Garhammer Erich Garhammer

Lebendige Seelsorge 3/2014


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Jüdische am Christentum. Die verlorene Dimension, Freiburg i.B. 1987.

      Meier, Uto / Sill, Bernhard (Hg.), Führung. Macht. Sinn. Ethos und Ethik für Entscheider in Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche, Regensburg 2010.

      Polak, Regina / Jäggle, Martin, Diversität und Convivenz: Miteinander Lebensräume gestalten – Miteinander Lernprozesse in Gang setzen, in: Schinkele, Brigitte u.a. (Hg.), Recht. Religion. Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag, Wien 2014.

      Ruggieri, Guiseppe, Zeichen der Zeit. Herkunft und Bedeutung einer christlich-hermeneutischen Chiffre der Geschichte, in: Hünermann, Peter (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit, Freiburg i.Br. 2006.

      Tillich, Paul, Liebe Macht Gerechtigkeit, Berlin 1991 [1954].

      Vanoni, Gottfried / Heininger, Bernhard, Das Reich Gottes. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments. Die neue Echter Bibel – Themen. Band 4, Würzburg 2002.

      Zulehner, Paul M. / Rossberg, Eckehard / Hennersperger, Anna, Mit Freuden ernten. Biblisches Saatgut für Zeiten und Prozesse des Übergangs, Ostfildern 2013.

      Interaktive Wertschätzung – Kirche innovationsgerichtet führen

      Nicht nur führungstheoretische Forschung, Organisationstheorie und Wirtschaftspsychologie liefern wichtige Anhaltspunkte für kirchliche Führungskultur. Das betriebs- und ingenieurwissenschaftliche Technologiemanagement wartet mit starken Impulsen auf und bietet vorteilhafte, überraschend präzise Werkzeuge, um einen Stil „dienender Führung“ als Vollzugsgestalt kirchlichen Innovationsmanagements zu erschließen. Florian Sobetzko

      Beginnen wir in ungewohnter Sprache. Beginnen wir mit dem, was Nachwuchsführungskräfte des Technologie- und Innovationsmanagements (TIM) als Lösungsraumerweiterung lernen, um komplexe Probleme durch eine sogenannte „erweiterte Löserbasis“ bearbeiten zu lassen, die online per „Broadcast Search“ (Offener Aufruf zur Mitarbeit) veröffentlicht und von einer möglicherweise breiten Masse auch unbekannter „Solver“ (Problemlöser) mit Ideen traktiert werden sollen. Wie bitte?

      Der Lösungsraum (Gesamtheit möglicher Lösungen) wird erweitert, wo organisationsexterne Experten in Innovationsprozesse integriert werden. Sie liefern möglicherweise völlig neue Ideen, an die intern niemand gedacht hätte. Wenn etwa ein Flugzeugbauer auf der Suche nach schonenden Entfärbungsverfahren für sensible Flugzeugaußenwände nicht nur die eigenen Ingenieure konsultiert, sondern auch Lösungsvorschläge von Restaurateuren kunsthistorisch wertvoller Bilderrahmen studiert. Er verbreitert auf diese Weise seine „Problemlöserbasis“ – traditionelle Organisationsgrenzen werden verflüssigt.

       KIRCHLICH UNGEWOHNT: GEHEIMES WISSEN HERAUSRÜCKEN

      Das ist nicht nur kirchlich ungewohnt, man spricht auch im TIM vom „not-invented-here“-Syndrom. Damit ist gemeint, dass externe Ideen in Unternehmen oft nachrangig behandelt werden: „Nicht bei uns erfunden – lässt sich schlecht integrieren – ist nicht von uns – müssen wir Lizenzgebühren für zahlen – passt hier nicht.“ Führung in innovationsgetriebenen Unternehmen basiert aber auf der Einsicht, dass wichtige Produkt- und Prozessinnovationen von außen kommen können – auch von anonymen Partnern (siehe etwa innocentive.com). Firmen rücken dafür sogar bislang geheimes Wissen heraus und transferieren relevante Werkzeuge in externe Domänen, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Damit andere mir kreativ beim Kochen helfen können, brauchen sie Zugang zu meinen Töpfen. Interaktive Wertschöpfung (IW) nennt man das, und es reicht erheblich weiter als das selbständige Ausdrucken von Kontoauszügen am Bankautomaten. Zwei wesentliche Ausprägungen sind zu unterscheiden: Open Innovation und Mass Customization.

