rel="nofollow" href="#ulink_9bf8f04d-e957-5f61-9ce3-45fa31f96d31">2 Zu Piagets Konstruktivismus, Krashens «Acquisition-Learning Hypothesis», «Monitor Hypothesis», «Natural Order Hypothesis», «Input Hypothesis» («comprehensible input +1») und «Affective Filter Hypothesis» sowie zu Cummins’ Doppel-Eisberg-Modell, «Threshold Theory» und seiner Unterscheidung von BICS und CALP vgl. etwa die gute Zusammenfassung in Wilhelmer, 2008, S. 15–35.
3 Auch Werke, die im Titel explizit versprechen, auf die Unterrichtspraxis einzugehen, lösen dieses Versprechen nicht alle ein (vgl. etwa Müller-Schneck, 2006). Einer Handreichung am nächsten kommt vielleicht Manfred Wildhages und Edgar Ottens Praxis des bilingualen Unterrichts (2003), wo im Kapitel zum immersiven Geschichtsunterricht ein paar gute Anregungen zu holen sind. Für mich den besten Abriss über eine mögliche Immersionsdidaktik liefert Martina Wider (2007). Brauchbare Erkenntnisse findet man auch in Elemente einer Didaktik für den bilingualen Sachfachunterricht, 2012. Die Nichtnotwendigkeit einer eigenständigen Methodik für den bilingualen Sachfachunterricht bringt Nando Näsch auf den Punkt: «Für das bilinguale Lernen gibt es keine anderen Unterrichtsformen als die heute für guten schulischen Unterricht bekannten» (Thürmann, 2010, S. 73).
4 Zum Begriff von Immersionslehrpersonen als «reflective practitioners» im Spannungsfeld zwischen lern- und bildungstheoretischen Modellen und praktischem CLIL-Unterrichtsalltag vgl. Breidbach/Viebrock, 2007, S. 127.
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Einer Immersionsdidaktik und -methodik auf der Spur
1.1 History in English? Oder: Sechs Grundsätze für den Immersionsunterricht
Immersiv zu unterrichten, heisst nicht einfach, ein Sachfach in einer Fremdsprache anstatt auf Deutsch zu unterrichten. Auch wenn es wie eine Binsenwahrheit tönt: Meine vielen Blicke in Immersionsklassenzimmer zeigen allerdings, dass immersiver Unterricht tatsächlich sehr häufig so abläuft. Damit wird jedoch eine riesige Chance vertan, den Mehrwert dieser Art von Unterricht auszunutzen, und zwar sowohl was das Sach- als auch was das Sprachlernen betrifft.
Bevor wir uns aber den allenfalls dafür verantwortlichen Lehrpersonen zuwenden, lassen Sie mich zuerst einen kurzen Abstecher zu den recht zahlreichen Lehrmitteln deutschsprachiger Verlage für den Geschichtsunterricht auf Englisch machen, die zum Teil für diesen Umstand mitverantwortlich sind, so sie denn konsequent im immersiven Unterricht eingesetzt werden.
Die Autorinnen und Autoren dieser Werke übernehmen nämlich mehr oder weniger konsequent die Konzepte deutschsprachiger Lehrmittel. Ein eigentlich neuer Approach hin zum Unterrichtsgegenstand aufgrund der immersiven Unterrichtssituation findet nur ansatzweise statt. So erschöpft sich zum Beispiel das vokabularische «scaffolding», also die stützende, systematische Wortschatzarbeit zum Thema, meist in Worterklärungen und Glossaren. Eigentliche Werkzeuge zur systematischen Erschliessung des spezifischen historischen Wortschatzes finden sich nicht. Bei den Arbeitsanweisungen und Aufträgen dominieren die Verben «describe» und «discuss». Ideen und Anleitungen dazu, in welcher Form dies genau geschehen soll, fehlen fast völlig.
Hinzu kommt, dass durch die «deutsche» Struktur und Herkunft der Bücher kein Perspektivenwechsel stattfinden kann, der meines Erachtens für den Immersionsunterricht von zentraler Bedeutung ist. Damit meine ich die Thematisierung der Tatsache im Unterricht, dass etwa in englischen oder amerikanischen Schulbüchern historische Phänomene gemäss der eigenen Lehrmitteltradition dargestellt werden.5
Die Publikation History of the Twentieth Century (1914–1989): Concise texts, tasks, glossary and bilingual index (Bornand, 2007) wollte das oben beschriebene Dilemma wohl umgehen und hat in guter Absicht Teile eines englischen Lehrmittels für den Schweizer Markt adaptiert und mit Aufgaben und Hinweisen ergänzt. Herausgekommen ist ein textlastiges, nur zweifarbiges Buch mit Karten und Diagrammen, das fast vollständig auf Bilder verzichtet (die es im englischen Original gibt). Für mich ist dieses Werk sinnbildlich für die Reduktion von Immersionsunterricht auf die lineare Vermittlung von historischen Fakten auf Englisch, was ich hier mit «History in English» umschreiben möchte.
