Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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annehmen und sich zu eigen machen würden.

      2.3.2Gründungsmythos Bischofswahl

      Die zweite Phase ortskirchlicher Mitbestimmung erstreckte sich von November 1969 bis Mitte Dezember 1969 und beschrieb für die katholische Kirche in der DDR ein Novum.

      Es ist zunächst festzuhalten, dass Weihbischof Rintelen der Art und Weise des Protestes anlässlich seiner Emeritierung zunehmend ablehnend gegenüberstand.343 Es muss jedoch ausdrücklich betont werden, dass der kirchenrechtlich zuständige Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger mehrfach die Möglichkeit eines Mitspracherechtes des Klerus schriftlich und mündlich eingeräumt und seine Bereitschaft signalisiert hatte, Kandidatenvorschläge des Presbyteriums entgegennehmen zu wollen. Diese wollte er in seine Vorschlagsliste einfließen lassen344: „Ich wäre dankbar, wenn der Priesterrat sich Gedanken machen würde über die mögliche Nachfolge, die doch in einer absehbaren Zeit einmal erforderlich werden wird... Ich bin gern bereit, diesen Dreiervorschlag weiterzuleiten. Sagen Sie, bitte, allen Mitbrüdern, dass ich Ärger und die Aufregung, die um sich gegriffen hatten, gut begreife; dass ich ebenso deswegen niemandem gram bin.“345 Eine Begründung, weshalb Kardinal Jaeger diesen Weg beschritt und damit den tradierten Modus einer geheimen Nominierung umging, ist nicht überliefert. Klar ist allerdings, dass der Erzbischof mit diesem Prozedere keine kanonische oder konkordatäre Vorgabe missachtet hat.346 Weihbischof Rintelen hat die Möglichkeit einer Wahl des Presbyteriums nicht annähernd so protegiert wie Kardinal Jaeger.347 Auch die Berliner Ordinarienkonferenz schien von einem solchen Vorgehen nicht begeistert gewesen zu sein.348 Obgleich Rintelen derartigen Entwicklungen distanziert begegnete, hat er sich nicht gegen einen solchen Modus gestellt. Wie Quellenrecherchen in den Unterlagen des DDR-Geheimdienstes nahelegen, haben Jaeger und Rintelen nicht eigenwillig, sondern ausdrücklich mit römischem Placet agiert. Ein von der MfS-Postkontrolle (Abteilung M) abgefangener und kopierter handschriftlicher Brief von Kardinal Jaeger aus Rom an den Magdeburger Weihbischof vom 28. November 1969 konstatiert hierzu knapp, aber unmissverständlich: „Deine Vorstellungen habe ich hier vorgetragen und Verständnis gefunden. Es wird trotzdem eine Dreierliste verlangt, wenn man auch Deinen Wünschen Rechnung tragen wird.“349 Diese, von Kardinal Jaeger bewusst350 knapp gehaltene Darstellung lässt den Schluss zu, dass man in Rom nicht nur von dem angestrebten Wahlverfahren durch den Magdeburger Klerus Kenntnis besaß, sondern es unter Wahrung einer gewissen Formpflicht durchaus billigte.351 Für eine solche Interpretation spricht auch ein Hinweis aus der Korrespondenz des Apostolischen Nuntius in Deutschland Erzbischof Konrad Bafile. Offensichtlich hatten kurze Zeit später noch weitere deutsche Diözesen Klärungsbedarf in der Frage einer möglichen Beteiligung von Priestern und Laien bei der Erstellung von Vorschlagslisten für die Benennung von Bischöfen und Auxiliarbischöfen angemeldet. In seinen Antworten an den Kapitelsvikar von Meißen Heinrich Bulang352 und an Kardinal Döpfner353 in München deutete Nuntius Bafile an, dass der Vatikan in Erwartung einer „Neuregelung des Fragenkomplexes ‚de proponendis ad Episcopatum‘ “354 sei und bis dahin ein entsprechender Modus der Diözese Aachen Anwendung finden könne, der die geheime Beteiligung der Diözesanräte vorsähe.355 Auch wenn damit kein demokratischer Automatismus für die katholische Kirche in Gang gesetzt wurde, zeigen diese Beispiele dennoch, dass ein solches Vorgehen nicht nur stillschweigend durch den Vatikan geduldet wurde. Vielmehr wurde es in Vorbereitung einer offensichtlich weitreichenden Neuregelung der Materie als sinnvoll und statthaft angesehen, die Ortskirche bei der Kandidatenfindung in breiterem Umfang zu beteiligen als bisher. Nach den Magdeburger Vorgängen 1969 blieb die Beteiligung des Presbyteriums bei der Erstellung von Kandidatenlisten in der DDR kein Einzelfall. Sie fand mindestens noch in Görlitz 1971 statt.356 Zu der in Aussicht gestellten Neuregelung durch den Vatikan ist es letztlich nicht gekommen; auch die geheime Beteiligung des Presbyteriums bei der Nominierung möglicher Kandidaten geriet in der DDR spätestens Anfang der 1980er Jahre ins Wanken.

