Sebastian Holzbrecher

Der Aktionskreis Halle


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nicht mehr gewachsen sind.“241 Für den Berliner Kardinal „stehe ernsthaft die Frage, Bischof Rintelen in den Ruhestand zu schicken.“242 Die Abberufung sei nur deshalb noch nicht erfolgt, weil es nach Ansicht von Bengsch keinen Nachfolger im Kommissariat Magdeburg gäbe, der „wirksame Maßnahmen gegen die in Aufruhr geratenen Geistlichen und Laien einzuleiten und Ruhe und Ordnung im Bereich des Kommissariates wieder herzustellen“243 vermag.

      Ob neben der Kritik an Rintelens mangelndem Durchsetzungsvermögen bei Disziplinarangelegenheiten244 auch eine vom MfS wahrgenommene Düpierung des Berliner Kardinals anlässlich der 1000-Jahr-Feier des Bistums Magdeburg 1968 eine Rolle gespielt haben könnte, bleibt offen.245 Wahrscheinlicher dürfte es hingegen sein, dass Bengsch in Rintelen einen Unsicherheitsfaktor für die kirchenpolitische Phalanx der Berliner Ordinarienkonferenz gegenüber dem SED-Staat erblickte. Weihbischof Rintelen hatte 1969 zusammen mit Staatssekretär Seigewasser ein gemeinsames Kommunique veröffentlicht246 und damit die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz, die sich ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen gegenüber staatlichen Stellen zur Maxime gemacht hatte, massiv unterlaufen.247 Dies drängte Prälat Groß in einem anderen Zusammenhang zu der Feststellung: „Dieses Kommunique übertrifft alle unsere Befürchtungen und ist ein Beweis dafür, wie notwendig der Wechsel in Magdeburg ist...Praktisch ist hiermit die Einheit der Bischöfe in politischen Dingen gebrochen und durch das Verhalten von Weihbischof Rintelen hat der Staat sein Ziel erreicht.“248 Die Einheit im Klerus und die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz gegenüber dem Staat aber waren die zentralen Grundsätze des Berliner Erzbischofs und Vorsitzenden der Berliner Ordinarienkonferenz.249

      Die Notwendigkeit im Jahr 1969 einen Nachfolgekandidaten für den amtierenden Weihbischof Friedrich Maria Rintelen zu finden, ergab sich demnach aufgrund dreier Umstände: die kirchenpolitisch brisante Situation im geteilten Deutschland machte eine zufriedenstellende Stabilisierung des Amtes in Magdeburg durch eine praktikable Nachfolgeregelung zwingend erforderlich. Die kirchenrechtliche Vorschrift zur Emeritierung von Auxiliarbischöfen drängte spätestens 1969 zu einer effektiven Lösung. Hinzu kam die Kritik am Führungsstil des Kommissars und der daraus resultierende, bereits länger gehegte Wunsch verschiedener kirchlicher Ebenen, einen Nachfolger zu bestellen. In diesem Geflecht unterschiedlicher Motive dürften letztlich die kirchenpolitischen Erwägungen dominiert haben.250 Andernfalls hätte man schon eher reagieren können. Es gilt zu beachten, dass in Magdeburg - und das unterschied die Situation ganz wesentlich von der in Köln, New York oder Paris -, zu den konziliar motivierten Beteiligungserwartungen der Priester und Laien eine kirchenpolitisch höchst angespannte Situation hinzutrat. Die konziliar geprägten Hoffnungen auf ein Mitspracherecht der Ortskirche bei der Nominierung eines Bischofs trafen in der DDR auf die kirchenpolitischen Planspiele bischöflicher Hinterzimmer und stellten daher einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor für geheime Absprachen dar.

      2.2Gescheiterte Lösungsversuche

      Der Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger war lange Zeit weder an einer Statusänderung des Magdeburger Kommissariates hin zu einer Apostolischen Administratur noch an einer personellen Veränderung an der Spitze des Kommissariates interessiert.251 Erst im Jahr 1969 änderte er aufgrund verschiedener Umstände seine Einstellung. Ausschlaggebend dürfte eine Mitteilung des Apostolischen Nuntius Erzbischof Konrad Bafile252 im Mai bzw. Juni 1969 gewesen sein, wonach Papst Paul VI. zur Klärung des seit zwei Jahren schwebenden Fragenkomplexes nunmehr gewillt sei, für den Bereich der DDR Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge zu ernennen.253 Als Koadjutor wird im Kirchenrecht ursprünglich derjenige bezeichnet, der dem Diözesanbischof mit dem Recht der Nachfolge zur Seite gestellt wird.254 Diese Regelung des Hl. Stuhls für die DDR stellte einen Koadjutor nun einem Auxiliarbischof, der als Kommissar tätig war, bei und beschrieb damit ein kirchenrechtliches Novum. Für diesen „para-kanonischen Koadjutor“ wurde die Bezeichnung „Adjutor oder Adjutorbischof“ gebraucht.255 Mit der geplanten Einsetzung durch Rom konnte man die Schwierigkeit umgehen, dass die Adjutorbischöfe für Paderborn und Osnabrück ernannt werden müssten und damit als „westliche Beauftragte angesehen und möglicherweise in ihrer Amtsführung behindert“256 würden. Kardinal Bengsch hatte sich unmittelbar vor der Entscheidung des Heiligen Stuhls zugunsten einer solchen Adjutorreglung in Rom erfolgreich eingesetzt. Er drängte in seinem kirchenpolitischen Bericht für Rom am 2. Mai 1969 darauf, dass „die vorgesehenen Nachfolger sobald als möglich den jetzt noch im Amt befindlichen Jurisdiktionsträgern als Titularbischöfe zur Hilfe an die Seite gegeben werden...“257 Denn er fürchtete für den Fall einer plötzlichen Vakanz, dass „von Seiten der Ost-CDU und auch von Seiten ‚progressiver’ katholischer Kreise Kandidaten genannt und hochgespielt werden, die für die Kirche nicht akzeptabel sind.“258 Darüber hinaus wollte er vorbereitet sein, sollte der Staat seine seit Jahren wiederholte Drohung wahr machen und einen von Westdeutschland ernannten Nachfolger boykottieren.

