Hans-Joachim Höhn

Der fremde Gott


Скачать книгу

woran entsprechende Zeugnisse heute noch erinnern. Einer Gott los gewordenen Zeit setzt sie trotzig oder besserwisserisch, auf jeden Fall aber vollmundig die Überzeugungen einer besseren alten Zeit entgegen. Eine solche Theologie hat Gott in Wahrheit längst hinter sich. Religiöse Gewissheiten, die ihre Behauptungen stärken könnten, besorgt sie sich im Copyshop der Kirchengeschichte. Für alle, die in der Gegenwart nichts mehr von Gottes Nähe spüren, hat sie nur Vorwürfe übrig: Wäre ihr Glaube stärker, ihre Hoffnung unerschütterlicher und ihre Liebe inbrünstiger gewesen, dann stünde es jetzt besser um sie. Dass die Anfechtung des Gottesverlustes umso heftiger erlebt wird, je stärker Glaube, Hoffnung und Liebe ausgeprägt waren,41 will eine solche Theologie nicht wahrhaben. Ebenso wenig kommt ihr in den Sinn, dass die Erschließung der Wirklichkeit Gottes mit der Enteignung überkommener Gottesschablonen beginnen kann.42 Und dass die Erfahrung des Gottesentzuges selbst eine religiöse Erfahrung sein kann43 ist für sie erst recht unvorstellbar.

      Die religionskritischen Plausibilitäten der Moderne eröffnen aber auch – wie im Folgenden zu zeigen ist – durchaus die Möglichkeit einer zeit- und adressatengemäßen Rede von Gott. Diese bedingt allerdings die Aufgabe bisheriger Prämissen christlicher Gottesrede, von denen man annahm, dass sie die Plausibilität dieser Rede verbürgen. Vor allem gilt dies für die Prämisse der Notwendigkeit Gottes zur Erklärung innerweltlicher Abläufe und Sachverhalte (inklusive der religiösen Angelegenheiten des modernen Menschen). Diese Prämisse hat die Moderne als überflüssig erwiesen mit der Konsequenz, dass Gott im Horizont der Welt nicht mehr nötig ist, ins Beliebige abgedrängt und überflüssig geworden ist. Ein überflüssiger Gott ist kein wirklicher Gott mehr – ihm fehlt ja das Prädikat der Notwendigkeit.

      Wie schwer der Verlust dieses Prädikates wiegt, bezeugt die prominenteste „Vermisstenanzeige“, die von Seiten der Philosophie formuliert wurde. „Wohin ist Gott?“ lässt Fr. NIETZSCHE seinen „tollen Menschen“ fragen44 und bringt damit zum Ausdruck, dass Gott nicht mehr dort ist, wo er als Gott hingehört – nämlich „ganz oben“, um von dort aus erst die Unterscheidung von „oben“ und „unten“ und eine Hierarchie aller Werte zu ermöglichen: als oberster Gesetzgeber oder als höchstes Gut. Wo die Moderne aber an ein Höchstes und Oberstes, an ein Erstes und Grundlegendes stößt, entdeckt sie nichts mehr, was sie „Gott“ nennen könnte oder müsste. Übrig bleibt nur die vage Aussicht, dass es einen anderen ihm gemäßen Platz geben könnte. Lässt sich eine „andere“ Notwendigkeit denken, von der her sich sein Gottsein bestimmt? Da dies offenkundig nicht der Fall ist, kann nur noch auf höchst unbestimmte Weise nach Gott gefragt werden. Dieses Fragen verliert aber jeden konkreten Anhalt und wird selbst etwas Vages. Denn es ist kein Kontext, kein Ort, keine Funktion mehr erkennbar, womit man das Erfragte in Beziehung setzen könnte. Man kann auch nicht mehr sagen, Gott sei abwesend. Ein Abwesender hält sich ja woanders auf und ist durch dieses „Woanders“ bestimmbar. Was aber bestimmungslos und unbestimmbar geworden ist, hat auch kein „Woanders“ mehr. Gott wird ein „nichts“ und „niemand“. Es ist dann nur konsequent, die Suche nach ihm abzubrechen und den lange Zeit Vermissten für tot erklären zu lassen.45

      Wenn Gott alle Bestimmungen verliert, die ihn als Gott identifizierbar machen, ist er nicht mehr unterscheidbar von einem „Gott“, der nicht (Gott) ist. Letztlich wird er sogar vom Nichts ununterscheidbar – es ist gleichfalls völlig unbestimmt und unbestimmbar (ebendies macht ja seine „Nichtigkeit“ aus). Wenn Gott nicht mehr vom Verdacht der Nichtigkeit entlastet werden kann, wird jede affirmative Rede von Gott problematisch. Als unproblematisch galt dieses Sprechen so lange, wie es von Gottes Notwendigkeit für die Bewältigung innerweltlicher Sachverhalte als von einer als evident erachteten Prämisse ausgehen konnte, die Gott bestimmbar machte. Von dieser Notwendigkeit her ließen sich Aussagen darüber treffen, „wie“ Gott sei: Die Kontingenz der Welt erwies ihn als „allmächtig“; als Bürge menschlicher Wahrheitssuche musste er „allwissend“ sein; dass das menschliche Streben nach dem Guten nicht ins Leere lief, verdankte es seiner „Allgüte“. Genau diese Voraussetzung hebt die Moderne auf und erweist sie als nicht-notwendig.

