richtet sich nicht nach dem, was andere tun und lassen, sondern nach den eigenen Werten. Der Mensch realisiert seine Existenz aufgrund dessen, was ihm persönlich wichtig ist.
Folgerungen für die Praxis
Weiterbildungssituationen haben immer auch Vorbildcharakter für das Leben. Was Lehrpersonen tun oder lassen, hat eine symbolische Dimension. Da wird ein Inhalt vermittelt, der in einem ganz bestimmten Lebensbereich der Lernenden eine Bedeutung haben wird und als Vorbild steht:
►Die Lehrperson selbst hat Vorbildcharakter, indem sie das, was sie lehrt, selbst lebt. Eine hohe Glaubwürdigkeit der Lehrperson hat einen sehr großen Einfluss auf das Lernklima generell.
►Ihre Didaktik und Methodik haben Vorbildcharakter: wie wir im Leben etwas angehen, bearbeiten und bewältigen können.
►Das Miteinander, die Kommunikation untereinander, hat Vorbildcharakter für den Umgang unter Menschen generell.
Es kommt ein Weiteres hinzu: Wie weit können Lernende den Unterricht mitgestalten? Wie viel Freiheit kann den Lernenden zugestanden werden, um die Lernsituation mitzugestalten? Symbolisch steht die Unterrichtsgestaltung auch für andere Bereiche des Lebens. Wenn den Lernenden ein Mitgestaltungsrecht im Unterricht eingeräumt wird, hat das auch eine Wirkung auf andere Lebensaspekte. Wenn Lehrpersonen immer alles vorgeben und mit dem Selbstverständnis von Ich-weiß-wie-die-Welt-funktioniert auftreten, beeinflusst das auch das Verhalten der Lernenden in ihrem Leben. Sie nehmen die Haltung mit, dass schon jemand da sein wird, der hilft. Der Unterricht ist ein Mikrokosmos, in dem ganz viel gelernt werden kann, wenn er entsprechend gestaltet wird. Unterricht ist ein Abbild eines Lebensausschnittes. Im Unterricht können Lernende ihre Existenz im vorhandenen zeitlichen und thematischen Rahmen realisieren:
►Sie können lernen, ihre Bedürfnisse im Hinblick auf Ziele und Inhalte zu formulieren.
►Sie können sich wahrnehmen und erspüren, was für sie wirklich Relevanz hat.
►Sie haben die Freiheit, etwas lernen zu wollen oder nicht. Sie müssen dann aber auch die Verantwortung für die Folgen übernehmen.
►Sie können den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Freiheit und Verantwortung erlernen. Sie können lernen, ihre Bedürfnisse auszudrücken, sei das bezogen auf das Unterrichtsthema oder in der Beziehung mit anderen Lernenden.
Wenn es einer Lehrperson gelingt, die Lernenden zu Mitgestaltenden im Unterricht zu machen, ist die Wahrscheinlichkeit zu einem sinnvollen Erleben größer. Was hier im Unterricht, in einem kleinen, geschützten Rahmen geübt wird, kann in der Praxis, ja im ganzen Leben der Lernenden eine Wirkung haben. Sie erwerben damit Kompetenzen, die weit über das Unterrichtsthema hinausgehen und etwas zu einer sinnvollen Existenz beitragen können.
Existieren versus vegetieren
Die beiden Verben »existieren« und »vegetieren« beleuchten die Bedeutung der Existenz im oben definierten Sinn. Umgangssprachlich wird »vegetieren« für Menschen gebraucht, die irgendwie am Ende sind, die nur noch überleben wollen, wenn überhaupt. Existenzanalytisch bedeutet es »einen Zustand, bei dem man sich nicht mehr über die Bedingungen des Lebens erheben kann, sondern sich ihnen als Opfer ausgeliefert fühlt« (Längle, 2013a, S. 20). Damit lässt sich in Abgrenzung zu »vegetieren« deutlich machen, was eine gute Existenz ist. »Existieren« bedeutet ein Leben führen, in dem man ganz sich selbst sein kann. Der Mensch kann sich eingeben in Themen und Beziehungen, die ihm wichtig sind. Es ist ein aktives und bewusst entschiedenes Engagement für etwas, was einem wichtig ist, oder für einen Menschen, der einem am Herzen liegt.
Vier Prozessschritte zur Existenz
Damit der Mensch zu einem existenziellen Leben kommen kann, braucht es vier Faktoren. Längle (2013a, S. 59) hat damit die Personale Existenzanalyse (PEA) begründet, der wir im Kapitel »Methoden und Instrumente« noch einmal begegnen werden:
1.Die Existenzanalyse bezieht sich zuerst auf die Realität und Sachlichkeit. Alles, was erlebt wird, wird daraufhin überprüft.
