Martin Schaub

Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?


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Vielmehr erfährt sie erst durch Schritt 4, also den Vergleich mit anderen Datenbeständen, eine Validierung.[262] Die für die Schlüsselbilder vorgesehene Bildanalyse nach Imdahl soll in diesem methodischen Zusammenhang dazu dienen, die im Schritt 2 erhaltenen Resultate zu verdeutlichen und zu profilieren.

      Eine breitere kulturgeschichtliche Kontextualisierung der erwähnten Bildbestände – im Sinn der «Visual History» – ist nur punktuell beizubringen.[263] Denn das würde bedeuten, dass – über die Abbildungs- und Entstehungsrealität der Bilder hinaus, die sich methodisch mit Panofsky, Imdahl und Mathys fassen lässt – ihre Nutzungs- und Wirkungsrealität zu thematisieren wäre. Gerade diese beiden Aspekte liessen sich jedoch für die untersuchten Bilderserien kaum beschreiben und objektivieren.

2.3 Methoden empirischer Sozialforschung

      Qualitative Sozialforschung zielt grundsätzlich darauf ab, die Innensicht einer Kultur aus empirischen Fragmenten zu re-konstruieren.[264] Ihr liegen verschiedene Konzepte sozialer Strukturen und sozialer Prozesse zugrunde, die wiederum verschiedene Verfahren und Techniken der Datensammlung und -analyse bedingen und die im Hinblick auf die Generalisierung der Forschungsergebnisse differieren.[265] Da Handlung und Verhalten andere Qualitäten sichtbar zu machen vermögen als das Erzählen über ebendiese Handlung, bietet sich die Kombination von Befragung und Beobachtung an.[266] Dementsprechend bestand die Datenbasis des vorliegenden Projekts aus mehreren Instrumenten: Kurzinterviews, Kurzfragebogen, Experteninterviews sowie nichtteilnehmender Beobachtung, ergänzt durch die quantitative Inhaltsanalyse serieller Textbestände.

      Philipp Mayring schlägt ein allgemeines qualitatives Verfahren vor, das die Konzeption und die Durchführung der Datenerhebung und -auswertung sowohl methodisch als auch forschungspraktisch beschreibt.[267] Für die Auswertung schlägt er grundsätzlich drei qualitative Techniken vor, die Zusammenfassung (Verdichtung auf inhaltliche Kerne), die Strukturierung (Ordnen nach formalen, inhaltlichen, typisierenden oder skalierenden Kriterien) und die Explikation (Erschliessung eines Ausschnitts durch textspezifische Kontextualisierung). Vergleichbares leistet auch die von Udo Kelle und Susann Kluge beschriebene systematische Kategorien- und Typenbildung, deren methodologische Fundierung und forschungspraktische Darstellung sich ebenfalls als dienlich erwiesen.[268] Sie besteht im Wesentlichen aus vier Auswertungsschritten: Kategorie- und Subkategoriebildung, zwei- oder mehrdimensionale Kreuztabellen durch Fallvergleiche und Fallkontrastierungen, Typenbildung durch typisierte Kombination von Handlungsmustern sowie abschliessende verstehende Analyse.

      Denkbar wären auch andere Auswertungsverfahren gewesen. Die Stärke der Objektiven Hermeneutik nach Oevermann etwa liegt vor allem in der Bearbeitung längerer Texte, beispielsweise biografischer Interviews oder transkribierter Beobachtungen von sozial dichten Situationen – zwei Formate, die im vorliegenden Projekt nur teilweise entstanden. Die dokumentarische Methode nach Bohnsack hätte ein durchaus angemessenes Instrumentarium geboten, vor allem in Form der sinn- und formgenetischen Typenbildung. Sie sieht jedoch von Anfang an eine von Theorie oder Fragestellungen geleitete Textauswahl vor.[269] Gerade dieser Verfahrensschritt erschien jedoch für Datenmaterial, das insbesondere aus eher kurzen Interviewtexten zusammengesetzt war, als zu wenig zielführend.

