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Ratzinger, dass sich Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube auf zwei verschiedene Frageebenen beziehen. „Der Schöpfungsglaube fragt nach dem Dass des Seins als solchen; sein Problem ist, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts. Der Entwicklungsgedanke hingegen fragt, warum gerade diese Dinge sind und nicht andere, woher sie ihre Bestimmtheit erlangt haben und wie sie mit den anderen Bildungen zusammenhängen.“91

      Während sich die Evolutionstheorie also mit der inneren Logik der Entwicklung der Dinge beschäftigt, fragt der Schöpfungsglaube danach, warum überhaupt irgendetwas existiert. Ratzinger bezieht sich dabei auf die ‚Grundfrage der Metaphysik‘ nach Heidegger: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“92 Dies ist die Frage des Schöpfungsglaubens, die über die Methode der Naturwissenschaft hinausgeht und deshalb auch nicht im Konflikt mit ihr steht.

      Ratzinger zeigt im Folgenden, dass die biblische Antwort auf diese Frage lautet, dass die Welt als Ganze „aus dem Logos, das heißt aus dem schöpferischen Sinn, hervorkommt“93. Diese Überzeugung wurde seiner Ansicht nach schon innerhalb der Bibel und erst recht innerhalb der Geschichte des Christentums auf verschiedene Weltbilder bezogen: zunächst auf das Weltbild des alten Orients, dann auf das hellenistische Weltbild und später auf das Weltbild des Mittelalters.94 „Dabei ist klar, dass der Glaube, der mit keinem der bisherigen Weltbilder identisch war, sondern eine Frage beantwortete, die hinter die Weltbilder zurückführt und sich freilich dann in ihnen eingräbt, auch nicht mit unserem Weltbild identisch werden soll.“95 Die Frage nach dem Sinn des Seins im Ganzen, auf die der Schöpfungsglaube antwortet, ist also unabhängig vom jeweiligen Weltbild und somit auch unabhängig vom Entwicklungsgedanken der Evolutionstheorie; „für sie ist das eine methodenfremde Frage, für den lebendigen Menschen freilich ist es die Grundfrage des Ganzen.“96 Der Entwicklungsgedanke ist gewissermaßen vom Schöpfungsglauben umgriffen; „das zeitliche Sein ist als ganzes umspannt von dem einen schöpferischen Akt Gottes, der ihm in seiner Zerteilung seine Einheit gibt“97. Auf diese Weise lassen sich nach Ratzinger Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in einer Einheit denken. Wie man sieht, ist er hier weit davon entfernt, die Evolutionstheorie immanent zu kritisieren. Er betrachtet sie vielmehr als ein akzeptiertes Weltbild, bei dem es dem Theologen darum gehen muss, den Schöpfungsglauben auf dieses Weltbild zu beziehen.

      Die immanente Kritik an der Evolutionstheorie erfolgt erst in späteren Veröffentlichungen.98 Dabei räumt Ratzinger mit Bezug auf Reinhard Junker und Siegfried Scherer ein, dass sich eine solche Kritik nicht auf mikroevolutive Prozesse beziehen kann, die wissenschaftlich gut belegt sind und die „genial erscheinende Anpassungsfähigkeit lebender Systeme“99 erklären. Dass die Evolutionstheorie nicht zu einer Gesamterklärung der Wirklichkeit herhalten kann, deutet sich nach Ratzinger vielmehr beim „Übergang von der Mikro- zur Makroevolution“100 an. Leider erläutert er seine Vorbehalte in diesem Zusammenhang nur an einem einzigen Zitat des Biochemikers Eörs Szathmáry und des Biologen John Maynard Smith, die er als „überzeugte Anhänger einer umfassenden Evolutionstheorie“101 vorstellt. Szathmáry und Smith erklären in dem zitierten Abschnitt, dass es keinen theoretischen Grund gäbe, „der erwarten lassen würde, dass evolutionäre Linien mit der Zeit an Komplexität zunehmen; es gibt auch keine empirischen Belege, dass dies geschieht.“102 Ganz offensichtlich sieht Ratzinger also in dem bezogen auf makroevolutive Prozesse lückenhaften Erklärungsmuster der Evolutionstheorie ihre große Schwäche, wobei diese Lücken seiner Ansicht nach Raum für Erklärungen lassen, die über die Naturwissenschaft hinausgehen.

