sehr hilfreich sein können. Es will den vielen leider durch das Geschehen verunsicherten Lehrkräften Sicherheit geben und auf diese Weise den Lehrerberuf stärken.
Sicher werden einzelne angesprochene Aspekte zu Diskussionen oder gar zu Kritik führen. Aber wer ist heute in Schulfragen überhaupt noch in der Lage, die Wahrheit zu pädagogischen Fragen zu vermitteln? Das Geschehen ist zu kompliziert und beinhaltet zu viele Zielkonflikte, in denen es kein Richtig oder Falsch gibt. Wesentlich sind Schriften, die konsistent sind und Hilfestellung geben, selbst wenn sie in dieser Hinsicht nur Anregungen zur Reflexion bieten.
Dienen kann dieses Buch zwei Zwecken: als Lesebuch zur Erweiterung des eigenen Horizontes, aber ebenso gut auch als Nachschlagewerk, vor allem dann, wenn man als Volksschullehrer oder -lehrerin zu einem eigenen Schulproblem sehen möchte, ob andere Lehrpersonen mit gleichen oder ähnlichen Problemen kämpfen und wie man sie lösen kann. Dank der Gliederung jedes problemorientierten Kapitels in Aussagen von Lehrpersonen, praktische Beispiele und theoretisch fundierte, aber nicht praxisferne Empfehlungen wird das Buch nie langweilig, sondern zu einem zielgerichteten Ratgeber.
Rolf Dubs
em. Professor an der Universität St. Gallen
Zum Geleit
«Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.»
Dass der Lehrberuf anspruchsvoll ist, ist unumstritten. Die verantwortungsvolle Aufgabe immer und immer wieder zur Zufriedenheit aller – der Klasse, der Eltern, der Institution und der Politik – zu erfüllen, gleicht dem Versuch der Quadratur des Kreises.
Als Dozierende einer pädagogischen Hochschule und Schulpraxis-Mentor/in wirken wir an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis. Wir gehen in dieser Funktion in etlichen Schulhäusern und Klassenzimmern ein und aus und kommen mit jungen, aber auch mit langjährigen, erfahrenen Lehrpersonen ins Gespräch. Die Türen zur Schulwirklichkeit stehen uns weit offen, und wir gewinnen tiefen Einblick in die (Aus-)Wirkungen der bildungspolitischen Anstrengungen.
«Schulalltag konkret» hat in solchen Gesprächen seinen Anfang genommen. In einer offenen Umfrage baten wir Lehrpersonen in verschiedenen Kantonen, die drei Themen zu benennen, die sie (im April 2011) am meisten beschäftigten. Die Antworten, teils kurz und bündig, teils sehr ausführlich. Sie liessen sich den Kategorien Klasse, Unterricht, Lehrperson, Institution Schule und Eltern zuordnen. Innerhalb dieser Bereiche konnten wir 16 Kernpunkte ausmachen, die sich in den 16 Kapiteltiteln des vorgelegten Buches spiegeln.
Grundsätzlich sind alle Kapitel nach demselben Muster aufgebaut:
A Aussagen von Lehrpersonen
B Beispiele
C Theorie
D Empfehlungen und Massnahmen
Wir waren uns bei der Arbeit an diesem Buch bewusst, dass wir nicht alle angesprochenen Themen gleich ausführlich behandeln können. Angesichts der Komplexität der Fragestellungen verstehen wir «Schulalltag konkret» als Diskussionsbeitrag – und als eine Annäherung an die Quadratur des Kreises.
Unser Dank gilt den Lehrpersonen, die uns mit ihren Antworten auf unsere Umfrage Anstoss zu den Themen gaben: Sachverständigen (Schulleitungen, Heilpädagogen, einer Schulpsychologin, Prof. Rolf Dubs und vielen anderen), den Interviewten; den «Critical Friends», die einige Kapitel durchlasen und uns mit wichtigen ergänzenden Ratschlägen unterstützten und schliesslich dem hep verlag, der unser Projekt von Anfang an unterstützte.
Elsbeth Würzer und Thomas Zellweger
Januar 2013
Das Motto, das diesem Geleitwort vorangestellt ist, stammt aus dem Buch «Das Elterngespräch in der Schule» von Claudius Hennig und Wolfgang Ehinger, erschienen bei Auer, Donauwörth.
