als ob der Erfolg Deines Tuns allein von Dir und nicht von Gott abhinge. Vertraue jedoch dabei so auf Gott, als ob Du selbst nichts, Gott allein alles vollbringen werde“?25 Wie göttliches Handeln denkbar ist, lässt sich nicht ablösen vom Problem der Denkbarkeit Gottes. Es handelt sich dabei um ein Problem, das von der christlichen Dogmatik mit ihrem Insistieren auf der Transzendenz Gottes noch verschärft wird. Wegen seiner schlechthinnigen „Jenseitigkeit“ und „Welttranszendenz“ kann Gott von der Sprache nicht ergriffen werden. Mit ihren Begriffen kann ihn der Mensch denkerisch nicht „im Griff haben“. Doch wenn Gott nur als unbegreifbar denkbar ist, muss dann das Denken im Blick auf Gott am Ende nicht resignieren? Ist das Ende des Gottesgedankens als eines dann im Grunde etwas Undenkbares denkenden Gedankens nicht notwendig die Resignation? Und ist die Geschichte des Gottesgedankens zurzeit nicht an ebendiesem resignierenden Ende angekommen?
Solche Resignation würde aber nicht nur das Denken betreffen. Es hat praktische Folgen. Wie nämlich soll man den christlichen Glauben tun können, wenn man Gott nicht mehr zu denken vermag und ebendeshalb sich selbst als an Gott Glaubenden nicht mehr verständlich machen kann? Ein derart unverständiger Glaube lässt sich nicht mehr von Unvernunft und Aberglaube unterscheiden. Wer etwas Undenkbares als zu glauben ausgibt, bringt sich und andere letztlich um den Verstand. Es bedarf eines neuen Anlaufs, um zu zeigen, dass die Feststellung der Undenkbarkeit Gottes nicht das Ende eines jeden theologischen Denkens markiert, sondern nur die Grenze einer bestimmten theologischen „Denkungsart“ anzeigt. Erst wenn wieder denkbar wird, wo und wie in der Praxis des Menschen sich ein Handeln oder eine Präsenz Gottes ereignet, kann K. Martis Wunsch in Erfüllung gehen. Erst dann wird das, wofür das Wort „Gott“ steht, wieder antreffbar in der Lebenswelt des Menschen. Gleichwohl findet seit etlichen Jahren eine derart praxisorientierte Gottesrede immer weniger Resonanz. Zu nahe scheint dieser Sprachstil an einer moralisierenden Glaubensrede zu sein. Zu rasch scheint sich hier die Theologie in eine Dublette der Ethik zu verwandeln. An solchen Doppelungen besteht aber nur wenig Bedarf. Viele säkulare Zeitgenossen scheinen an Moral genug zu haben. Wird ihnen zusätzlich eine christliche Moral angesonnen, tauschen sie das, wovon sie genug oder zu viel haben – Moral – gegen das ein, was ihnen fehlt: mystische Innerlichkeit, vielleicht auch fernöstliche Weisheit oder esoterische Lebenskunst …
Hinzu kommt, dass sich auch für viele sozial und politisch engagierte Christen eine Hoffnung nicht erfüllt hat, die sie in dieses Engagement gesetzt haben: dass es zum Ort und Ereignis einer Erfahrung der Nähe und des (Mit)Wirkens Gottes werde. Sie haben sich wund gerieben an Idealen, die es eigentlich verdient haben, Realität zu werden. Das „Reich Gottes“ sollte für sie keine bloß jenseitige Größe sein. Sie wollten den Himmel erden und zeigen, dass das „ewige Leben“ auch schon vor dem Tod beginnt. Aber diese Ziele scheinen eine Utopie zu bleiben. Es ist vielen Christen in ihrem Einsatz nicht erspart geblieben, der Erfahrung der Vergeblichkeit und der Übermacht des schicksalhaften und machbaren Todes ausgesetzt zu werden. Etliche Christen können ihren Glauben nur noch leben als eine Widerstandshaltung gegen die Umstände eines „etsi deus non daretur“. Ähnlich mag es den Verfechtern einer tiefenpsychologischen Glaubensauslegung ergehen. Ihre Transzendenz nach innen wird sie ins innere Ausland führen; im besten Fall wird der Abstand zwischen ihrem Ich und ihrem wahren oder besseren Selbst verringert. Aber werden sie am Ende dort etwas antreffen, das die Bezeichnung „Gott“ verdient?
Der Gottesgedanke scheint in Theorie und Praxis die Qualität verloren zu haben, etwas Alternativenloses zu bezeichnen. Weder für das Denken noch für das Tun des Menschen scheint er etwas zu bezeichnen, das als „conditio sine qua non“ seines Denkens und Handelns angesprochen werden muss. Folgt man dem Anspruch der Aufklärung, dann darf es hierzu auch keine Alternative geben. Sie hat die Losung ausgegeben: Oberste Instanz verantwortlicher Lebensführung, zuverlässiger Weltorientierung und unhintergehbarer Erkenntnisbegründung muss die Vernunft in ihrer Autonomie sein. Ihre Autonomie verlangt die Lösung von den Autoritäten der Tradition und den Widerspruch gegen ihre Auffassung, dass die Vernunft nochmals eine Autorität über sich habe, von der sie Wahrheiten, die ihr selbst unerreichbar sind, auf dem Wege der „Offenbarung“ entgegenzunehmen habe.26 In Fragen der Erkenntnis und Gestaltung der Welt gilt es, sich nur den Imperativen der Vernunft zu unterstellen. Was mit den Mitteln der Vernunft zureichend bewältigt werden kann, darf nicht an eine andere Instanz delegiert werden. Was an eine andere Instanz abgegeben wurde, muss der Vernunft und ihrem Subjekt zurückgegeben werden. Nicht zuletzt dafür plädierten die „klassischen“ neuzeitlichen Religionskritiken, die bis in die Gegenwart mit ihren Leitthesen in Stellung gebracht werden:27
• Alles, was der Mensch übernatürlichen Mächten und Gewalten zugeschrieben hat, muss ihm zurückerstattet werden, weil es ursprünglich ihm zukommt und Teil seines ur-eigenen Vermögens ist (L. Feuerbach).