Grundsatz 1: Gebrauch von Lehrmitteln der Länder der Zielsprache
Die Folgerung liegt auf der Hand: Grundsätzlich sollen, wenn immer möglich, im Immersionsunterricht Lehrmittel aus den Sprachzielländern zur Anwendung kommen. Dann findet die Immersion, also das Eintauchen, auch in die Unterrichtsrealität jener Kulturen statt, und entsprechend können Unterschiede in der Wahrnehmung und Darstellung der Themen behandelt werden, vom Inhalt bis hin zur Aufmachung des Buchs. Es gibt zu diesem Zweck genügend gute englische und amerikanische stufenspezifische Geschichtslehrmittel. Findet eine solche Perspektivendiskussion im Unterricht nicht statt, vergibt man sich eine grosse Chance.
Grundsatz 2: Konzentration auf Geschichtsthemen der Länder der Zielsprache
Durch das oben Gesagte ergibt sich implizit auch eine zweite Folgerung an einen fruchtbaren Immersionsunterricht: Wenn immer möglich sollten die Unterrichtsthemen direkt mit den Sprachzielländern zu tun haben oder aber die Auswirkungen weltgeschichtlicher Phänomene auf diese Länder in den Vordergrund rücken.
Mir ist bewusst, dass zum Beispiel der Immersionsunterricht im Grundlagenfach Geschichte dem schuleigenen Curriculum der Regelklassen folgen sollte. Andererseits habe ich aber festgestellt, dass eine Konzentration auf möglichst viele angelsächsische Themen dem Geschichtsverständnis der entsprechenden Schülerinnen und Schüler nicht abträglich ist. Nach wie vor finde ich es nicht sinnvoll, wenn zum Beispiel die Französische Revolution, die Weimarer Republik oder das Dritte Reich auf Englisch unterrichtet werden. Haben wir doch den Mut zur Anpassung des Lehrplans von Immersionsklassen! Daraus ergibt sich auch schon der nächste Grundsatz.
Grundsatz 3: «Mind the gap»
Konzentrieren wir uns exemplarisch auf Phänomene der angelsächsischen Geschichte und lassen wir unsere Schülerinnen und Schüler die anderen Stoffe mit einem Reader aus dem englischen Sprachraum erarbeiten. Oft neigen Curricula zu flächendeckender Behandlung geschichtlicher Themen. Entsprechend ist auch der Unterricht sehr faktenlastig. Überträgt man diese Curricula auf Immersionsklassen, rennt man dem Stoff förmlich hinterher. Aus lauter Curriculumstreue findet dann der Unterricht halt doch vor allem frontal statt, sozusagen – aus Lehrerwarte – «in spite of myself». Ja, dieser Frontalunterricht ist zum Teil in Immersionsklassen noch ausgeprägter als in Regelklassen, da man ja nicht dem Vorwurf ausgesetzt sein will, dass die Fremdsprachigkeit des Unterrichts Abstriche am Stoff zur Folge haben könnte. «Mind the gap!» – Diesmal nicht im Sinne der berühmten Tonband-Warnung in Londoner U-Bahn-Stationen, sondern im positiven Sinne des Lücken-Schaffens, damit es Platz für die nächsten zwei Grundsätze hat.
Grundsatz 4: More «STT» («Student Talking Time»), less «TTT» («Teacher Talking Time»), less «Talk and Chalk»
In der Kurzfassung des Schlussberichts Zweisprachiger Ausbildungsgang in Mittelschulen der Zürcher ARGE Bilingual vom Juni 2005 steht: «Die Schülerinnen und Schüler in den Immersionsklassen erleben einen sachlich wie sprachlich anspruchsvollen Unterricht, der vorwiegend frontal gestaltet und stärker durch die Lehrpersonen gesteuert wird als der Unterricht in anderen Klassen.»6 Dies ist erstaunlich, weil man beim Stichwort Immersionsunterricht doch eher an kommunikative und interaktive Unterrichtsstunden denkt.
Immerhin wird dieses Diktum im Schlussbericht der Längsschnittstudie 2004–2008 Zweisprachiger Ausbildungsgang an Mittelschulen im Kanton Zürich der gleichen ARGE etwas relativiert: «Die methodische Gestaltung des Unterrichts ist interaktiver und vielfältiger als in den Kontrollklassen [den Regelklassen, Anm. des Autors].»