrüderlich und vorkonziliar. Aus gemeinsamer Verantwortung für das Kommissariat erwarten wir auch jetzt noch, dass das Volk Gottes, zumindest aber das Presbyterium, bei der Ernennung eines neuen Bischofs gehört wird, zumal dessen Name bis zur Stunde nicht bekannt ist.“ 302

      Für diese bis dahin einmalige Protestnote an den Papst und die Bischöfe, gab es zwei Auslöser. Zunächst ging es dem Magdeburger Priesterrat darum, den betreffenden kirchlichen Stellen „zumindest das Befremden zum Ausdruck zu bringen über diese Verfahrensweise.“303 Zu dieser Zeit wurde das Anliegen, das auch von zahlreichen Gemeinden und Gruppen geteilt wurde304, durch den noch amtierenden Magdeburger Weihbischof unterstüzt.305 Erst in zweiter Hinsicht wurde letztlich der wegweisende Impuls artikuliert, eine dem Gesit des Konzils entspringende Beteiligung des Volkes Gottes bei der Nominierung eines Nachfolgers einzufordern. Diese Chronologie zeigt, dass es sich keinesfalls um eine klerikale Revolte handelte, sondern um eine legitime Solidarisierung aus dem Geist des Konzils, die erst in zweiter Hinsicht der Forderung nach einer breiteren innerkirchlichen Mitverantwortung verpflichtet war. Auffallend ist, dass die offizielle Protestnote des Magdeburger Priesterrates nur wenige Tage später ebenfalls die konziliare Rückgebundenheit sowie innerkirchliche Kritik am Weihbischof thematisierte.306

      Durch den zufällig auf der Hallenser Versammlung am 19. Juli anwesenden Priester Leonhard Harding wurden die Erklärung und ein Bericht wenige Tage später an die bundesdeutsche Presse übergeben.307 Ein daraufhin am 24. Juli 1969 erscheinender Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung begründete Rintelens Resignation mit dessen Verärgerung über die Ernennung eines Koadjutors über seinen Kopf hinweg.308 Das Paderborner Ordinariat bemühte sich zwar um ein kurzes Dementi.309 Doch die Geheimhaltung war damit endgültig gebrochen. Wenige Tage später informierten die staatlichen Stellen in der DDR den Berliner Erzbischof darüber, dass sie sich nach der Pressemeldung über den Koadjutor in Magdeburg nunmehr außerstande sähen, einer Wiedereinbürgerung des Paderborner Weihbischofs zuzustimmen.310 Damit war die von langer Hand vorbereitete Ernennung von Paul Nordhues zum Nachfolger für Weihbischof Rintelen zunächst an genau dem gescheitert, was Kardinal Bengsch hatte um jeden Preis verhindern wollen: am Einfluss kirchlicher Kreise und einer staatlichen Intervention in die kirchliche Selbstverwaltung.