Helmut Heyse

Was Lehrerinnen und Lehrer stark macht (E-Book)


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bekanntzumachen. Gleiches gilt für die schulinternen Unterstützungsdienste: Schulpsychologen, Beratungslehrer, Schulsozialarbeit usw. Auch von der Einstellung der Schulleitung zu diesen Institutionen hängt es ab, ob ein Berufsanfänger später Beratung von dort in Anspruch nimmt oder ob dies als Schwäche angesehen wird und tabuisiert ist.

      Unerlässlich ist, die neue Lehrkraft mit der pädagogischen Konzeption der Schule, dem Schulprogramm und Schulprofil vertraut zu machen – ergänzt mit schriftlichen Unterlagen. Dabei geht es auch um die internen Strukturen an der Schule wie Arbeitsgruppen, Projekte, Eltern-arbeit, Gremien, aber auch um Betriebsklima, informelle Hierarchien, Traditionen, Rituale, heimliche Spielregeln, Tabus und Fettnäpfchen, Lagerbildungen, Interessengruppen usw. Zwar weiß die Schulleitung nicht alles und hat auch ihre eigene subjektive Wahrnehmung, kann solche Informationen aber als grobe Strukturierungshilfe weitergeben.

       Potenziale von Berufsanfängern nutzen

      Das Gespräch zwischen Schulleitung und Berufseinsteigerin ist gleichzeitig eine Gelegenheit abzuklären, in welcher Weise sie sich mit ihren Fähigkeiten und Interessen einbringen und wie die Schule von ihr profitieren kann. Denn auch das Kollegium setzt Hoffnungen in den Neuling, z. B. dass er Aufgaben im Rahmen von Schulentwicklung und Schulorganisation übernimmt und frische Ideen und Sichtweisen beisteuert.

      Die Versuchung liegt nahe, die jungen, unverbrauchten Menschen mit der ein oder anderen Aufgabe zu betrauen, für die sich aus dem Kollegium nur noch geringe Bereitschaft findet, z. B. Klassenfahrten, Schulpartnerschaften, besonders zeitraubende oder lästige Projekte. Sofern das einvernehmlich vereinbart werden kann und die Interessen des Berufsanfängers trifft, ist dagegen sicher nichts einzuwenden. Wenn dadurch aber seine besonderen Stärken nicht zum Zuge kommen können, wird es bedenklich. Berufsanfängerinnen kommen mit Elan und Optimismus, gut ausgebildet in Didaktik und Methodik, haben bestimmte Vorstellungen von einer modernen Schule und sind offen für Innovationen. Dieses Potenzial sollte genutzt und gefördert werden. Vielfach ist jedoch eine Ausnutzung der Berufsanfänger zu erkennen. Eine Beauftragung nach dem Muster »Sie kennen sich doch mit Computern aus – kümmern Sie sich mal um unseren Medienpark« ohne weitere Hilfestellung wäre sicher für viele zunächst schmeichelhaft, später aber eher frustrierend. Ein Berufsanfänger, der die gewohnten Abläufe stören muss, wird sich wenig beliebt machen. Daher sind bei der Übertragung von speziellen Aufgaben und Funktionen exakte Arbeitsangaben und Informationen darüber notwendig, welche Zuständigkeiten, Berechtigungen und Befugnisse mit der Aufgabe verbunden, welche Kooperationen und Mittel dafür erforderlich sind.

      Solche einführenden Gespräche sind allerdings nur sinnvoll, wenn sie in regelmäßigen Rückkopplungsgesprächen fortgeführt und in Form von Zielvereinbarungen festgehalten werden. Insofern kann diese Eingangsphase auch der Beginn von Potenzial-/Personalentwicklung der Berufsanfängerin sein.

       An die Leserinnen und Leser

      Dieses Buch richtet sich vornehmlich an Lehrerinnen und Lehrer, die neu in ihren Beruf einsteigen. Es soll Handlungs- und Denkhilfen bieten, mit denen Lehrkräfte auf die Anforderungen im Lehrerberuf gesundheitsdienlich reagieren und sich für die unvermeidbaren Belastungen im Beruf wappnen können. Langjährige Erfahrungen in der Fortbildung von Lehr- und Führungspersonal weisen darauf hin, dass diese Themen auch für berufserfahrene Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Ausbilder in den Studienseminaren von Interesse sein könnten.

      Allerdings liefert dieses Buch keine fertigen Rezepte im Sinne von »Wenn dieses passiert, dann tue jenes«. Dazu sind die Situationen im Schulalltag zu komplex und in vielschichtige systemische und fachliche Zusammenhänge und Interaktionsprozesse eingebettet.

      Wir bieten auch keine Handreichung für guten Unterricht oder den Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern, kritischen Eltern, fraktionierten Kollegien, belastenden Führungspersonen oder anderen Widrigkeiten im schulischen Alltag.

