Menschen erst dann eine richtige Gruppe, wenn sich klare Rangordnungen ergeben haben. Nur so kann die Gruppe ihr Ziel erreichen.
Gruppe kann also im Allgemeinen als etwas verstanden werden, bei dem sich eine Anzahl Menschen aus einer bestimmten Motivation zusammenschließt, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Dass aus einer Ansammlung von Menschen, sehr schnell eine Gruppe werden kann, zeigt folgende Begebenheit auf.
Beispiel für die Entstehung einer Gruppe
Eine Kollegin verbrachte mit zwei Freundinnen den Abend am Flussufer eines städtischen Naherholungsgebiets. In weiteren Grüppchen aß, trank und plauderte man, ohne Kontakt zu einer der anderen Gruppen zu haben. Da tauchte plötzlich ein Mann auf, der laut rief «Hat jemand ein Handy, hat jemand ein Handy? Es ist ein Unfall geschehen!» Alle Mitglieder dieser Grüppchen standen auf, um sich ihm zuzuwenden. Es stellte sich heraus, dass seine Frau mit dem Fahrrad über die Kaimauer gestürzt war und sich verletzt hatte. Alle rannten hin, einige bargen Fahrrad und Frau, jemand rief einen Krankenwagen und einige beruhigten den aufgeregten Mann. Neben Schürfwunden erlitt die Frau einen Beinbruch. Nach diesem Ereignis gingen die Mitglieder der Grüppchen zurück an ihre Plätze und kamen gruppenübergreifend ins Gespräch. Schließlich setzten sich alle zusammen um das Lagerfeuer, teilten Essen und Getränke und verbrachten den Rest des Abends zusammen.
Hier kommen die wichtigsten Elemente, die eine Gruppe ausmachen, zusammen: Es waren etwa zehn Personen anwesend, das Ziel war, dem Mann zu helfen. Die Gruppenmitglieder kommunizierten direkt miteinander, es gab eine Rollenaufteilung, und am Schluss waren alle mit einem Wir-Gefühl durch die gemeinsame Tat verbunden.
Gruppenklima wird vom Dazwischen geprägt
Was zwischen den Mitgliedern geschieht, ist entscheidend für eine Gruppe. Das Gruppenklima wird nicht durch das Was, sondern durch das Wie bestimmt. Wesentlich ist also die Art der Kommunikation, der Umgangston, die gewählten Worte, aber auch wie man sich ansieht, was in den Blicken liegt, die Mimik oder die Körpersprache im Allgemeinen. Diese Aspekte werden wiederum durch die Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern bestimmt. Durch die Art und Qualität der Beziehungen entsteht das Gruppenklima. Alles, was in einer Gruppe geschieht, löst bei den Mitgliedern eine bestimmte Emotion aus.
Angenehme Emotionen begünstigen das Lernen. Daraus leitet sich für die Lehrperson die Aufgabe ab, die Kommunikation mit und unter den Teilnehmenden und Lernenden so zu gestalten, dass ein für das Lernen positives Klima entsteht.
Gruppe als Lebensgrundlage
Abstract
In diesem Kapitel wird aufgezeigt, dass es ohne Gruppen keine Menschlichkeit gibt. Von Geburt an ist der Mensch darauf angewiesen, sozial eingebunden zu sein, weil nur so sein Überleben gesichert ist. Die Gruppe ist im ganzen Verlauf des Lebens wichtig. Indem wir in Gruppen eingebunden sind, werden wir in eine Kultur integriert und können so den Alltag bewältigen. In Gruppen lernen wir, was menschliches Verhalten ist. Unsere Entwicklungspotenziale sind zwar angeboren, damit sie aktiviert werden, braucht es aber ein Umfeld, mit dem wir interagieren. Gruppen bestimmen unser alltägliches emotionales Erleben. Sozial eingebettet zu sein wirkt sich positiv auf die Lebenserwartung aus. Soziale Isolation aktiviert im Gehirn die gleichen Zellen wie die für physischen Schmerz. Und schließlich wird das neuronale Motivationssystem (intrinsische Motivation) des Menschen vor allem deshalb aktiviert, weil er in Verbundenheit mit anderen steht.
Welchen Einfluss hat die Gruppe auf die Befindlichkeit des Einzelnen? Welche Rolle spielt die Gruppe bei der Motivation zu lernen?
Gruppe und Emotionen
Hartmut Rosa (2019) weist in seiner Analyse der Qualitäten von unseren Beziehungen zur Welt nach, wie wichtig im Guten wie im Schlechten soziale Situationen sind. Einen großen Teil unseres Lebens verbringen wir in Gruppen. Familie, Peergroups, Turnverein, Arbeitsteams, Projektgruppen, Parteien, Militär und Zivilschutz, Spielgruppe, Fasnachtsclique, Kindergarten, Schule … Unser Alltag wird durch Gruppen bestimmt. Viele unserer Emotionen sind untrennbar mit Gruppen verbunden. Die schlechte Stimmung im Team am Arbeitsplatz beeinflusst die eigenen Emotionen genauso wie ein tolles Familienfest. Je nachdem, wie es in einer Schulklasse oder Lerngruppe läuft, fühlt man sich besser oder schlechter. Es können sehr schöne, angenehme und aufbauende Emotionen sein, aber auch irritierende, schmerzhafte und erdrückende. Diese Aufzählung zeigt, wie wichtig Gruppen für uns sind und darüber hinaus, wie wichtig es ist, dass wir Gruppen mitbeeinflussen können, denn diese nehmen wiederum Einfluss auf unser Erleben.
