Bruno Scheidegger

Umweltbildung (E-Book)


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      ♦differenziert didaktische Handlungsfelder nach Verhaltensfaktoren;

      ♦vereinfacht die Orientierung in den komplexen Wirkungszusammenhängen;

      ♦zeigt auf, worin die Herausforderung von verhaltensorientierter Bildung liegt;

      ♦erleichtert die Beurteilung der Wirkung von Umweltbildungsangeboten;

      ♦hilft, die Möglichkeiten und Grenzen pädagogischer Einflussnahme zu verstehen;

      ♦ist in aktuellen theoretischen Konzepten zu Verhalten, Lernen und Wissenstransfer verankert, insbesondere in den Theorien der

      –Umweltbildung / Bildung für nachhaltige Entwicklung,

      –Verhaltens-, Lern- und Sozialpsychologie,

      –Bildungswissenschaft,

      –Erwachsenenbildung und des lebenslangen Lernens.

      Als Advance Organizer im Unterricht bietet das Brückenmodell den Studierenden eine mentale Landkarte, mit der sie sich das Fachgebiet »Umweltbildung« sektoriell erschließen können, ohne in der Fülle von Begriffen, Theorien und Betrachtungsdimensionen den Blick auf das Wesentliche zu verlieren, nämlich auf den handelnden Menschen und seine Alltagsrealität.

      Bei der Planung und Evaluation von Umweltbildungsangeboten dient das Brückenmodell der Zielgruppen- und Umfeldanalyse. Es hilft mit, das Wirkungspotenzial eines Angebots realistisch einzuschätzen. Es erlaubt, eine Bildungsstrategie zu entwickeln, die alle wichtigen Verhaltensfaktoren berücksichtigt, und es weist den Weg zu passenden didaktischen Ansätzen für die Bildungsarbeit.

      Das Brückenmodell dient der subjektiven Theoriebildung, denn Lernen ist mit dem Studium nicht abgeschlossen, es findet in der Praxis seine Fortsetzung und Vertiefung. Die Reflexion von Berufserfahrungen anhand der Heuristik soll Fragen aufwerfen, Zustimmung und Widersprüche erzeugen, bisherige Gewissheiten in einem neuen Licht erscheinen lassen. Gespiegelt an der eigenen Erfahrung, lassen sich die Implikationen des Brückenmodells immer wieder neu interpretieren. Die kritische Auseinandersetzung mit der Gültigkeit des Modells führt zu neuen Einsichten und Erkenntnissen.

      Nicht zuletzt richtet sich das Brückenmodell an alle, die sich mit den Wirkungszusammenhängen in der verhaltensorientierten Bildung befassen. In der vorliegenden Publikation werden diese Zusammenhänge am Beispiel der Umweltbildung aufgezeigt. Das Brückenmodell gilt jedoch für jede Art von verhaltensorientierter Bildung, wie Gesundheitsbildung oder Bürgerbildung, indem es systemisch vernetzte Wirkungszusammenhänge grafisch vereinfacht und auf ein Grundmodell für menschliches Erleben und Verhalten zurückführt.

      ♦ Jedes Verhalten resultiert aus einer Wechselwirkung

       von Person und Umwelt. ♦

      Kurt Lewin

      Das Brückenmodell basiert auf dem »psychologischen Grundmodell zur Beschreibung und Erklärung von menschlichem Verhalten« von Hans-Peter Nolting und Peter Paulus (1999). Die Autoren ordnen die Verhaltensfaktoren in fünf Bereiche und stellen diese auf drei Ebenen dar (vgl. Abbildung 1). Sie wählen als Ausgangspunkt das von außen beobachtbare Verhalten einer Person in einer bestimmten Situation. Die erste Ebene des Grundmodells beschreibt das Verhalten und die dazugehörigen inneren Prozesse. Die zweite Ebene fragt nach den personalen Dispositionen und situativen Bedingungen, die diese aktuellen Prozesse im Zeitpunkt des Verhaltens beeinflussen. Die dritte Ebene schließlich umfasst die Entwicklungsbedingungen, unter denen sich die aktuellen personalen Verhaltensfaktoren entwickelt haben.

      Abbildung 1: Grundmodell der Verhaltenserklärung (nach Nolting & Paulus, 1999, S. 38 ff.)

