Garhammer Erich Garhammer

Lebendige Seelsorge 3/2014


Скачать книгу

Umbrüche zu beobachten sind, die vor kurzem noch undenkbar schienen – die Projekte des ZAP markieren sämtlich führungsrelevante Themen als Joint Ventures zwischen Bistumsleitungen und Ruhr-Universität.

       KONTROLLE ABGEBEN, FÜHRUNG WAHREN

      Im Kontext freiheitlicher Selbstbestimmung kann jeder herrschaftlich prädizierte Leitungsanspruch nur floppen. Gesellschaftlich honoriert werden Kulturanbieter, die sich dem Co-Design verschrieben haben und ihre Kunden bzw. Mitglieder nicht als reine Leistungsempfänger betrachten. Benutzergenerierter Inhalt tritt im Web 2.0 wie im physischen Leben an die Stelle interner Expertise. Die Crowd (die Menge) wird nicht mehr nur für den Chorschluss gebraucht („So etwas haben wir noch nie gesehen“, Mk 2,12), sie wird selbst zum Co-Autor. Organisationale Interaktionskompetenz ist dafür gefragt: die Fähigkeit, externes Bedürfnis- und Lösungswissen zu absorbieren. Der betriebswirtschaftliche Diskurs arbeitet heraus, dass es zum Überlebenskriterium wird, ob Organisationen im Gestaltungswillen ihrer Kunden bzw. Mitglieder Bedrohung oder Chance erkennen – und eben im Paradigma der Offenheit oder der Geschlossenheit agieren.

       KIRCHENFÜHRUNG: PASTORALPRODUKTIV ODER KUNSTHISTORISCH?

      Auch wenn die Kirchen in Deutschland eben noch fulminante Steuereinnahmen verzeichneten: Demographie und Abwesenheit von Interesse seitens überwältigender Mehrheiten der Kirchensteuerzahler lassen erahnen, dass kirchliche Führung bald zur Suchaufgabe werden könnte – nach Geführten. Gemeindefusionen erzeugen dabei schlimmstenfalls quantitative Kontinuitätsfiktionen („die Kirche ist voll“) auf Leitungsebene, Pfarrer und Bistumsleitungen sind versucht, sich eine Personalgemeinde zu konfigurieren – aus kirchlichem Personal.

      Dies führt SeelsorgerInnen in eine kognitive Dissonanz, wo sie für stagnierende familiaristische Gemeindekonzepte dienstverpflichtet immer mehr Energie aufwenden müssen, um zu verdrängen, dass sich das auch finanziell einfach nicht rechnen kann. Ist meine Arbeit das Geld wert, das sie kostet? PastoralassistentInnen wie SeelsorgeamtsleiterInnen fragen sich: machen wir noch ein paar Jahre so weiter und dann das Licht aus, oder schaffen wir es, unserem Führungsauftrag nachzukommen?

      Alle Beteiligten teilen die Intuition, dass von der Führungsfrage die Zukunft der institutionellen Kirche abhängt: wie gelingt organisiertes Christsein zwischen Tradition, Transformation und Innovation, wenn nicht durch effektive Führung? Und wie sieht diese aus, wenn sie sowohl Sachstand der führungstheoretischen Forschung als auch kirchliche Expertise in Theologie und pastoraler Praxis produktiv kombinieren und synthetisieren soll?

       FÜHRUNGSTHEORETISCHE ANHALTSPUNKTE

      Die führungstheoretische Forschung, schon früh erahnbar in Plutarchs Parallelbiographien, hat ein breites interdisziplinäres Fundament vor allem in den zurückliegenden einhundert Jahren entwickelt und präsentiert Führung als komplexen Gegenstand: sie ist „ein soziales Phänomen, das nicht ‚da draußen’ unabhängig existiert und auf seine vollständige Entdeckung wartet, sondern fortwährend, den sich ändernden Umständen folgend, neu geschaffen wird“ (Neuberger 2002, 6). Gute Führung ist also in diesem Sinne kulturbedürftig wie gute Verkündigung im Sinne von GS 44. Wie sehen aktuell relevante Linien aus?

