Gerhard Friedl

Eisbergmanagement (E-Book)


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und angewandten Glücksforschung. Etliche Studien belegen, dass die Lebenserwartung bei sozial integrierten Menschen höher ist als bei isolierten Personen (vgl.z.B. Esch, 2014, Schnell, 2016, PZM, 2018). Fehlende soziale Integration schadet der Gesundheit ähnlich wie Rauchen, Übergewicht und mangelnde Bewegung. Auch psychische Krankheiten wie Depressionen treten häufiger auf (Esch, 2014, S. 168).

      Motivation zum Lernen dank Beziehungen in Gruppen

      Die Bedeutung der Gruppe für den einzelnen Menschen weist auch die Neurobiologie nach. Im menschlichen Gehirn gibt es eine Funktion, die die Motivation beeinflusst. In Lehr- und Lernprozessen stellt sie einen entscheidenden Faktor dar.

      Motivationssysteme

      Die Motivationssysteme im Gehirn wurden über Umwege entdeckt. Zunächst wurden Medikamente, die sogenannten Neuroleptika, entwickelt, die dem Menschen jeden Antrieb nehmen. Der französische Psychiater Jean Delay nutzte in den 1950er-Jahren Neuroleptika, um stark erregte Patienten und Patientinnen zu beruhigen. So gerieten sie in einen Zustand der Entspannung beziehungsweise Apathie. In neuerer Zeit fand man bei der Erforschung von Suchtverhalten heraus, dass Betroffene fast ihre ganze Motivation dem einzigen Ziel unterordnen, zu einer weiteren Dosis zu kommen. Daraus lässt sich schließen, dass ein starker Antrieb vorhanden ist. Interessanterweise bezogen sich beide Forschungsrichtungen auf die gleichen neurobiologischen Strukturen, was zu dem Schluss führte, dass es ein Motivationssystem geben müsse. Dieses Motivationssystem setzt sich aus drei Elementen zusammen (Bauer, 2014):

      1 Dopamin. Dieses Hormon1 wird unter bestimmten Umständen im Gehirn ausgeschüttet. «Dopamin erzeugt ein Gefühl des Wohlbefindens und versetzt den Organismus psychisch und physisch in einen Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft» (Bauer, 2014, S. 31). Dopamin hilft uns nicht nur, uns zu konzentrieren, sondern ermöglicht auch die muskuläre Bewegung.

      2 Endogene Opioide. Diese wirken wie Opium und Heroin, allerdings in einer rein wohltuenden Dosierung. «[Sie] wirken auf die Emotionszentren des Gehirns, sie haben positive Effekte auf das Ich-Gefühl, auf die emotionale Gestimmtheit und die Lebensfreude» (S. 32).

      3 Oxytozin. Dieser Botenstoff ermöglicht zwischenmenschliche Beziehungen. «Es wird verstärkt hergestellt, wenn es zu einer Vertrauen stiftenden oder zu einer eine feste Bindung einleitenden Begegnung kommt» (S. 47). Oxytozin stabilisiert Bindungen, indem es die Bereitschaft erhöht, Vertrauen zu schenken.

      Zusammenfassend lässt sich festhalten: Dopamin gibt uns die Lust und die Motivation, etwas zu tun, und gleichzeitig die körperliche Umsetzungsfähigkeit dazu. Die endogenen Opioide stärken uns in unserem Ich-Sein und ermöglichen Lebensfreude. Das Oxytozin schließlich lässt uns in Verbindung mit anderen Menschen treten, um mit ihnen zusammen etwas zu tun. Wenn Lehrpersonen also Lernende sehen, die motiviert und mit viel Energie zusammen eine Aufgabe bearbeiten, dann werden im Moment diese Hormone in den Köpfen der Lernenden ausgeschüttet.

      Aktivierung und Ziel des Motivationssystems

      Nun stellt sich die Frage: Wie kann dieses Motivationssystem in Gang gebracht werden? Fest steht, uns wird mit der Geburt dieses Motivationssystem zur Verfügung gestellt, allerdings setzt es sich nicht von allein in Gang. Es braucht eine Anregung von außen. Es sind nicht die Gene und Hormone, die uns Menschen von innen her steuern, es ist die Anregung von außen, die Gene und Hormone in Gang bringen. Letztlich ist es eine kreative wechselseitige Beziehung (vgl. dazu Bauer 2008).

      Nur unter bestimmten Voraussetzungen werden diese Hormone freigesetzt. Motivation ist das Streben nach etwas Lohnendem. «Kern aller Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben. Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen» (Bauer, 2014, S. 36). Es geht also um gute Beziehungen mit anderen Menschen und darum, soziale Gemeinschaft zu erleben. Wenn das in Aussicht ist, wird unser Motivationssystem aktiviert, umgekehrt geschieht dies nicht, wenn sich keine soziale Zuwendung abzeichnet.