I Klasse
1 Der «schwierige Schüler»
(Elsbeth Würzer)
A Aussagen von Lehrpersonen
Eines der brennendsten Themen der meisten befragten Lehrpersonen ist der Umgang mit «schwierigen», verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern.
Eine Primarlehrerin (4. Klasse) aus dem Kanton Zürich bringt es auf den Punkt:
A1 «Meine Pensenpartnerin und mich belastet die Unruhe in unserer Klasse sehr. Wir haben extrem viele verhaltensauffällige Kinder. Die Schulpsychologin hat viel zu tun bei uns. Nebst diesen speziellen Kindern bleibt manchmal zu wenig Zeit für Kinder, die im normalen Masse Hilfe brauchen würden.»
Und ein Sekundarlehrer aus dem Kanton Luzern schreibt:
A2 «Mich beschäftigt der Umgang mit sehr verhaltensauffälligen Jugendlichen.»
Einerseits ist es die Summe von Störungen des Unterrichts, von Vorfällen mit «schwierigen Schülern» und andererseits der Schweregrad von einzelnen Verhaltensauffälligkeiten. So zum Beispiel der Sekundarschüler, der auf eine wiederholte Arbeitsaufforderung zum Lehrer sagt: «Heb d’Schnure, susch hau der eis i d’Frässi», oder die Sekundarschülerin, die dem Lehrer auf eine Ermahnung den Mittelfinger zeigt und «Figg di» sagt.
Wir setzen den Begriff bewusst in Anführungszeichen. Es ist schier unmöglich, hier die geschlechtsneutrale korrekte Bezeichnung des «Lernenden» zu verwenden, weil der «schwierige Schüler» eben oft alles andere tut als lernen. Zudem sind «schwierige Schüler» heute in der überwiegenden Mehrzahl Knaben (Guggenbühl 2006, S. 45). An anderer Stelle (→ Kapitel 11, Eine Schule für Knaben?) wird auf diese Thematik eingegangen.
Einige Beispiele sollen illustrieren, womit Lehrpersonen im Schulalltag beim «schwierigen Schüler» konfrontiert sind.
B Beispiele
B1 Im Werkunterricht, der nach sechs Lektionen den Schulalltag beendet, wird die elektrische Säge für eine Arbeit gebraucht. Philipp kam am Morgen das dritte Mal in dieser Woche zu spät in den Unterricht, hat diesen den ganzen Tag, wie so oft, mit lauten Kommentaren, die nichts mit der Schule zu tun haben, gestört und andere Schülerinnen und Schüler abgelenkt. Als Philipp ein ganz kleines Stück Holz schneiden will, sagt ihm die Lehrperson, dies sei zu gefährlich, er solle es von Hand sägen (die Finger könnten verletzt werden). Philipp beginnt mit ihr zu diskutieren und will sein Vorhaben durchsetzen. Die anderen 15 Lernenden sind wie immer abgelenkt und verfolgen die Szene. Daraufhin lässt er die Maschine an und zersägt das kleine Stück vor den Augen der Lehrperson.
B2 Kevin ist in der 5. Klasse sehr auffällig. Jeden Tag gibt es einen Vorfall mit ihm. Ständig klopft er mit einem Stift auf das Pult, während die anderen Lernenden ruhig arbeiten wollen. Er zerkratzt seine Unterlagen, arbeitet nicht mit oder sperrt sich zum Beispiel mit einer Schere in der Toilette ein. Im Fach Musik gab die Musik-Fachlehrperson eine kurze Einführung zur Prüfung. Da ist es so ausgeartet, dass Kevin den Unterricht immer wieder unterbrochen hat mit Sätzen wie: «Ich bin behindert. Ich bin doof. Ich will ficken lernen.»
B3 Die 4. Klasse ist an einer stillen Arbeit. Reto will diese Einzelarbeit nicht machen; er geht deshalb nach vorne zur Lehrperson und sagt ihr das. Diese versucht, ihn zu motivieren, indem sie ihm bei der ersten Aufgabe hilft. Reto geht zurück an seinen Platz und macht die Arbeit selbstständig fertig. Die Lehrperson sieht die gelungene Arbeit und lobt Reto für die gute Arbeit. Kurz darauf radiert Reto alle Antworten aus und ruft: «Gefällt es Ihnen immer noch?»
Die