• Alles, was der Mensch an Trost angesichts trostloser Lebensumstände bei der Religion gesucht hat, muss als billige Vertröstung entlarvt werden, weil es die Veränderung der Verhältnisse blockiert (K. Marx).
• Alles, was der Mensch „über“ sich wähnt, verhindert die Reifung dessen, was er „in“ sich hat, und lässt ihn „infantil“ bleiben (S. Freud).
Der Gottesgedanke wird als Projektion der dem Menschen eigenen Entwurfs- und Verwirklichungsmacht auf ein fiktives Außerhalb kritisiert. Hat der Mensch seine Potenz ganz erfasst, wird diese Projektion überflüssig und zum Störfaktor, der die Selbstverwirklichung der Vernunft hemmt. Glauben erscheint als eine rational nicht gedeckte Haltung, die vom Menschen aufgegeben werden muss, will er zu sich selbst kommen. Aussagen über „Transzendenz“ erscheinen als überflüssige Zusatzbehauptung zur tatsächlich erfahrbaren Wirklichkeit. Religiöse Rede von Gott unterliegt folglich dem Sinnlosigkeitsverdacht.
Das Autonomieideal der Moderne verlangt vom Menschen, in allen Fragen der Wirklichkeitserkenntnis und der Lebensgestaltung nur den Imperativen der Vernunft zu folgen. Mit dieser Aufforderung geht kein neues Zwangsregime einher. Vielmehr sichert sie erst Freiheit und Selbstbestimmung. Politische Selbstbestimmung ist angewiesen auf die Freiheit und die Pflicht, nach Gesetzen zu leben, die Gesetze der Vernunft sind. Vernünftig ist der Mensch, der es unternimmt, seine Unfreiheit und Unmündigkeit selbst zu überwinden und ein freies und gerechtes Miteinander der Menschen kraft eigener Einsicht und in eigener Verantwortung zu gestalten. Die Autonomie der Naturerkenntnis und der soziokulturellen Sachbereiche (Wissenschaft, Wirtschaft, Politik) macht die Hypothese „Gott“ zur Erkenntnis und Gestaltung von Natur und Gesellschaft überflüssig. Die Welt versteht sich von selbst und „funktioniert“ ohne sein Eingreifen oder Zutun. Es geht auch ohne ihn.28 Es ist geradezu ein Unterscheidungsmerkmal moderner und vor-moderner Welterklärungskonzepte, ob darin noch die Größe „Gott“ auftaucht.
Aus der Möglichkeit der Weltinterpretation und Weltgestaltung ohne Gott macht die Moderne die Notwendigkeit der Weltbewältigung ohne Gott – um der Autonomie der theoretischen wie der praktischen Vernunft willen. Was ich ohne einen anderen kann, das soll ich gefälligst auch alleine tun – so lehrt die Neuzeit. Und so macht sie aus der Möglichkeit des Menschseins ohne Gott die Notwendigkeit einer Menschlichkeit ohne Gott. Daher steht die Moderne nicht allein im Zeichen der Autonomie der Vernunft, sondern auch im Zeichen der Negation Gottes.29 Der faktische Lauf der Welt gibt ihr Recht. Er bestätigt kontinuierlich die Annahme von Gottes Nicht-Notwendigkeit zur Erklärung innerweltlicher Abläufe und Sachverhalte. Man kann mit ihm in der Welt nichts mehr anfangen, weil man alles auch ohne ihn in Gang setzen kann. Was der Mensch in ihr Neues aufführt, gelingt ohne göttlichen Beistand. Die Welt ist erklärbar ohne Gott und der Mensch kann menschlich sein ohne Gott. Gott lässt sich negieren, weil man nicht sieht, was einen Gott, der als moralische, naturwissenschaftliche, politische Arbeitshypothese abdanken musste, von einem Gott unterscheidet, den es gar nicht gibt.30 Was, wie und wer Gott sei, wird für eine Gott los gewordene Zeit offenkundig zu einer müßigen Frage. Ein Gott, der nirgendwo antreffbar ist, ist kein göttlicher Gott mehr, von dem es einmal hieß, er sei allgegenwärtig. Wenn man mit Gott im Horizont dieser Welt nichts mehr anfangen kann, ist er ins Beliebige abgedrängt und überflüssig geworden. Ein überflüssiger Gott ist kein wirklicher Gott.
Ein Gott, der offenbar kein „richtiger“ Gott (mehr) ist, ist nichts Richtiges – und darum