      Diese Fakten zeigen auf, warum Gruppen für Menschen wichtig sind. In unserem Fall zeigt sich, wie wichtig die Gruppe oder die Klasse beziehungsweise ein positives Klima in der Lerngruppe für das Lernen sein kann. Als Lehrperson gilt es, ein Klima zu fördern, in dem das Motivationssystem aktiviert wird.

      Schlüsselfaktor zwischenmenschliche Beziehung

      Die zwischenmenschliche Beziehung in Gruppen löst die intrinsische Motivation aus. In einem Lehr-Lern-Setting geht es um die Beziehung zwischen der Lehrperson und den Lernenden, aber auch um die Beziehungen der Lernenden untereinander. Darüber hinaus ist die individuelle Beziehung zum Lehrinhalt entscheidend. Nur wenn einem der Inhalt wichtig ist, wird das Motivationssystem aktiviert. Hingegen aktiviert soziale Isolation die genau gleichen Gehirnzellen wie diejenigen, wenn der Mensch physischen Schmerz erfährt (Bauer, 2006, S. 108).

      Im Kapitel «Beziehungen herstellen» wird aufgezeigt, wie man als Lehrperson eine Beziehung aufbauen kann.

      Beschreibung der Gruppendynamik anhand des Eisbergmodells

      Abstract

      In Gruppen herrscht immer eine Dynamik. Oft wird von Gruppendynamik gesprochen, wenn es schwierig wird, aber auch wenn keine Probleme auftreten, gibt es eine Gruppendynamik. Anhand des Eisbergmodells wird das Wesen der Gruppendynamik vorgestellt. Das Sichtbare, oberhalb des Wasserspiegels, ist die Sachebene, unterhalb befindet sich die Beziehungsebene. Menschen kommen wegen dem zusammen, was oberhalb des Wasserspiegels ist, in der Gruppe wird das Klima aber von dem geprägt, was unterhalb ist. Im Unsichtbaren liegen die Emotionen, Werte, Haltungen, Einstellungen.

      Gruppendynamik entwickelt sich, da Einstellungen, Werte, Normen, Rollen und Verhaltensweisen in Gruppen entstehen, die sich durch die Interaktionen von Personen ergeben. Sie basiert also auf den Beziehungen zwischen und dem Zusammenwirken von Mitgliedern einer Gruppe.

      «Gruppendynamik ist wie das Wetter: Sie findet immer statt» ist ein weit verbreiteter Spruch. Oft wird der Begriff Gruppendynamik im Zusammenhang mit problematischen Entwicklungen in Gruppen gebraucht. Man sagt vielleicht: «Dann hat sich eine negative Gruppendynamik ergeben», oder: «Dann hat man die Gruppendynamik zu spüren gekommen». Wenn eine Lerngruppe oder Klasse sehr gut zusammenarbeitet und höchste Leistungen erbringt, ist auch das Ausdruck einer Gruppendynamik. Schweigen die Lernenden, gähnen sie und sind kaum zu einer Aktivität zu bewegen, ist das Ausdruck einer weiteren Ausprägung von Gruppendynamik.

      Wichtig

      Grundsätzlich gilt: Wenn wir von Gruppendynamik sprechen, werden neben dem Sachinhalt, zum Beispiel das Unterrichtsthema, auch soziale Zusammenhänge, Beziehungen unter allen Beteiligten und emotionale Aspekte der einzelnen Gruppenmitglieder in die Überlegungen miteinbezogen. Das ist es, was ich Eisbergmanagement nenne.

      Folgende Elemente prägen die Gruppendynamik: Rollenverhalten, Entstehung von Hierarchien, Verhaltensnormen und -standards (Dos und Don’ts), Entwicklung der Gruppenstruktur sowie das Leitungsverhalten in der Gruppe. Damit ist nicht (nur) die formale Leitung gemeint, sondern alle Mitglieder der Gruppe, die durch mehr oder weniger aktive Beteiligung den Prozess beeinflussen, ihn ermöglichen, fördern, behindern oder blockieren. Es treffen unterschiedliche Erfahrungen, Biografien, Werte, Normen, Meinungen, Ansichten und Charaktere aufeinander. Diese Unterschiede abzugleichen, auszutragen und überhaupt der Gruppe zur Verfügung zu stellen ist das, was die Dynamik einer Gruppe ausmacht. Das daraus entstehende Gruppenklima beeinflusst das Lernen mehr oder weniger günstig.

      König und Schattenhofer (2018, S. 15) beschreiben drei Bedeutungen der Gruppendynamik (in diesem Buch interessieren uns vor allem die Punkte 1 und 3):

      1 das «Geschehen in Gruppen» und das «Kräftespiel einer Gruppe»

      2 im Rahmen der Sozialwissenschaften handelt es sich um die «wissenschaftliche Erforschung solcher Prozesse in kleinen Gruppen»

      3 «ein Verfahren sozialen Lernens …, das soziale Lernprozesse und Verhaltensänderungen