      Ebene 1: aktuelle Prozesse

      Die erste Ebene des Grundmodells beschreibt das Verhalten einer Person in einer konkreten Situation und bringt es mit ihrem Erleben in Verbindung. Die Fragestellung lautet: Welche inneren und äußeren Prozesse spielen sich bei der handelnden Person ab, und wie hängen diese zusammen? Während das Verhalten von Dritten beobachtet werden kann, sind die inneren Prozesse primär der handelnden Person selbst mehr oder weniger zugänglich. Es sind Wahrnehmungen, Gefühle, Motivationen und Gedanken. Ein Teil davon ist der handelnden Person bewusst, ein Teil bleibt unbewusst und entzieht sich einer Beschreibung weitgehend.

      Beispiel: Adrian M. steigt am Morgen ins Auto und fährt zur Arbeit (beobachtbares Verhalten). Die folgenden inneren Prozesse könnten sich bei ihm abspielen: Adrian trifft eine rationale Entscheidung, heute nicht den öffentlichen Verkehr zu benutzen, dabei meldet sich bei ihm zwar ein schlechtes Gewissen, aber er bleibt bei seiner Entscheidung (innere Prozesse). Während das Resultat der rationalen Entscheidung im Verhalten sichtbar wird, bleibt das schlechte Gewissen vorerst verborgen. ♦

      Ebene 2: Disposition und Situation

      Die zweite Ebene des Modells untersucht, welche personalen Dispositionen und welche situativen Bedingungen die inneren Prozesse und das Verhalten im Moment des Handelns beeinflussen (vgl. Abbildung 1). Zu den Dispositionen gehören sämtliche Persönlichkeitsmerkmale wie Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster, Wissen, Einstellungen, Absichten, die momentane körperliche und psychische Verfassung und die momentan verfügbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die situativen Bedingungen setzen sich aus den materiellen, räumlichen, zeitlichen und weiteren äußeren Gegebenheiten zusammen. Auch momentane Einflüsse von Mitmenschen gehören zu den situativen Faktoren, kurz: sämtliche Bedingungen und Ereignisse, die außerhalb der handelnden Person liegen und einen Einfluss auf das beobachtete Verhalten haben.

      Um das Verhalten einer Person zu erklären, müssen wir somit neben den aktuellen inneren Prozessen auch ihre zum Zeitpunkt des Verhaltens vorhandenen Dispositionen und die sie beeinflussenden äußeren Bedingungen kennen.

      Beispiel: Adrian M. steht unter Zeitdruck: Ein wichtiger Geschäftstermin steht kurz bevor. Ein Wagen steht in der Tiefgarage zur Verfügung (situative Bedingungen). Adrian M. ist pflichtbewusst, kann Auto fahren, findet es wichtig, einen persönlichen Beitrag gegen die Luftverschmutzung zu leisten, und benutzt normalerweise aus Überzeugung den öffentlichen Verkehr (Dispositionen). An diesem Morgen überwiegen bei Adrian M. offenbar die situativen Bedingungen, und er entschließt sich dazu, das Auto zu benutzen. Die Dispositionen erklären jedoch zusätzlich zum beobachtbaren Verhalten sein schlechtes Gewissen. ♦

      Ebene 3: Biografie und Situationsentwicklung

      Die dritte Ebene erklärt die personalen Dispositionen aus der Biografie einer Person. Dispositionen entwickeln sich durch biologische Reifung und Lernprozesse, in der steten Auseinandersetzung mit der Umwelt. Sie enthalten die Essenz aus allen erfahrenen Situationen bis zum aktuellen Lebenszeitpunkt. Damit sind Dispositionen das Resultat der genetischen Voraussetzungen und der Erfahrungsmöglichkeiten, die sich einer Person im Lauf ihres bisherigen Lebens geboten haben, beziehungsweise der Erfahrungsmöglichkeiten, die sie sich selbst gesucht hat. Auf der Situationsseite des Modells (vgl. Abbildung 1, rechts) ist auf der dritten Ebene entsprechend die außerhalb der Person liegende Vorgeschichte der Verhaltenssituation angesiedelt. Dazu gehören sowohl die aktuelle Entwicklung der materiellen, räumlichen, zeitlichen und sozialen Bedingungen als auch die Geschichte und Kultur, in die das gezeigte Verhalten eingebettet ist.

      Beispiel: Adrian M. ist in einer Familie aufgewachsen, die individuelle Verantwortung hoch bewertet. Pünktlichkeit