im Verlauf der rationalen Entscheidung zu Beginn des Beispiels ergeben hat. ♦
2.2 Eignung des Modells als Heuristik und Aussagekraft
Für die Planung von verhaltenswirksamen Bildungsangeboten benötigen wir Annahmen darüber, welche Faktoren für ein bestimmtes Verhalten relevant sind. Darauf aufbauend, können wir Lernprozesse bestimmen, die zur Veränderung dieser Faktoren beitragen, sowie Lernziele und Lernarrangements wählen, die geeignet sind, die Lernprozesse in Gang zu setzen. Auf Annahmen sind wir angewiesen, da weder die Bildungswissenschaft noch die Psychologie ein übergreifendes Theoriegebäude bereitstellt, aus dem sich menschliches Verhalten mit relativer Sicherheit vorhersagen lässt. Vielmehr existieren zahlreiche Theorien und Ansätze nebeneinander. Alle erklären Teilaspekte und haben sich in der Praxis für die Lösung bestimmter Probleme in einem bestimmten Kontext bewährt. In dieser theoretischen Vielfalt bietet das Grundmodell von Nolting und Paulus (1999) eine willkommene Orientierung. Es hat für die Planung und Beurteilung von verhaltensorientierter Bildung mehrere Vorteile.
Das Grundmodell sieht das beobachtbare Verhalten als einigermaßen eindeutigen Fixpunkt, von dem aus die komplexen inneren Prozesse erschlossen werden. Gleichzeitig dient das Verhalten als einigermaßen messbares Ziel der Bildungswirkung. Die Relativierungen »einigermaßen« sind dabei wichtig, da verhaltensorientierte Bildung praktisch nie mit Gewissheiten operiert, sondern mit Annahmen und Wahrscheinlichkeiten. Die Orientierung am Fixpunkt »beobachtbares Verhalten« ermöglicht eine wissenschaftsbasierte Überprüfung von Bildungsplanung und Bildungsergebnissen trotz dieser Unschärfe.
Ein weiterer Vorteil liegt in der relativen Theorieunabhängigkeit des Grundmodells. Es strukturiert das psychische System unabhängig von den Deutungsansätzen der unterschiedlichen psychologischen Richtungen. Über die Grundstruktur mit den fünf Aspekten und drei Erklärungsebenen herrscht in der Fachwelt weitgehend Konsens. Nolting und Paulus (1999, S. 40) bemerken dazu: »Der eigentliche Gegenstand der [psychologischen] Forschung und der wissenschaftlichen Kontroversen sind nicht die vorgestellten Aspekte als solche, sondern ihre inhaltliche Ausfüllung und Gewichtung.«
Die Unterscheidungen, die das Grundmodell trifft, zwischen inneren und äußeren sowie aktuellen und historischen Verhaltensfaktoren, ermöglicht unter anderem die Differenzierung von Lernprozessen. Je nach Bildungsanliegen und Zielgruppe stehen uns für die Planung geeigneter Lernarrangements Ansätze aus sehr unterschiedlichen Theoriegebäuden zur Verfügung, um diese Prozesse anzustoßen. Wollen wir ein problematisches Einkaufsverhalten beeinflussen, können wir uns sowohl bei der behavioristischen als auch bei der ökologischen Psychologie bedienen, ohne uns um die theoretische Vereinbarkeit der Ansätze vertieft zu kümmern. Die Orientierung am beobachtbaren Verhalten stellt sicher, dass wir trotz Lücken im Theoriegebäude letztlich unser Bildungsziel erreichen. Zu diesem aus Sicht der empirischen Wissenschaft problematischen Vorgehen schreibt der emeritierte Berner Psychologieprofessor August Flammer (2003, S. 268): »Da viele Theorien spezifische starke Seiten haben, sollte man alle diese nutzen können. Eklektizismus und Kombinationismus liegen den modernen Sozialwissenschaften sehr. Vor allem Praktiker […] berichten oft, mit einer geeigneten Kombination von Schulen […] gute Erfahrungen zu machen.«
Gegenüber älteren, aber immer noch gängigen Erklärungsmodellen für Umwelthandeln, wie die »theory of planned behavior« von Martin Fishbein und Izec Ajzen (2010), erweitert das Grundmodell von Nolting und Paulus den Blick auf die äußeren, die Situations-Aspekte von Verhalten und auf die zumeist unbewusste Handlungssteuerung. Beide werden in älteren Modellen entweder ausgeblendet oder fließen nur indirekt in die Verhaltenserklärung ein.
Die situativen Faktoren werden den personalen Faktoren oft zu Unrecht untergeordnet. Zur Bedeutung der Situation schreiben Nolting und Paulus (1999, S. 41): »Menschen neigen dazu, das aktuelle Verhalten anderer Menschen vornehmlich aus deren ›Person‹, aus ihren ›Eigenschaften‹ zu erklären, und Situationseinflüsse zu übersehen oder wenig zu beachten. Das heißt: Sie bevorzugen subjektive Erklärungen (Attributionen) wie ›X ist egoistisch‹ [...] selbst dort, wo Zeitdruck, Anweisungen, finanzielle Anreize und andere situative Faktoren eigentlich offensichtlich sind und, wie Experimente [...] zeigen, das Verhalten tatsächlich weit stärker steuern als die individuellen Dispositionen.«
Zur unbewussten Handlungssteuerung schreibt Izec Ajzen auf seiner Website (Ajzen, 2016): »Relation between Intentions and Actions: Being hypothetical, intentions tend to overestimate readiness to perform desirable behaviors and underestimate readiness to perform undesirable behaviors.« Das Vorhandensein von Verhaltensabsichten allein genügt offensichtlich nicht, um ein Verhalten zu erklären. Wir handeln oft auch gegen unsere erklärten Absichten, ein bestimmtes Verhalten zu ändern. Ein möglicher Faktor für diese Handlungsweise sind eingeschliffene Gewohnheiten (Habitualisierungen). Dazu schreibt Ajzen weiter: »Automatic/Habitual versus Reasoned Behavior: Although incorporating automatic processes, the theory of planned behavior generally assumes reasoned processes underlying attitudes and actions. In contrast, strong and unmediated links between prior and later behavior imply habituation in a process that bypasses intentions« (ebd.). Verhalten in einer aktuellen Situation ist offensichtlich nicht allein durch bewusste Entscheide und begründete Absichten gesteuert, sondern ebenso durch unbewusste, eingeschliffene Verhaltensmuster.
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