2.Zentral ist das Erleben. Es stellt sich immer die Frage, wie etwas erlebt worden ist. Denn darin sind die Werte und damit auch die Emotionen enthalten.
3.Es braucht eine Stellungnahme zur Realität. In einer Stellungnahme bringt der Mensch seine Haltung und Einstellung zu etwas zum Ausdruck. Dabei geht es um das Personale, also das ganz Persönliche. In jeder Situation soll der Mensch seine eigenen Gedanken, Empfindungen, Worte und Handlungen leben können, denn das ist die Grundlage für ein authentisches Leben. Dabei ist der Mensch frei in seiner Entscheidung.
4.Im Handeln übernimmt der Mensch Verantwortung. In der Handlung realisiert er Sinnvolles in der Welt.
Existenzielle Situation und Dialog
Die existenzielle Situation des Menschen ist mit der Tatsache geschaffen, dass wir in dieser Welt sind. Damit sind wir in einer unaufhebbaren Beziehung mit der Welt. Es ist nicht möglich, nicht in Beziehung mit der Welt zu sein. »Zum Wesen des Menschen gehört das Bezogensein auf anderes, das nicht wieder er selbst ist. Menschsein heißt daher, ein Gegenüber zu haben« (Längle, 2005, S. 29). Für ein erfüllendes Leben braucht es mich – aber ich alleine reiche dazu nicht aus. Es braucht auch ein Du. Darin zeigt sich eine der philosophischen Wurzeln der Existenzanalyse. Von Martin Buber stammt der Satz: »Der Mensch wird am Du zum Ich.«
Dieses Bezogensein bezieht sich auf drei Dimensionen:
1.physisch: Wir sind immer an einem Ort, mit Boden und Luft, wir haben unseren Körper.
2.psychisch: Wir sind mit anderen Menschen und mit Objekten emotional verbunden.
3.geistig: Wir beschäftigen uns mit dieser Welt, setzen uns mit Teilen von ihr auseinander und sind mit anderen Menschen verbunden, ohne die wir nicht überleben könnten. (Längle, 2005, S. 29.)
Existieren ist nur im Dialog möglich. Der Mensch steht in ständigem Austausch mit sich und der Welt. Offenheit und Gesprächsbereitschaft fördern eine gelingende Existenz, wogegen Verschlossenheit, Unzugänglichkeit und Isolation der Existenz ihre Grundlage entziehen (Längle, 2013a).
► Das grundlegende Kriterium für erfüllende Existenz: Zustimmung zum eigenen Handeln auf der Grundlage dialogischen Austausches mit dem anderen. ◄ Alfried Längle [2]
Der innere Dialog – das innere Gespräch[3]
Bisher haben wir vor allem vom Dialog nach außen gesprochen. In der Existenzanalyse ist indessen der innere Dialog genauso wichtig. Der Ansatz dazu ist die Person, die in uns spricht (zum Person-Verständnis der Existenzanalyse vgl. den entsprechenden Abschnitt, hier). Darum soll das, was in uns spricht, aus uns herausgeholt werden.
In uns zeigen sich durch den Tag viele Gedanken und Gefühle. Fast ständig meldet sich in uns etwas. Etliches davon kommt aus unserem innersten Wesen – aus der Person (anderes kommt aus dem Ich und dem Über-Ich). Aus diesem innersten Wesen kommen ganz wesentliche Impulse, die für ein existenziell erfülltes Leben grundlegend wichtig sind. Darum werde ich zu einem Gegenüber von mir selbst. Ich bin mir selbst ein guter Freund, der das in Empfang nimmt, was da aus meinem Innersten kommt. Was erlebe ich gerade? Wie geht es mir dabei? Wie möchte ich darauf reagieren?
Dazu habe ich eine grundsätzlich wertschätzende Haltung mir gegenüber. Denn das, was sich aus mir heraus zeigen kann, kann auch widersprüchlich sein, kann mich in innere Konflikte geraten lassen. Da ist ein Impuls, der in diese Richtung zieht, aber etwas anderes in mir zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Mit dem inneren Dialog bringe ich diese beiden Teile ins Gespräch miteinander. Ganz wichtig dabei ist das Bewusstsein, dass alles, was sich in mir meldet, seine Gründe hat. Dazu ist eben die Wertschätzung