Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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für die Linie Aufderbeck/Schürmann durchsetzen zu können. Welche Auswirkungen auf das Wahlergebnis die Andeutungen Kardinal Jaegers in der Korrespondenz mit Magdeburger Priestern hatten, wonach Prälat Braun auch sein Favorit sei, bleibt Spekulation.

      Am 9. März 1970 teilte Weihbischof Rintelen zusammen mit Kardinal Bengsch in einer amtlichen Mitteilung allen Geistlichen des Kommissariates Magdeburg mit, dass Papst Paul VI. den langjährigen Rektor des Norbertuswerkes Monsignore Johannes Braun „zum Titularbischof von Puzia di Bizancena und Adjutor-Bischof des Erzbischöflichen Kommissarius für Magdeburg mit dem Recht der Nachfolge ernannt“450 hat. Die Bischofsweihe sollte am 18. April 1970 im Magdeburger Dom stattfinden.451

      Die offizielle Ernennung von Rektor Braun löste in der Hallenser Solidaritätsgruppe erneut große Empörung aus. Am 14. März publizierte die Gruppe eine Erklärung, in der sie zur Wahl und der Person des Ernannten Stellung nahm.452 Trotz der stattgefundenen Stimmabgabe im Dezember 1969 sahen sich die Hallenser in ihrem Mitspracherecht beschnitten, da die Wahl unter Ausschluss der Laien und ohne Bekanntgabe von Kandidatenvorschlägen und Wahlergebnissen durchgeführt worden war. Unverständlich war für die Gruppe, wie Prälat Braun die Wahl hatte gewinnen können. Nach ihrer Wahrnehmung war er außerhalb des Norbertinums kaum bekannt, in keiner Gruppe der Priester oder Laien aktiv und hinsichtlich seiner theologischen Einstellung etwa zur Ökumene und der gesellschaftlichen Aufgabe der Kirche sei nichts bekannt gewesen.453 Die Solidaritätsgruppe fühlte sich übervorteilt. Deshalb optierte sie für die letzte verbliebene Alternative und drängte ohne Aussicht auf Erfolg darauf, den gesamten Vorgang der Bischofserhebung zu stoppen.454 Sollte jedoch Prälat Braun zum Bischof geweiht werden, wollte die Gruppe durch ihre Einwände und Bedenken einen positiven Beitrag leisten, um das konstruktive Gespräch im Kommissariat wieder aufzunehmen.455 Am 4. April konstituierte sich der Aktionskreis Halle als kirchliche Basisgruppe, die sich aus Priestern und Laien zusammensetzte und jenseits gemeindlicher Strukturen agierte.456 Der Bischofsweihe von Johannes Braun am 18. April 1970 waren die Priester des wenige Tage zuvor gegründeten Aktionskreises ferngeblieben.457 Am 1. Juni 1970 trat Weihbischof Rintelen in den Ruhestand und Bischof Braun übernahm offiziell die Magdeburger Amtsgeschäfte.458

      Überblickt man die als Auslöser für die Gründung des AKH bezeichnete Bischofswahl im Kommissariat Magdeburg vor dem Hintergrund der Konzilsrezeption, so wird deutlich, dass nicht nur die Hallenser Protestgruppe, sondern auch Kardinal Jaeger in Paderborn sowie der Heilige Stuhl in Rom einen konziliar geprägten Geist des Aufbruchs rezipiert haben. Obwohl der gewählte Modus die Stimmabgabe von Laien nicht vorsah und insofern der Volk-Gottes-Ekklesiologie von Lumen gentium nur eingeschränkt Rechnung trug, war es doch innerhalb des kanonisch möglichen Rahmens zu einer Wahl des bischöflichen Nachfolgers gekommen. Dass letztlich alle Beteiligten mehr den Geist als den Buchstaben des Konzils rezipiert haben, ist gerade im Hinblick auf die Rezeptionshermeneutik ein nicht zu vernachlässigender Aspekt. Allerdings stellten die mit dem Ablauf der Wahl verbundenen Spannungen nicht nur für das Kommissariat Magdeburg eine schwere Hypothek dar, welche die gesamte Amtszeit von Bischof Braun prägen sollte. Auch zu der von Rom in Aussicht gestellten Neuregelung der Bischofswahl unter stärkerer Einbeziehung der Ortskirche ist es nicht mehr gekommen. Inwiefern dabei die negativen Erfahrungen aus Magdeburg eine Rolle gespielt haben, bleibt unklar. Sollte Kardinal Jaeger von den kurialen Behörden zu seinen Erfahrungen mit derartigen Bischofswahlen befragt worden sein, dürfte von der anfänglich vorhandenen Unterstützung dieser Reformbestrebungen kaum mehr die Rede gewesen sein.459 Dass an mancher Eskalation während der mehrmonatigen Nachfolgeregelung die inadäquate Implementierung demokratischer Elemente in innerkirchliche Abläufe mitverantwortlich war, wird man kaum bezweifeln. Die im Höchstmaß intransparente Wahl forderte geradewegs dazu heraus, ihre Ergebnisse in Zweifel zu ziehen und dadurch die entstandenen Spannungen nochmals zu vergrößern. In der Bischofswahl in Magdeburg 1969 manifestiert sich der Gründungsmythos des Aktionskreises Halle. Trotz kirchenpolitischer Bedenken, geheimpolizeilicher Manipulationen und innerkirchlicher Intrigen hatten es ein kleiner Teil des Klerus und zahlreiche Laien vermocht, ihren vom Konzil inspirierten Anspruch auf mehr innerkirchliche Mitverantwortung zumindest formal durchzusetzen.