      Bevor es im Herbst 1969 um Kandidaten und deren Wahl gehen konnte, musste ein tragfähiger Nominierungsmodus gefunden werden. Obwohl Wahlen für die katholische Kirche an sich kein Novum darstellten, ist eine derart breit angelegte Bischofswahl seit Jahrhunderten nicht praktiziert worden. Der Priesterrat und Weihbischof Rintelen sahen sich dabei in die Pflicht genommen. Der Vorschlag des Priesterrates wurde auf seiner Sitzung am 10. November verabschiedet und beinhaltete folgende Eckpunkte: Jeder Geistliche des Kommissariates Magdeburg sollte anonym einen oder mehrere Kandidatenvorschläge über den zuständigen Dechanten nach Magdeburg schicken. Die fünf Kandidaten mit den meisten Stimmen sollten dem Klerus bekannt gemacht und zur Wahl gestellt werden. Die Priester könnten schließlich anonym aus diesen fünf Kandidaten einen über die Dechanten wählen. Weihbischof Rintelen sollte mit zwei Vertretern des Priesterrates die Wahlzettel auswerten und unter strenger Geheimhaltung das Ergebnis an Kardinal Jaeger übermitteln.357 Weihbischof Rintelen hatte diesem Modus noch am selben Tag zugestimmt. Nachträglich waren ihm jedoch Bedenken gekommen und teils zugetragen worden.358 Ohne den Priesterrat nochmals mit dem Thema zu befassen, suspendierte der Weihbischof das Votum seines Beratergremiums und wandelte es am 29. November nach eigenem Ermessen ab.359 Ausschlaggebend für ihn war, dass die öffentliche Nominierung von fünf Kandidaten die Entscheidungsfreiheit des Heiligen Stuhls einengen könnte, sollte sich dieser für keinen der Vorgeschlagenen entscheiden können. Aufgrund einer Mitteilung von Kardinal Jaeger, dass mit der Ablösung Rintelens im Frühjahr 1970 gerechnet werden müsse, sah Weihbischof Rintelen nach eigenen Angaben keine Zeit mehr, sich mit dem Priesterrat abzustimmen.360 Darüber hinaus musste sich Friedrich Maria Rintelen gegenüber verschiedenen Standpunkten innerhalb des Presbyteriums positionieren. Über 100 Priester hätten sich gegen den Vorschlagsmodus des Priesterrates und gegen die zwischenzeitlich aufgekommene Forderung nach einer Vollversammlung des Klerus ausgesprochen.361 Stattdessen sollte die Kandidatenaufstellung entsprechend der Nomination eines Dechanten durch geheime, anonyme und direkte Wahlen erfolgen. Andere Priester hätten sich überhaupt gegen eine Beteiligung des Presbyteriums gestellt.362 Infolge der Bedenken und des Zeitdrucks entschied sich Rintelen für ein geheimes Votum entsprechend der Dechantenwahl, das er ohne Kommentierung nach Paderborn weiterleiten wollte.363 In der Anlage zu seinem Brief vom 29. November lag ein vorgefertigter offizieller Stimmzettel für alle Geistlichen des Kommissariates. Friedrich Maria Rintelen befürchtete bereits beim Verfassen seines Schreibens, dass diese kurzfristigen und eigenverantwortlichen Veränderungen auf Unverständnis treffen und Verärgerungen provozieren könnten. Die anschließenden Reaktionen der Mitglieder der Hallenser Gruppe kamen daher nicht unerwartet. Bereits am 1. Dezember verfasste der Nienburger Pfarrvikar Willi Verstege einen Brief an Rintelen, in dem er seiner Enttäuschung und Desillusionierung Ausdruck verlieh.364 Zwei Tage später lud ein Brief der Hallenser Gruppe für den 9. Dezember, einen Tag vor Rintelens 70. Geburtstag, zum Gespräch nach Nienburg ein.365 Die apodiktische Formulierung „Gespräch oder Spaltung, das ist die Alternative“ 366 löste heftige Reaktionen im Presbyterium aus und offenbarte seine innere Zerrissenheit. Die Hallenser Gruppe wandte sich einerseits gegen die Düpierung des Priesterrates durch Weihbischof Rintelen, der einen Beschluss von sich aus annulliert und damit die Verbindlichkeit der kurz zuvor errichteten Rätestrukturen grundsätzlich infrage gestellt hatte.367 Andererseits kritisierte man den geheimen und kleruszentrierten Wahlmodus und bat alle Priester, die verschickten Stimmzettel noch nicht auszufüllen.368 Das Treffen in Nienburg vermochte allerdings weder den Wahlmodus hinsichtlich einer Beteiligung der Laien zu ändern noch die Stellung des Priesterrates gegenüber dem Weihbischof zu stabilisieren. Es verzögerte lediglich die Abgabe der Stimmzettel und ließ eine letzte Meinungsbildung zu. Am 13. Dezember 1969 wählte das Presbyterium des Erzbischöflichen Kommissariates Magdeburg durch eine geheime Abstimmung drei Priester, die Kardinal Jaeger für seine Vorschlagsliste verwenden wollte.369

      Der von Weihbischof Rintelen festgesetzte Wahlmodus erlaubte allerdings keine vorherige öffentliche Aufstellung von Kandidaten, sondern sah nur eine direkte und geheime Briefwahl des Klerus vor.370 Die fehlende Nominierungsmöglichkeit und die absolute Geheimhaltung der Ergebnisse verhinderten eine transparente Beurteilung der Wahl und leisteten so Spekulationen Vorschub, es sei zu Unregelmäßigkeiten