      Vielmehr stellt dieses Buch Werkzeuge, Denk- und Sichtweisen sowie Strategien vor, die dabei helfen sollen, Situationen zu analysieren und strukturelle Zusammenhänge von schwierigen Ereignissen zu erkennen. Es soll Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützen, personale und soziale Kompetenzen zu stärken und neue Verhaltensweisen zu erlernen, mit deren Hilfe sie Problemlagen, Stress und Belastungen entschärfen oder lösungsorientiert angehen können. Damit möchten wir vor allem Berufsanfängerinnen und -anfänger in die Lage versetzen, ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit auf einem hohen Niveau zu erhalten, Arbeitszufriedenheit zu erleben und sich möglichst stressarm in den komplexen Interaktionen einer Schule zu bewegen, kurz: ihre innere Balance und die Freude an ihrem verantwortungsvollen Beruf zu erhalten.

      Noch einmal Herrmann und Hertramph: »Doch der Lehrerberuf besteht … in der täglichen Auseinandersetzung mit den Schülern. Das weiss jeder Lehrer, weil das sein täglich Brot ist. Aber was er meist nicht realisiert: Das ist vor allem auch die Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Erfahrung mit dieser Selbsterfahrung und mit seinen (problematischen) Kontroll-Überzeugungen bezüglich der Beurteilung dieser Erfahrung« (Herrmann/Hertramph 2000, S. 187).

       Was erwartet Sie in diesem Buch?

      Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf individuellem, gesundheitsdienlichem Verhalten von Berufsanfängern, bietet aber auch erfahrenen Lehrerinnen und Lehrern Anknüpfungspunkte. Dieser Fokus schließt nicht aus, immer wieder einen Blick auf flankierende Maßnahmen auf der Systemebene von Schule zu werfen und auf die Notwendigkeit einer gesundheitsförderlichen Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung hinzuweisen. Schulleiterinnen und Schulleiter sind dafür Schlüsselfiguren. Deswegen betreffen die Themen auch das Führungspersonal und in der Lehrerausbildung tätige Personen (siehe dazu z. B.: SchulVerwaltung 2004, 2008a und b; Paulus 2010; Heyse 2011; DAK 2012, 2014; Kanton Aargau 2015; Bründel & Bründel 2014; Kliebisch & Meloewski 2009; Krause u. a. 2008).

      Dieses Buch ist in drei Teile gegliedert.

      Teil 1 erklärt, was es mit der psychischen Gesundheit auf sich hat, in welchem komplexen Bedingungsfeld sie erhalten und wo möglich gefördert werden soll. Er befasst sich außerdem ausführlich mit den berufsspezifischen Besonderheiten im Zusammenspiel von SOLLEN – KÖNNEN – WOLLEN als wichtigen Elementen für die psychische Gesundheit im Lehrerberuf.

      Der zentrale zweite Teil stellt eine Reihe von pädagogischen, sozialen und personalen Kompetenzen dar, die als individuelle Ressourcen und Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit hilfreich sind, z. B. Kommunikation oder Classroom-Management. Darüber hinaus wird erörtert, wie man Verhalten langfristig verändern kann, so dass es nicht bei einer Vorsatzbefriedigung bleibt und sich Vorsätze nach dem ersten Anlauf wieder verflüchtigen.

      Im dritten Teil geht es zum einen um schulinterne Arbeitsbedingungen, die den Erhalt und die Förderung von Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Leistungsfähigkeit unterstützen können. Dabei wird der Gesundheitszirkel als systemisches Instrument zur betrieblichen Gesundheitsförderung in der Schule vorgestellt. Zum anderen werden soziale Lernformen beschrieben, die geeignet sind, individuelle Kompetenzen zu verbessern und bestimmte Verhaltensziele zu erreichen und zu stabilisieren, z. B. Supervision und kollegiale Fallberatung. Darüber hinaus werden Bedingungen für gelingende Teamarbeit und Kooperation beschrieben.

      Wir möchten Sie ermuntern, sich mit den Gedanken und Anregungen dieses Buches auseinanderzusetzen und Ihr Verhalten, Denken, Fühlen gesundheitsdienlich zu reflektieren und wo nötig oder gewünscht zu verändern. Dazu bieten wir Ihnen immer wieder Gelegenheit, die Ausführungen in Form einer Selbstevaluation auf Ihre Situation zu beziehen[3]. Wenn Sie sich darauf einlassen, legen Sie ein schönes Tagebuch als Ihr persönliches »Protokoll einer Veränderung« an. Darin können Sie Ihre Gedanken, Erkenntnisse und Vorsätze dokumentieren. Verlassen Sie sich nicht auf Ihr Gedächtnis; das ist trügerisch. Man vergisst vielerlei und schönt es im Nachhinein. Zudem macht es Freude, Fortschritte und so die eigene Entwicklung nachvollziehen zu können.

      Vielleicht gelingt es Ihnen, Ihre Erkenntnisse und die Erträge Ihrer Weiterentwicklung an Ihre Schülerinnen und Schüler weiterzureichen. Sie geben damit auch ihnen Lebenshilfe und kommen dem Bildungs- und Erziehungsauftrag nach.

      Autor und Verlag würde es freuen, wenn dieses Buch einen