      3.Konstituierung und Konsolidierung

      Die Bischofsweihe von Johannes Braun hätte das Ende der Hallenser Protestbewegung bedeuten können. Doch die zunächst noch lose assoziierte Gruppe formierte sich kurz vor der Einführung des neuen Magdeburger Weihbischofs und avancierte bis 1989 zu einer festen, aber nicht unumstrittenen Institution im Katholizismus der DDR. Welche Ziele und Forderungen dabei verfolgt wurden, wie sich die Gruppe zusammensetzte, organisierte und welche Themen in den Rundbriefen und Vollversammlungen debattiert wurden, soll im Folgenden dargestellt und auf eine mögliche Konzilsrezeption hin befragt werden.

      3.1Selbstverständnis, Ziele, Forderungen

      Historisch greifbar äußert sich das Selbstverständnis des AKH in zentralen Erklärungen, die durch Abstimmungsprozesse legitimiert sind. Als Grundlagendokumente des Aktionskreises lassen sich der Protestbrief an den Papst im Juli 1969460, der Nienburger Tagungsbericht aus dem Herbst 1969461, eine Erklärung vom 14. März 1970 zur Bischofswahl462 sowie die verschiedentlich aktualisierte Grundsatzerklärung463 und Ordnung464 des Aktionskreises bestimmen. Das Proprium der Gemeinschaft, ihre Ziele und Forderungen werden darin ebenso fixiert wie die Grundlagen der Zusammenarbeit.

      Die Einforderung von mehr innerkirchlicher Mitverantwortung aus dem Geist des Konzils ist das zentrale Motiv der Gründung des AKH und für seine Identität von essentieller Bedeutung. Die Magdeburger Priester und Laien proklamierten mit ihrer Protestnote an den Papst 1969 nicht nur größere Beteiligungsrechte bei der anstehenden Bischofsernennung.465 Mit der Legitimierung des Anspruchs aus der Volk-Gottes-Ekklesiologie heraus ordneten sie sich in eine innerkirchliche „Suchbewegung“466 ein, die nach der authentischen Interpretation und Rezeption von Geist und Buchstabe des Konzils fragte. Von Beginn an verstand sich der Aktionskreis Halle als selbstständige „Impulsgruppe und Arbeitsgemeinschaft von katholischen Christen (Priestern und Laien) im Kommissariat Magdeburg, [die] an der Erneuerung der Kirche im Sinne der beschlossenen Grundsatzerklärung mitwirken [wollte].“467 Obgleich er sich bewusst nicht in die kanonischen Kategorien des kirchlichen Vereinsrechts einordnete, interpretierte die Gruppe ihre Arbeit ausdrücklich „als legitime Form kirchlichen Lebens“468 und insistierte dabei auf den theologisch gerechtfertigten Zusammenschluss getaufter Christen und auf die Notwendigkeit innerkirchlicher Pluralität.469 Dabei rezipierte sie vor allem die zeitgleichen Erklärungen Karl Rahners zu den Möglichkeiten und Chancen von Priestergruppen.470 Sein Selbstverständnis als „Impulsgruppe und Aktionsgemeinschaft“471 bekräftigte der AKH mehrfach, wobei die territoriale Fokussierung auf das Kommissariat Magdeburg ab 1972 zugunsten einer Orientierung auf das Gebiet der gesamten DDR ausgeweitet wurde.472 Eine Reduzierung des AKH auf eine bloß personell aufgestockte „Korrespondenzgruppe“ oder eine über die Studienzeit hinaus erstarkte Hallenser Studentengemeinde wird dem Selbstverständnis der verschiedenen Gruppen kaum gerecht.473 Vielmehr handelt es sich beim Aktionskreis Halle um eine neue Gruppierung, die zwar auf bestehenden Erfahrungen und personellen Netzwerken aufbauen konnte, die sich aber im Mitgliederprofil, ihrer Struktur, Größe, Arbeit und Zielsetzung von den Vorläufern deutlich unterschied. Obgleich der AKH jedwede Exklusivität ablehnte, „weil sie die Einheit der Kirche sprengt und ihre Offenheit zur Welt gefährdet“474, formte die überwiegend akademische Herkunft seiner Mitglieder die Gruppe maßgeblich. Ob er sich selbst als „Avantgarde“475 verstand, ihm dieses Bewusstsein zugeschrieben oder es nur von einzelen Mitgliedern gepflegt wurde, bleibt offen. Von Anfang an verstand sich der Aktionskreis nicht als „unverbindliche Freizeitbeschäftigung, die man betreibt, wenn man gerade Lust dazu hat, wenn man wieder einmal die Nase voll hat von einsamen kirchenamtlichen Entscheidungen.“476 Auch wollte er kein Auffangbecken für frustrierte Katholiken und kirchliche „Revoluzzer“477 sein.478 Obgleich er dies in bestimmter Hinsicht doch auch war, blieb