      Mehr noch: Für die autonome Vernunft ist dies sogar eine falsche Prämisse. Für das Projekt, die Rede von Gott denkerisch, d. h. mit den Mitteln der autonomen Vernunft, zu verantworten, gilt dies aber auch. Daher steht die Theologie nunmehr vor der Herausforderung, in dieser falschen Voraussetzung vernünftigen Denkens auch eine falsche Prämisse theologischen Denkens zu erkennen. Entfällt die Möglichkeit, von Gott sagen zu können, wofür er notwendig sei, gibt es für eine affirmative Gottesrede keinen unmittelbaren Anlass und Ansatz mehr.

      Es wäre jedoch ein Kurzschluss, damit das Ende jeglichen theologischen Denkens gekommen zu sehen. Wenn das Wahrheitsmoment der Rede vom „Tod Gottes“ in der Beseitigung einer falschen Prämisse besteht, dann ergibt sich für jede weitere Rede von Gott die Notwendigkeit, unter Absehung der Vorstellung von Gottes Notwendigkeit für Aufgaben, die sich in der Welt dem Menschen stellen, von der Wirklichkeit Gottes zu reden. Es entfällt dann auch die Konsequenz, dass jedes Reden von Gott notwendigerweise affirmativ sein muss.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAgGBgcGBQgHBwcJCQgKDBQNDAsLDBkSEw8UHRofHh0a HBwgJC4nICIsIxwcKDcpLDAxNDQ0Hyc5PTgyPC4zNDL/2wBDAQkJCQwLDBgNDRgyIRwhMjIyMjIy MjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjL/wAARCBLTC7gDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW2t7i5usLDxMXGx8jJytLT1NXW19jZ2uHi4+Tl5ufo6erx8vP09fb3+Pn6/8QAHwEA AwEBAQEBAQEBAQAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtREAAgECBAQDBAcFBAQAAQJ3AAECAxEEBSEx BhJBUQdhcRMiMoEIFEKRobHBCSMzUvAVYnLRChYkNOEl8RcYGRomJygpKjU2Nzg5OkNERUZHSElK U1RVVldYWVpjZGVmZ2hpanN0dXZ3eHl6goOEhYaHiImKkpOUlZaXmJmaoqOkpaanqKmqsrO0tba3 uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4uPk5ebn6Onq8vP09fb3+Pn6/9oADAMBAAIRAxEAPwDFknOc VGZivIqKYtupY+etfRnmLQHdpCTSLI6HFOPB4pjGiwJ2ZYFwwFRPOzVDuPSk5p2CUhzTE8GkEpWm kcU0e9Oxncm8zPNL556VASacBnpRYLk4kal8wtwajTOcGnOuBxRYdxDIVIAqRHZTmolXJ5qzHHla mRpTLcMhYZqV92KqK2zjNWd+RWfLqac2pTm3Kc1FktVmRSxqPZitUzmmrSuRLIwOKsRy4+tNEWe1 PSPa3NJsaZOXLLUQLF8VJtJ6UoAHPepNEyZYyBmpNpxTI3yKC9QXoDBgOKj3Ec1MjAjmk8vLe1O4 IgDEc1IkhY4pzRcURx4obFyscUI5qJ+eDUxJqCT2ppkzuhpfaKYZTjikfpT4YyetWZx1ZA24nJp6 SsflqeSPHaolUA0lIbh7w4qVWoZE3DNWuqYqCTIFCepUloQKxHy1IG2DioSOSaA/GDVGd7E4lxzS +cW4qr8xPHSpEzRyjU+hMC2ak2nrRH05pJWx0qbja6gxJ4pVVsYqES1MkygckUnccJ6iGAmq0gfd k1oJIp7iobkA/doiVUirXKizMpqT7SaiK0zYasxUnsi2LjIxSFjioEjbNT/dHNSa3diJsjmml2Yf SpPvNUvlgDgU+YlRdyBCy1aSfaMmowAOtRP1qbXLvYsPdblqoXLvxTtvFPjTA96exO7AK2OKjkV+ vpV1BjrSSqG6UXG4lASPjFIN2c1b8kEU3yCDTUyXAiXL9alG4cUmwg8U5gQKVykrIieRlNJksM0h 5NAyDVIzerHfO3FOEbjtU0Sgir8UIKHNRKVmaqlzIyXVh1pgdsYq3dphuBVHNaRldGElyuwrFlGa RZTTCTjk1Ec7qVikyyXZhioGdlOBS78LSL6mqiRJjCWHNAkY0uDu9qQrzQwQvmkUhdiKRkNC5zU3 NCSN3IxUgZgaci/JTSdpOaNxt2Ret8uM1ZL4GKzYpylPknJrNx1NFU90lmuSOBVUStnNJnceTScZ q0tDJSuSGQuOaZnYfrTWf0pobPWqQNkoZs8VLubHNQxZ39OKtPgL71NxxhpcpPIQcUiZJzTiuWpy qQOlVciwqhmapfLdeRTUO2rKyArzUNmiRTOTyacgLcU+Ugt8tTxoNmcc02JakBUx9KQsSM1I6tnp SeWcdKFKwOmVi7HinpJspXXaPemINxp81yeVonWWpCd61WI2sKf5oxgUAxjttPFN3E0EFjUqRcU7 kWIy