Unter Belastungen sollen hier im Einklang mit dem Arbeitspsychologen Leitner (1999) die Erschwernisse, Hindernisse und Widerstände verstanden werden, die sich jemandem bei der Erfüllung des Arbeitsauftrags entgegenstellen. Zahlreiche Untersuchungen haben eine Vielzahl von Faktoren und Ereignissen herausgearbeitet, die Lehrkräfte als belastend empfinden und die ihre psychische Gesundheit gefährden (z. B. Schaarschmidt 2005, DAK 2011, 2012; Schult u. a. 2014; vbw 2014; Lohmann-Haislah 2012).
Frage
Worin sehen Sie die größten Belastungen in Ihrem Beruf als Lehrerin bzw. Lehrer?
Psychische Beanspruchung
Die »psychische Beanspruchung« trägt der Tatsache Rechnung, dass objektiv identische Situationen von jedem Beteiligten subjektiv anders wahrgenommen werden und zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führen können.
Beispielsweise kann dieselbe Problemlage als Bedrohung des Selbstwertes, Beeinträchtigung des Wohlbefindens, Angstauslöser (negative Beanspruchung) empfunden oder als Herausforderung und Gelegenheit zur Erprobung der eigenen Fähigkeiten (positive Beanspruchung) aufgefasst werden. Das hängt davon ab, wie die Person die Situation wahrnimmt und bewertet.
Dabei spielen die »überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien« (DIN EN ISO 10075, 2000) der betroffenen Person eine ausschlaggebende Rolle. Dazu zählen z. B. Wissen, Kompetenzen, subjektive Wahrnehmung, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Verfügbarkeit von sozialen Ressourcen.
Es gibt folglich keine generelle »Wenn-dann-Beziehung« zwischen hohen Anforderungen oder schwierigen Arbeitsbedingungen einerseits und dem subjektiven Empfinden von Stress oder Einschränkungen von Leistungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden andererseits. Dies ist ein Grund, warum es in einem Kollegium schwer sein kann, zu Vereinbarungen zu kommen, und selbst gut gemeinte Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit nicht unbedingt Unterstützung finden.
Bestimmte Situationsmerkmale können zwar Stress und Belastungsempfinden mit größerer Wahrscheinlichkeit hervorrufen, z. B. Anforderungen an Arbeitsmenge oder -qualität unter Zeitdruck, Multitasking, Dauerbelastung ohne Erholungsmöglichkeiten usw. Ob dies aber als positive oder negative Beanspruchung gedeutet und erlebt wird, entscheidet letztlich die betroffene Person selbst. Dennoch gibt es auf individueller Ebene durchaus stabile Stressauslöser: »Immer wenn ich am Sonntagabend an die Klasse 6b denke …«.
Frage
Wie schätzen Sie das Verhältnis zwischen Ihren individuellen Voraussetzungen und den Anforderungen und Belastungen im Lehrerberuf ein?
1.3 Die Säulen der Lehrergesundheit
Psychische Gesundheit im Lehrerberuf ist von einer Reihe von Bedingungen abhängig. Sie ruht gleichsam auf vier Säulen:
Abb. 2: Die Säulen der Lehrergesundheit
Individuelle Verpflichtung
An erster Stelle steht die eigene Verantwortung, die physische und psychische Gesundheit nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, sie nach Möglichkeit zu erhalten oder gar zu verbessern. Krankheit ist ja nicht nur ein individuelles Handicap, sondern wirkt sich auf das materielle und soziale Umfeld aus und stellt auch für Mitmenschen eine Herausforderung dar. Im beruflichen Bereich sind Arbeitnehmer sogar gesetzlich zu dieser Eigenverantwortung verpflichtet:
»[1] Die Beschäftigten sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen« (Arbeitsschutzgesetz von 1996, § 15).
Damit geht einher, die berufliche und persönliche Weiterentwicklung wichtig zu nehmen. Das gilt auch für personale Kompetenzen (→ Teil 2), z. B. einen konstruktiven Umgang mit Stress und Belastungen, emotionale Stabilität, Kommunikation. Der ständige Wandel von Aufgaben, interaktionalen Anforderungen und Belastungen lässt sich nur bestmöglich meistern, wenn man bemüht ist, beruflich auf dem Laufenden zu bleiben.