      An dieser Stelle in Ratzingers Argumentation drängt sich unweigerlich der Verdacht der Anwendung eines ‚Lückenbüßer-Gottes‘ auf, also einer Vermittlungsstrategie zwischen Glaube und Naturwissenschaft, die Erklärungslücken der Naturwissenschaft mit Glaubensinhalten füllt und auf diesem Wege versucht, den Schöpfergott auch vor der naturwissenschaftlichen Vernunft zu verantworten. Ratzinger ist sich dieser Gefahr offensichtlich bewusst: Als Papst Benedikt XVI. sagt er in Bezug auf offenstehende Fragen in der Evolutionstheorie im Rahmen einer Tagung seines Schülerkreises zum Thema ‚Schöpfung und Evolution‘: „Nicht als ob ich den lieben Gott jetzt in diese Lücken hineinstopfen möchte: Er ist zu groß, um in solchen Lücken unterkommen zu können.“103 Es geht ihm vielmehr darum, bewusst zu machen, „dass die Evolutionstheorie Fragen impliziert, die der Philosophie zugeordnet werden müssen und von sich aus über den Innenbereich der Naturwissenschaften hinausführen.“104

      Daraufhin nennt er neben dem Problem des Sprungs von der Mikro- in die Makroevolution noch drei weitere Lücken in der Evolutionstheorie, die seiner Ansicht nach über die Naturwissenschaft hinaus- und in den Bereich der Philosophie hineinführende Fragen aufwerfen.

      Zweitens bezieht er sich dabei auf den großen Zeitraum, von dem in der Evolutionstheorie die Rede ist und der sich seiner Ansicht nach negativ auf ihre Belegbarkeit auswirkt. So seien große Teile der Theorie einfach deshalb nicht nachweisbar, „weil wir 10.000 Generationen nicht ins Labor hereinholen können. Das bedeutet: Es gibt erhebliche Lücken der experimentellen Verifizier- und Falsifizierbarkeit aufgrund des ungeheuren Zeitraumes, auf den sich die Theorie bezieht.“105

      Drittens betont Benedikt XVI., dass die Wahrscheinlichkeit der Evolutionstheorie nach Aussage von Peter Schuster nicht bei 1 liegt. Das bedeutet für den Papst, dass sie zwar, mit Johannes Paul II. gesprochen, „mehr als eine Hypothese“ darstellt, aber gleichzeitig will er festhalten, „dass die Evolutionstheorie noch keine komplette, wissenschaftlich verifizierte Theorie ist.“106

      Viertens bezieht der Papst sich erneut auf den Umstand, „dass der Korridor, in dem sich die Entwicklung abspielen konnte, schmal ist.“107 Die Tatsache, dass dieser Korridor „eröffnet und durchschritten“108 wurde, kann von der Evolutionstheorie nicht erklärt werden.

      So kann Benedikt XVI. zusammenfassend feststellen, dass die Naturwissenschaft und die Evolutionstheorie zwar viele Fragen auf beeindruckende Weise beantworten können, „aber in den vier erwähnten Punkten zeigen sich auch große offene Fragen.“109 Diese Fragen aber sind seines Erachtens keine Fragen der naturwissenschaftlichen Vernunft mehr. „Dennoch sind es Fragen, die die Vernunft stellen muss und die nicht einfach dem religiösen Gefühl überlassen werden dürfen.“110 Offensichtlich will Ratzinger darauf hinaus, dass die Evolutionstheorie nur dann wirklich schlüssig ist, wenn man den Gedanken einer ihr vorausgehenden schöpferischen Vernunft philosophisch voraussetzt. Sie muss diesen inneren Verweis auf den Logos des Schöpfers einräumen und darf sich nicht selbst absolut setzen, als könne sie alle Fragen des Menschen beantworten. Dies wäre aufgrund der Bedeutung der betreffenden Fragen für den Menschen folgenschwer. Denn es geht dabei „um die großen Urfragen der Philosophie, die auf neue Weise vor uns stehen: die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen und der Welt.“111

      Dass Ratzinger die Annahme eines göttlichen Logos als einzige wirklich wissenschaftlich haltbare Hypothese zur Welterklärung versteht und eine sich absolut setzende Evolutionstheorie dagegen als unwissenschaftliches und im Grunde unvernünftiges Weltbild begreift, zeigt sich auch in seinen Auseinandersetzungen mit dem Werk Zufall und Notwendigkeit des französischen Biochemikers und Genforschers Jacques Monod.112 Dabei findet Ratzinger in der Theorie Monods zunächst einige Anknüpfungspunkte für den Schöpfungsglauben, z.B. in Monods Aussage, dass die Wirklichkeit nicht nur von Notwendigkeit bestimmt ist. So gibt es nach Ratzinger für Monod „keine Weltformel, aus der alles zwingend folgen würde, sondern in der Welt gibt es Notwendigkeit und Zufall.“113 Für Ratzinger liegt dabei im Begriff des Zufalls gerade die Möglichkeit, schöpferische Freiheit zu denken: „Es ist das Nichtnotwendige, das sein konnte bei der Zusammensetzung der Materie, aber nicht sein musste.“114

      Einen zweiten Anknüpfungspunkt an Monods Denken sieht Ratzinger in dessen Einsichten über den biologischen Organismus, der raffinierter ist als die ausgeklügeltsten Maschinen, sich selbst betreibt und sogar in der Lage ist, sich selbst zu reproduzieren.115 In diesem Reproduktionsvorgang stößt Ratzinger auf die „platonische Seite der Welt“116 nach Monod. Diese besteht in der Beobachtung, dass jeder Organismus bemüht ist, sich