       NICHT GANZ SO UNGEWOHNT: UNZUFRIEDENE KUNDEN

      Open Innovation beschreibt die Vergabe einer Aufgabe an ein undefiniertes, großes Netzwerk von externen Akteuren (vgl. Reichwald/Piller 2009, 51). Typisch hierfür ist etwa ein Ideenwettbewerb. IW verfolgt dabei regelmäßig auch sogenannte Lead-User-Strategien der Kundeninnovation. Hierbei werden vor allem unzufriedene, lösungskreative NutzerInnen identifiziert, weil deren Unzufriedenheit oft Wege freiräumt für neue, überraschende Lösungen. Ein bekanntes Beispiel für eine derartige Kundeninnovation ist die Erfindung des Rollkoffers durch einen schleppfaulen amerikanischen Piloten in den 1980er Jahren.

      Weniger auf das externe Lösungs- als vielmehr auf das Bedürfniswissen richtet sich IW als Mass Customization (kundenindividuelle Massenfertigung). Traditionell bewegt sich unternehmerisches Handeln zwischen einerseits Preisstrategien durch skalierbare Massenfertigung und andererseits Differenzierungsstrategien durch kundenindividuelle Maßanfertigung bzw. Dienstleistung. Die kundenindividuelle Massenfertigung ist eine Hybridstrategie: Skalierungsund Differenzierungsvorteile werden verheiratet, wo Kunden z.B. per „Konfigurator“ im Netz ihr Wunschauto oder ihren perfekten Schuh konfigurieren und gar abonnieren, nachdem ihr Fuß im Laden vermessen wurde. Der Lösungsraum (die Zahl der Farben, Ausstattungs- und Erweiterungsmerkmale) ist hier erweitert, aber begrenzt. Statt per Marktforschung immer besser zu erraten, welchen Schuh der Käufer morgen möchte, lässt der Hersteller ihn sein Bedürfniswissen aktiv einbringen und lernt zugleich viel für die nächsten Serienmodelle.

      In der Aufsicht begegnet solch ein Unternehmen der Bedürfnisvielfalt auf Kundenseite nicht nur nicht bewertend („Relativismus, Individualismus, Konsumismus“), sondern mit merkantiler Kreativität. Es nutzt Kommunikationstechnologien zur intelligenten Nutzung externen Bedürfniswissens.

       INNOVATION ALS NORMALFALL VON KIRCHE

      Die kirchliche Startposition für interaktive Wertschöpfung erscheint eigentlich optimal, denn das Konzept aktiviert theologisch alle Register: man lese Propheten und Ordensgründer nur einmal als unzufriedene Nutzer (Lead User) und pastorale Innovateure, interpretiere Jesu Zusammenarbeit mit Zöllnern, Sündern, Prostituierten und Kranken oder auch die apostolische Heidenmission als Verbreiterung der Löserbasis. Man lese can. 212–214 CIC als Aufruf zur Aktivierung externer Expertise und entwickle ein interaktionales Kirchenbild entlang des Glaubenssinnes des Volkes (LG 12), des gemeinsamen Priestertums (LG 10) und der Adaptionslogiken von GS 44, wo Kirche als Co-Kreation aufscheint, zu deren Kennzeichen Löserbasiserweiterungen in der Verkündigung (AA 1) oder aber der Liturgie (SC 14) stilbildend gehören.

       UND INNOVATIONSMANAGEMENT?

      Kirche vollzieht sich, „indem sie sich selbst unter der Führung des Heiligen Geistes unaufhörlich erneuert und läutert“ (GS 21), Innovation (Erneuerung) und Exnovation (Läuterung) sind nachgerade dogmatischer Normalfall von Kirche. Eine Binsenweisheit des Innovationsmanagements scheint hier provokant auf: unternehmerische Produktzyklen beinhalten nicht nur die Ankündigung von Neuheiten, sondern auch die Abkündigung (Exnovation) stagnierender Leistungserbringung. Der Maschinenbauer weiß: wenn ich die alte R1600 nicht abkündige, werden die Kunden die neue R12 nicht kaufen, auch wenn sie mehr kann. Denn die Kunden denken: bei der R1600 weiß man, was man hat. Die können wir selber reparieren, wir kennen ihre Macken, die reicht uns. Doch von vorne: was hat das Technologiemanagement mit den Herausforderungslagen kirchlicher Führung zu tun?

       GESUCHT: KIRCHLICHE FÜHRUNGSKRAFT

      Die aktuellen Handlungsforderungen an kirchliche Entscheider sind signifikant. Der Erfolg unzähliger auf Führungsthemen fokussierter Lern- und Beratungsangebote ist ein Indikator dafür. Ebenso erwähnenswert sind aber auch Gründungen wie das Bochumer Zentrum für angewandte Pastoralforschung (www.zap-bochum.de) mit seinem pragmatischen Anspruch, nicht nur Diagnosen, sondern demnächst auch Lösungsvektoren