Philosophische Überlegungen
Für Aristoteles ist der Mensch seinem Wesen nach ein soziales Lebewesen. Er ist von Natur aus dazu bestimmt, in Gemeinschaften zu leben. Das bedeutet im Weiteren auch: Der Mensch wird nicht als Einzelgänger zu dem, was wir einen Menschen nennen, sondern nur in der Verbindung mit anderen. Menschlichkeit entsteht nur durch die Erfahrung von Menschlichkeit in einer Gruppe. Von Natur aus ist der Mensch also auf Gruppen ausgerichtet. Sein konkretes Verhalten in Gruppen wird durch die Kultur bestimmt, in der er aufwächst und sich bewegt. Nach Aristoteles ist ein «gutes» Leben eines, das sich auf die Gemeinschaft ausrichtet.
Die Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft gibt weitere Hinweise darauf, welche Bedeutung Gruppen für den Menschen haben. Tönnies (2014) differenziert diese beiden Begriffe folgendermaßen: Gemeinschaft bildet sich aus den lebensweltlich gewachsenen Gruppenzugehörigkeiten und den dazugehörigen Traditionen, wie zum Beispiel die Familie. Gesellschaft beruht auf zweckrationalen Interessen und formalisierten Rechtsbeziehungen. Die Gemeinschaft bietet einerseits vertrautes Zusammenleben, anderseits aber ist man mit Pflichten an sie gebunden, die den Menschen in seiner Entfaltung einschränken können. Die Gesellschaft hingegen ist die Öffentlichkeit, in der der Mensch anderen Menschen begegnen kann – ohne an eine Gemeinschaft gebunden zu sein. Plessner (2003) nimmt die Ideen von Tönnies auf und betont die Möglichkeiten der Gesellschaft, neue Beziehungen mit einer unbestimmten Zahl verschiedenster Menschen einzugehen, in denen der Mensch seine Identität ausbilden und seine Vieldeutigkeit leben kann.
Von der Stunde seiner Geburt an ist der Mensch von der Gruppe, von anderen, abhängig. Verglichen mit Tieren ist er zunächst lange Zeit unselbstständig und damit auf Fürsorge und Erziehung angewiesen. Wir Menschen müssen also in eine Gruppe integriert werden, um überleben zu können. Gehlen (2016) beschreibt den Menschen als Mängelwesen. Er wird nicht von Instinkten geleitet, die ihm sagen, wie er sich zu verhalten hat. Die für ihn entscheidenden Bedeutungen, die ihm helfen, das Leben zu meistern, sind in den gesellschaftlichen Institutionen «gespeichert». Gehlen versteht unter Institution ganz grundsätzlich sowohl Sprache, Sitten, Bräuche als auch Schulen, Kirchen, Parteien, Staat et cetera. Diese Institutionen geben Orientierung und ermöglichen ein Zusammenleben. Die Mitglieder einer Gesellschaft können so ihr Verhalten gegenseitig deuten und die Chancen steigen, von anderen Menschen verstanden zu werden. Um dieses Verständnis zu ermöglichen, ist die Einbindung in Gruppen essenziell. Beispielsweise vermittelt jede Art von Aus- und Weiterbildung die jeweilige Fachsprache, Fertigkeiten oder Wissen, um sich eine Teilwelt erschließbar zu machen. Je besser und intensiver die Verbindung mit der entsprechenden Gruppe innerhalb dieser Institution ist, umso einfacher ist dieser Prozess.
Für Martin Buber (2017) entsteht das Ich am Du. Seine Dialog-Philosophie geht von zwei Grundrelationen aus: Ich–Es und Ich–Du. Die Ich–Es–Beziehung zu Dingen, die den Menschen umgeben, ist normal und alltäglich. Allerdings kann man auch einen Menschen als Es betrachten: kühl, distanziert, wie eine Sache.
Anders ist die Ich-Du-Beziehung, die der Mensch mit seinem innersten und mit seinem ganzen Wesen eingeht. Nur in einer solchen Begegnung mit dem Du kann der Mensch sein Ich erkennen: «Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung» (Buber, 2017, S. 17). Beziehung ist nach Buber nur bei einer wahren Ich-Du-Begegnung möglich. Das geht aber nur, wenn sich beide darauf einlassen. «Beziehung ist Gegenseitigkeit» (S. 14). Das Ich ist demnach immer auch Wir.
Medizinische Überlegungen
Soziale