      2.3.1.1 Kurzinterviews

      2.3.1.1.1 Vorstudie: Instrument und Erhebung

      Um das individuelle Wahrnehmen, Erleben und Deuten des Denkmals zu erforschen, lag eine mündliche Befragung von Besuchenden an Ort auf der Hand. Längere Interviews oder längere Fragebogen wären forschungspraktisch kaum realisierbar gewesen, da der Besuch in einem freizeitlichen Kontext erfolgte, der längere und intensivere Interventionen kaum zuliess. Aus diesem Grund fiel die Wahl auf Kurzinterviews, methodisch gestützt auf das «problemzentrierte Interview» nach Witzel.[270] Denn erstens fokussierten die Interviews auf konkrete Frage- oder Problemstellungen, zweitens sollte das Befragungssetting flexibel an die Umstände adaptierbar sein und drittens beinhaltete das Gespräch – wenn auch in geringerem Mass – eine prozessorientierte Vorgehensweise, indem Themen mehrfach und sich entwickelnd angesprochen werden sollten. Nach Witzel begleiten überdies drei weitere Instrumente die Kurzinterviews: der soziodemografische Kurzfragebogen, im Projekt direkt in die Befragung integriert, die digitale Aufzeichnung sowie das Postscriptum, also die Postkommunikationsbeschreibung.[271]

      Der Leitfaden enthielt insgesamt 16 Fragen zu den folgenden Bereichen, welche Hettlings «Erlebnisraum»-Konzept mit den Operationalisierungsdimensionen abdecken:[272]

      a)Besuch: Frequenz, Gründe und Erwartungen

      b)Fünf Begriffe zum Rütli; Wissen zum Ort, Mythos

      c)Wahrnehmung und Bewertung der Denkmalelemente

      d)Denkmal auf dem Rütli: Ideen, das Rütli in Deutschland/Frankreich, das Rütli in der Schweiz

      e)Bedeutung der Anlage

      f)Verlauf resp. Ertrag eines/des Besuchs

      g)Zwei Eindrücke nach dem Besuch

      h)Soziodemografische Angaben

      Bereich a) knüpfte an beim individuell getroffenen Entscheid, die Reise aufs Rütli zu unternehmen. Im zweiten Schritt (b) wurde mittels einer offenen Frage das Wissen zum Rütli thematisiert. Auf Präzisierung abzielende Nachfragen waren möglich, häufig in Fällen, in denen die Antwort entweder sehr spärlich ausfiel oder der Rütli-Rapport nicht angesprochen wurde. Diesen Wissensfragen voran ging die Aufforderung, in freiem und spontanem Assoziieren fünf Begriffe zum Rütli zu nennen. Ziel dieser Assoziationsaufforderung war es, kondensierte und vor allem auch quantifizierbare Daten zum Rütlibild zu erhalten. In den Bereichen c) bis e) sollten die Befragten drei wesentliche Elemente des Denkmals (Rütlihaus, Schwurplatz, Rütliwiese) beschreiben und bewerten. Auf die Besonderheit des Landschaftsdenkmals, das keinen klassischen Denkmalkörper aufweist, zielte die Frage ab, ob auf dem Rütli ein Denkmal wünschenswert wäre und, wenn ja, in welcher Form. Um die für die Schweiz typischen Gestaltungselemente anzusprechen, wurden – im Sinn der Kontrastierung – die Befragten gebeten, das hypothetische Bild des Rütlis in einem anderen Land zu zeichnen. Daran schlossen sich markante, polarisierende Aussagen an, zu denen die Interviewten Stellung beziehen sollten. Diese Aussagen gaben vor, Meinungen anderer Interviewten wiederzugeben, dies in der Absicht, den Befragten eine Stellungnahme zu erleichtern. Inhaltlich betrafen diese Aussagen die Gestaltung und die Bedeutung des Ortes. Der Abfrage soziodemografischer Daten ging die Bewertung eines resp. des Rütlibesuchs voraus.

      Insgesamt sollten also auf der Basis der verbalisierten Daten die Wahrnehmung des Denkmals, das direkte persönliche Erleben sowie eine gewisse Reflexionsleistung fass- und objektivierbar gemacht werden. Allenfalls zu erwarten war, dass insbesondere die erwünschte Reflexionsleistung – im Rahmen eines spontan geführten Gesprächs – eher oberflächlich ausfallen könnte.

      2.3.1.1.2 Hauptstudie: Instrument, Stichprobe und Erhebung

      Die