      Während einer Sitzung des Hauptausschusses der Deutschen Bischofskonferenz wurden Kardinal Jaeger die massiven kirchenpolitischen Probleme verdeutlicht, die bei einer erneuten Entsendung eines westdeutschen Weihbischofs in die DDR im Falle einer Nachfolgeregelung zu befürchten stünden.259 Mutmaßlich auf einer weiteren Konferenz der beteiligten westdeutschen Bischöfe mit Kardinal Bengsch am 3. Juli 1969 in Westberlin ließ er sich schließlich davon überzeugen260, dass man durch die von Rom vorzunehmende Einsetzung von Adjutorbischöfen einen Schlussstrich unter die bisherige innerkirchliche Entwicklung ziehen könne.261

      Die Suche nach geeigneten Nachfolgekandidaten für die amtierenden Kommissare gestaltete sich höchst unterschiedlich. Da man sich auf eine jurisdiktionelle Zusammenlegung der Kommissariate in Meiningen und Erfurt unter der Leitung von Weihbischof Hugo Aufderbeck verständigt hatte, mussten nur Kandidaten für Schwerin und Magdeburg gefunden werden. Als Nachfolger für den Schweriner Kommissar Weihbischof Schräder262 konnte man sich schnell auf einen Namen einigen. Den Wünschen des Osnabrücker Bischofs und des Schweriner Klerus entsprechend, wurde der Berliner Weihbischof Heinrich Theissing263 als Nachfolger nominiert264; Alfred Bengsch ließ ihn ohne Widerstand ziehen. Für Magdeburg wurde der zweite Weihbischof des Erzbistums Paderborn Paul Nordhues265 vorgeschlagen.266 1941 zum Priester geweiht, übernahm Nordhues nach mehreren Vikariatsstellen in der sowjetischen Besatzungszone 1952 die Stelle des Subregens im Paderborner Priesterseminar und leitete von 1957 bis 1961 als Regens das Priesterseminar auf der Huysburg in der DDR.267 Seine Ernennung zum Titularbischof von Cos und Weihbischof von Paderborn machte 1961 die offizielle Aussiedlung aus der DDR notwendig.268 Paul Nordhues war mit der Situation im SED-Staat durchaus vertraut und mit vielen Priestern und Katholiken im Erzbischöflichen Kommissariat und darüber hinaus bekannt.269 Auch nach seiner Ernennung zum Paderborner Weihbischof pflegte er als Bischofsvikar für die Diözesancaritas enge Kontakte zur Caritas in der DDR und besuchte sie, eingeschleust unter der Berufsbezeichnung „Sozialarbeiter“, mehrfach.270 Seine zahlreichen Aufenthalte, die langjährigen Erfahrungen in der DDR, seine Bekanntheit und nicht zuletzt die Tatsache, dass er bereits zum Bischof geweiht war und insofern eine schnelle Lösung ermöglichte, dürften ihn als Nachfolger für das Amt des Erzbischöflichen Kommissars in Magdeburg in besonderer Weise prädestiniert haben.271

      Die Quellenaussagen zum Initiator dieser Nominierung sind widersprüchlich.272 In kirchlichen Kreisen nannten Otto Groß und Alfred Bengsch stets den Paderborner Erzbischof Kardinal Jaeger als verantwortlichen Impulsgeber.273 Erstaunlicherweise ist der Name Paul Nordhues gegenüber geheimpolizeilichen Stellen in der DDR schon vorher als möglicher Nachfolger ins Gespräch gebracht worden. Prälat Groß erwähnte gegenüber dem MfS, dass Kardinal Bengsch bereits im Jahr 1968 die Überlegung betrieben habe, den ehemaligen Rektor des Priesterseminars auf der Huysburg in Magdeburg als Kommissar einzusetzen.274 Belegt ist, dass es Alfred Bengsch persönlich war und nicht Lorenz Jaeger, der bei Weihbischof Nordhues angefragt hatte, ob er bereit wäre, nach Magdeburg zu gehen.275 Außerdem hatte Weihbischof Nordhues wiederholt seine Bereitschaft gegenüber Erzbischof Bengsch bekundet, eine endgültige Entscheidung jedoch von der noch einzuholenden