stichwortartige Transkription mit anschliessender inhaltsanalytischer Verdichtung.[292] Dieser methodisch qualitative Fokus ermöglichte Aussagen zur Repräsentation des Denkmals und bereicherte so die kollektive Gebrauchsanalyse um einen weiteren Blickwinkel. Hingegen wurde sowohl bei den Presseartikeln als auch bei den Fernsehbeiträgen auf deren inhaltliche Untersuchung verzichtet. Einerseits hätte das den zeitlichen Rahmen der Datensammlung gesprengt, andererseits ermöglichten bereits die quantitativen Erhebungen und die Bilderfassung wesentliche Erkenntnisse in dieser Hinsicht.
2.3.2.2 Rütli-Gästebücher
Die Rütli-Gästebücher stellen einen Quellenbestand dar, der bisher in der Forschung weder berücksichtigt noch ausgewertet worden ist.[293] In diese Gästebücher konnten sich die Besucherinnen und Besucher eintragen resp. ihren Besuch schriftlich bezeugen. Noch heute liegt ein solches Buch auf in der vorderen Rütlistube zu Füssen der hölzernen Tell-Statue (Bild 32). Die archivierten Bände setzen im Jahr 1814 ein, also lange vor dem Rütlikauf durch die SGG, und sind lückenlos erhalten.[294] Format und Rubriken der Bücher haben sich im Verlauf der Zeit verändert: Den listenartigen Bänden mit mehreren Rubriken (in der Regel Datum, Name, Vorname, Wohnort, Beruf, Bemerkungen) stehen die Bände der Nachkriegsjahre gegenüber, die lediglich aus rubrikenlosen, leeren Seiten bestehen.
Auf diesen besonderen Quellenbestand wurden quantifizierende, teils verbunden mit qualitativen Auswertungsfoki gerichtet. So ging es einerseits darum, die Anzahl der Einträge sowie Herkunft, Geschlecht der Personen sowie deren Beruf zu erfassen. Ein anderer methodischer Zugriff diente dazu, die freien Bemerkungen, welche die Besucherinnen und Besucher in den Gästebüchern hinterliessen, auszuwerten. Dies erfolgte in einem ersten Schritt, indem die Häufigkeit aller verwendeten Wörter erhoben wurde.[295] In einem zweiten, qualitativen Schritt wurden die am häufigsten Begriffe zu einer interpretativen Sinneinheit verschmolzen in Form eines Satzes – ein Vorgehen, das in einem gewissen Sinn die Skizzierung einer Concept Map umgekehrt, indem von assoziierten Begriffen auf ein Kernkonzept, eine Kernidee geschlossen wird und damit einer verstehenden Verdichtung entspricht.[296]
Erkenntnispraktische und arbeitsökonomische Gründe führten bei der Definition der Stichprobe dazu, nur die Einträge ausgewählter Jahre genauer zu untersuchen. Dazu dienten zum einen fünf Querschnitte im Abstand von 30 Jahren, welche die gesamte Zeitspanne von 150 Jahren, also vom Kauf des Rütlis bis heute, abdecken. Zum anderen wurde der Beginn des 30-Jahre-Rhythmus auf 1875 festgelegt. Diese Setzung bot sich an, weil das Rütlihaus als letztes und wesentliches Gestaltungselement der Neuanlage erst im Verlauf des Jahres 1870 fertiggestellt worden war und die Besuchsfrequenz in den Folgejahren zu steigen begann.[297] Die weiteren zeitlichen Meilensteine liegen ebenfalls günstig, da sie prägende national- und weltgeschichtliche Phasen berücksichtigen.[298] Das Jahr 1905 repräsentiert die für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz essentzielle touristische Hochphase der «Belle Epoque». Das Jahr 1935 liegt in den sozial und politisch bewegten 1930er-Jahren und zugleich am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Und während das Jahr 1965 mitten in der Nachkriegszeit situiert ist, geprägt von struktureller Stabilität und Regelvertrauen auf der einen, von einer sich anbahnenden gesellschaftlichen Orientierungskrise auf der anderen Seite, steht der Querschnitt 1995 für die Phase, in der der Kalte Krieg überwunden wurde und der Schweiz wirtschaftliche und kulturell-identifikatorische Herausforderungen erwuchsen.