       TRANSFORMATIONALE FÜHRUNG: DAS „LEADERSHIP-DING“

      Es ist James McGregor Burns, der in den ausgehenden 1970ern in Politik und Ökonomie das Konzept der „transaktionalen Führung“ diagnostiziert und durch die Idee der „transformationalen Führung“ erweitert (Burns 1978). Transaktional ist Führung, insofern es zu einem Austausch von Leistungen kommt. Zielvereinbarungen, Aufgaben, Delegationen von Verantwortung, Leistungskontrolle, Belohnung, negative Belohnung, Anreizsysteme prägen diesen Führungsstil. Als er dies neocharismatisch fortschreibt zur transformationalen Führung, die den Geführten Sinn und Zweck der organisationalen Zielsetzungen durch mitreißendes und motivierendes Leitungsverhalten verinnerlichen will, lenkt er den Fokus nachhaltig auf Führung als Beziehungsphänomen und bereitet der bald um sich greifenden Unterscheidung zwischen Manager und Leader den Boden: der eine ist eher Verwalter, der andere eher Visionär und Inspirator (vgl. etwa Zaleznik 1977; Kotter 1990). Kirchlich ist das relevant, weil etwa eine ländervergleichende Analyse hervorbringt, dass die zuletzt immer interessierter beobachtete Pastoral des US-amerikanischen Kulturraums stark von diesem Denken durchzogen ist: „Könnte es sein, dass wir Amerikaner sehr fixiert sind auf die Rekrutierung ehrenamtlicher Leader, während Ihr Deutschen eher auf der Suche nach Followern seid?“, fragt der amerikanische Pfarrer mich während meiner Exposure-Erfahrung in der Ortskirche von Chicago. Und die Willow Creek Megachurch, zu deren deutschem Leitungskongress mittlerweile tausende Protestanten und Katholiken strömen, atmet Transformation: „Lead where you are“ (Führe, wo du bist) heißt das Credo. Führen heißt hier: sich durch Gottes Führung verwandeln (transformieren) lassen, um dann Welt zu verwandeln. Das ist interessant für eine Kirche, der die Führungskräfte abhanden kommen. Lässt sich hier lernen, Menschen zu gewinnen, die auf Sendung gehen und nicht nur zuhören möchten?

       FÜHRUNG UNTER MANIPULATIONSVERDACHT

      Der bis in die Weber’schen Einsichten zu Amt, Herrschaft und Charisma zurückreichende Führungstrend weckt im hiesigen Denken und Fühlen Widerstände: er erinnert zu sehr an die unheiligen Führer des 20. Jahrhunderts. Die Idee, die Werte und Einstellungen von Mitarbeitern zu beeinflussen, um statt einer transaktional extrinsischen nunmehr eine transformational intrinsische Motivation zu erzeugen, lässt Manipulationsverdachte einrasten. Es überrascht nicht, wenn der Leadershipgedanke hier lange hinter systemischen und elaboriert transaktionalen Konzepten zurückstand.

      In seiner bemerkenswerten Ekklesiologie illustriert nun Michael Böhnke, anknüpfend an die führungstheoretische Studie von Wolfgang Pax, wie transformationale Führung in der neueren Wirtschaftspsychologie wie in biblisch-urkirchlicher Perspektive produktiv durch einen sozial ausgerichteten, situativen Charismenbegriff erschlossen wird (Böhnke 2013, 240ff.). Charisma ist hier nicht genialisches Persönlichkeitsmerkmal, sondern kontext- und kommunikationsbezogen. Dies deckt sich auch mit dem soziologischen Befund der imposant skalierten GLOBE Study (House 2004), die für das interkulturelle Management erschließt, wie divers sich „Leadership“ in den Kultur- und Sprachräumen skizziert. Wie könnte eine katholisch kompatible Enkulturationsform für unseren Sprachraum aussehen?

       DIENENDE FÜHRUNG – LEADING LIKE JESUS?

      Die Konzeption der „dienenden Führung“ bzw. „Servant Leadership“ (Greenleaf 1970) weckt Interesse, insofern sie als Variante der transformationalen Führung enorme Passung sowohl in kirchlichen Kontexten wie in unternehmerischen Umgebungen verspricht, denen sie eigentlich entstammt. Der im deutschen Sprachraum erstaunlich unbeachtete Ansatz hat in den USA sowohl aufgrund seiner Semantik als auch aufgrund zahlreicher typisch amerikanischer Erfolgsgeschichten wachsende Rezeption in kirchlichen Kontexten gefunden. Zugleich trifft man neuerdings deutsche KCG-Forscher (Kleine Christliche Gemeinschaften) bei Servant-Leadership-Kursen auf den Philippinen. Worum geht es dabei?

      Die dienende Führungskraft führt vor allem transformational, richtet aber den Fokus nicht auf die Ziele der Organisation, sondern auf Bedürfnisse und Charismen der Geführten. Durch vorbildhaft dienendes Verhalten will sie zur Nachahmung anstiften und damit erzeugen, was die Arbeits- und Organisationspsychologie „Organizational Citizenship Behaviour“ (OCB) nennt: Helfen, Initiieren, Beifall geben, Wirtschaften, Partizipation, Teilhabe, Selbst-Entwicklung.

      Kirchliche Führung muss dazu, wie alle Verkündigung, „sowohl dem Verständnis aller als auch berechtigten Ansprüchen der Gebildeten angemessen“ (GS 44) sein und sich produktiv enkulturieren lassen. Ihre Plausibilität erschließt sich optimalerweise dem Messdienergruppenleiter so leicht wie dem Pfarrer, dem Schulleiter wie dem Schüler, dem Bischofskaplan wie dem Heiligen Vater. Es darf