Verhaltensmanagement
Die Bemühungen der einzelnen Person, durch ihr Tun oder Unterlassen ihre Leistungsfähigkeit und damit ihre Gesundheit günstig zu beeinflussen, werden gemeinhin als gesundheitsförderliches Verhaltensmanagement oder Verhaltensprävention bezeichnet.
Verhältnismanagement
Jeder ist auch in soziale, materielle, organisatorische Bedingungen im engeren und weiteren Lebensumfeld eingebettet. Diese beruflichen und privaten Umfelder mit ihren Forderungen und Erwartungen gesundheitsverträglich zu gestalten, ist Aufgabe und Ziel der Verhältnisprävention bzw. eines gesundheitsförderlichen Verhältnismanagements. Dies bedeutet für die Schule, in dreifacher Weise Gesundheitsverantwortung wahrzunehmen: als Kollegium, als Schulleitung und in schulaufsichtlicher sowie bildungspolitischer Hinsicht.
Kollegiale Herausforderung
Die Chancen und Risiken individueller Gesunderhaltung hängen auch ab von den Interaktionen auf der Kollegiums- und Mitarbeiterebene sowie mit Vorgesetzten und »Kunden« (Eltern, Schülerinnen und Schüler, Betriebe usw.). Denn das Verhalten eines Einzelnen stellt ein Element der individuellen Umfeldbedingungen (Verhältnisse) eines jeweils anderen dar.
Dies gilt in besonderem Maß in Arbeitsfeldern wie Schule, die durch eine hohe Dichte an Interaktionen gekennzeichnet sind. Ob diese unterstützend und förderlich oder verletzend, beeinträchtigend, psychisch belastend erlebt werden, hat gravierende Auswirkungen auf Wohlbefinden, Belastbarkeit, Leistungsbereitschaft und Arbeitszufriedenheit des Einzelnen.
Das schon erwähnte Arbeitsschutzgesetz bestimmt in § 15 (2) zusätzlich, dass »die Beschäftigten auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen [haben], die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind«.
Führungsverantwortung
Neben dem Kollegium nimmt die Schulleitung eine Schlüsselrolle für die Gesunderhaltung der Lehrkräfte und des nichtpädagogischen Personals ein. Ihr obliegt die Sorge für Arbeitsbedingungen, die zumindest nicht gesundheitsschädlich sind. Dies ist das Anliegen der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Auch hier macht das Arbeitsschutzgesetz (§ 4) eine Vorgabe. Es verpflichtet Arbeitgeber dazu, »[die] Arbeit […] so zu gestalten, daß eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird«.
In einigen Bundesländern werden in diesem Sinn Gefährdungsanalysen in Schulen durchgeführt; allerdings sind die Spielräume sehr begrenzt, bei erkannten nicht technischen Gefährdungen, z. B. auf der Ebene von Interaktionen, Abhilfe zu schaffen.
Es sollte ohnehin im Interesse des Arbeitgebers liegen, sein Personal so pfleglich zu behandeln, dass es weder durch betriebsbedingte Krankheit und Dienstunfähigkeit hohe Kosten verursacht noch durch innere Kündigung (→ Kapitel 2.4) als Aktivposten ausfällt. Deswegen unterstützen Betriebe zunehmend das individuelle Verhaltensmanagement zusätzlich durch betriebsinterne Angebote, z. B. Wellnessangebote, Sozialarbeiter, Betriebspsychologen, oder finanzielle Beihilfen für private Initiativen, z. B. Yogagruppen, Supervision u. Ä.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) überträgt in ihrer »Empfehlung zur Gesundheitsförderung und Prävention in der Schule« (2012) den Schulleitungen bei »der Umsetzung des Gesundheitsmanagements und der Gesundheitsförderung im Rahmen der schulischen Personal- und Organisationsentwicklung eine zentrale Funktion und Verantwortung«.
Sie stellt fest,