Sämtliche Einträge dieser fünf Jahre wurden transkribiert. Dabei liessen sich in nur knapp 50 Prozent der Fälle vollständige Angaben erfassen, sei es aufgrund mangelhafter oder fehlender Angaben, sei es aufgrund der erschwerten Lesbarkeit. Zumindest quantitativ hingegen wurde jeder Eintrag berücksichtigt. Familieneinträge («H. Huber mit Familie») erhielten dabei systematisch die Anzahl von fünf Personen zugewiesen, ohne Bezeichnung eines Geschlechts.[299] Gruppeneinträgen von Vereinen und Schulklassen wurde – falls jeweils keine expliziten quantitativen Angaben vorhanden waren – systematisch die Zahl von 28 Personen zugeordnet.[300] Die mithilfe von MAXQDA erfolgte Auswertung der freien Bemerkungen liess Angaben zur Gruppe (zum Beispiel «3. Klasse aus Zürich-Unterstrass») sowie Präzisierungen der Herkunft (zum Beispiel «Schlesien») unberücksichtigt. Überdies wurden fremdsprachige und mundartliche Einträge in deutsche Standardsprache übertragen, um Worthäufigkeiten erfassen zu können. Die sogenannte Stoppliste erlaubte es schliesslich, bei der Häufigkeitszählung gewisse, für die Untersuchung nicht relevante Wörter – also Artikel, Präpositionen oder Jahreszahlen – auszuklammern.
So ausserordentlich dieser Quellenbestand ist, so heikel jedoch ist seine Auswertung und Interpretation: mögliche Verzerrungen (Bias) sind mitzuberücksichtigen. Denn längst nicht alle Personen, die das Rütli besuchten, trugen sich auch in das Gästebuch ein – etwa, weil sie das Rütlihaus gar nicht betraten oder weil sie sich scheuten, sich schriftlich zu äussern? Nicht nur ein Vergleich mit den Passagierzahlen der Schifffahrtsgesellschaften legt dies nahe, sondern auch die neueren, deutlich weniger dichten Bände aus den Nachkriegsjahrzehnten. Quantifizierende Aussagen auf dieser nur scheinbar lückenlosen Grundlage waren deshalb mit der gebotenen Vorsicht zu formulieren.
2.3.3 Quantitativ empirisch
Quantitative Sozialforschung zielt grundsätzlich darauf, Zusammenhänge zu beschreiben und zu erklären.[301] Je nach Komplexität der Fragestellung und deren Bearbeitung lassen sich deskriptive und schliessende Statistik unterscheiden – beide gelangen im vorliegenden Projekt zur Anwendung.
Analog zur quantifizierenden Analyse von Texten geht es bei der Quantifizierung von Zahlenmaterial darum, Häufigkeiten sichtbar zu machen und zu interpretieren. Für die Benutzung des Rütlis liegen zahlreiche serielle Quellenbestände vor, so etwa statistische Aufzeichnungen des Postverkehrs der Poststelle Rütli im Archiv der Schweizerischen Post oder die Frequenzstatistiken der Schiffstation Rütli gemäss den Jahresberichten, die im Archiv der Vierwaldstättersee-Schifffahrtsgesellschaft verfügbar sind. Neben dieser deskriptiven Auswertung kam auch das schliessende statistische Verfahren zum Einsatz, das auf einer Kurzfragebogen-Erhebung beruhte.
2.3.3.1 Kurzfragebogen
2.3.3.1.1 Instrument
Nachdem die Kurzinterviews der Vorstudie ausgewertet worden waren, zeichnete sich ab, dass sich die geschichtlichen Vorstellungen zu Gründungsmythos und Gestaltung des Rütlis durchaus typisieren, jedoch – auch aufgrund der eingeschränkten Stichprobe – kaum quantifizieren liessen, zumal die Äusserungen – aus Sicht einer systematisierenden Analyse – als stark lückenhaft und oft mehrdeutig erschienen. Um quantifizierbares Datenmaterial zu erzeugen, entstand die Idee eines standardisierten Kurzfragebogens, ja eines Kürzestfragebogens. Denn auch hier bestand die forschungspraktische Prämisse, dass die zeitliche Beanspruchung der Besuchenden minimal gehalten musste, umso mehr, als eine deutlich grössere Zahl an Teilnehmenden zu erreichen war.
Der Fragebogen entstand in deutscher und französischer Sprache mit acht Items in Form dichotomer Behauptungen, welche die Befragten mithilfe einer dreistufigen Nominalskala («Ja», «Nein» oder «Unklar») beantworten sollten:[302]
1.Die heutige Schweiz wurde 1291 auf dem Rütli gegründet.
(1. La Suisse actuelle a été fondée sur le Grütli en 1291.)
2.Der Rütli-Rapport fand im Ersten Weltkrieg statt.
(2. Le rapport du Grütli a eu lieu durant la Première Guerre mondiale.)
3.Tell war beim Rütlischwur dabei.
(3. Tell a participé au serment du Grütli.)
4.1848 entsteht die heutige Schweiz.
(4. En 1848, la Suisse actuelle est née.)
5.Schiller hat den Rütlischwur mit der Geschichte von Tell kombiniert.
(5. Schiller a combiné le serment du Grütli avec l’histoire de Tell.)
6.Im Bundesbrief von 1291 steht: «Wir wollen sein ein einig (oder einzig)