den Niveauunterricht (Sekundarstufe) wird die Klasse in ihrer Homogenität immer wieder belastet, weil ständig unterschiedliche Leistungslerngruppen entstehen. Eine stark erschwerte Klassenführung ist die Folge, und die leistungsschwächeren Stufen (B/C) werden zur Herausforderung, die einzig Kolleginnen und Kollegen mit Erfahrung und grossem Aufwand schaffen.»
Ein Kollege formuliert sein Anliegen nach mehr Ruhe und Ordnung in einer Frage:
A3 «Gibt es allgemeingültige Methoden, Modelle oder Hilfestellungen, die effizient und effektiv sind, um Verhaltensauffälligkeiten in den Griff zu bekommen?»
Disziplin ist kein neutrales Wort. Einerseits ist es für viele von uns aus biografischen Gründen belastet, andererseits ist es in der Vergangenheit (nicht nur im letzten Jahrhundert) für menschenverachtende Haltungen verwendet worden. In der schwarzen Pädagogik (Pädagogik, die sich repressiver Mittel bediente) waren Disziplin und Angst Begriffe, die zusammengehörten. Bevor auf die theoretischen Hintergründe eingegangen wird, lassen wir Beispiele zum Themenkreis Disziplin sprechen.
B Beispiele
B1 Der Schwimmunterricht der 5. Klasse ist beendet, und die Schülerinnen und Schüler sollen das Schwimmbad verlassen. Doch Leo fragt: «Darf ich nicht noch schnell eine Länge tauchen?» «Nein», antwortete die Lehrperson, «du kannst das nächste Mal wieder schwimmen und tauchen.» Leo gehorcht nicht und springt ins Wasser.
B2 Der Sportlehrer der Sekundarschule gibt Kevin eine Anweisung. Der Junge weigert sich, dieser zu folgen. Erneut fordert der Sportlehrer ihn auf, der Aufforderung Folge zu leisten. Daraufhin spuckt Kevin vor dem Lehrer auf den Hallenboden.
B3 Matthias (Sekundarschule) hat zum dritten Mal in diesem Semester die Hausaufgaben nicht gemacht. Dies ist der fünfte Eintrag, weil er ausserdem zweimal verschlafen hat. Fünf Striche bedeuten an dieser Schule, dass Matthias eine Unterschrift der Eltern braucht und am folgenden Mittwochnachmittag in der Schule arbeiten muss. Diese Regeln sind schriftlich festgelegt und allen bekannt. Matthias ist aufgebracht und beginnt laut zu lamentieren, will sofort darüber diskutieren, um den Eintrag abzuwenden. Er merkt, dass ihm das nicht gelingt, und wird immer lauter und unbeherrschter. Auf eine Ermahnung der Lehrerin hin steht er auf, geht zum Zimmer hinaus und wirft die Türe zu. Die Lehrerin weiss aus Erfahrung, dass sie am Abend einen Anruf der Eltern erhält, die ihr Vorgehen aufs Schärfste missbilligen.
B4 «Ein spezieller Stress war die Pausenaufsicht. Es gab dauernd Raufereien, hier eine versprayte Wand, da wieder mal einen kleinen Brand auf der Toilette, dort primitive Sprüche hinter meinem Rücken. Hey, fick dich, Hurensohn!» (Beglinger 2008, S. 16)
Hinter jeder Situation steht eine passive oder aktive Weigerung, sich an eine Anweisung, Ordnung oder Regel zu halten – mit zum Teil mehr als respektlosen Reaktionen. Es gibt auch die Auffassung, dies seien alles Situationen, in denen das Probierverhalten von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund stehe. Wäre dies die ausschlaggebende Motivation, würde dies ebenso eine Reaktion der Lehrperson verlangen. Die Reaktion auf ein Missachten von Regeln gehört zum Beruf der Lehrperson und ist unter anderem ein Element der Klassenführung.
Schlagzeilen wie «Kampfzone Klassenzimmer» (Esser 2007), «Alle gegen den Lehrer» (Guggenbühl 2010), «Entzauberung des Lehrers» (Peterhans 2011) sind häufig und bringen eine Ohnmacht zum Ausdruck – Ohnmacht, die vielleicht auch den einen Leser oder die andere Leserin der Beispiele beschleicht.
Ob die Disziplinlosigkeit ein Zeichen der heutigen Zeit ist, wird kontrovers diskutiert. Dies ist aus den Buchtiteln «Lob der Disziplin» (Bueb 2007) und «Aberglaube Disziplin» (Arnold 2007) ersichtlich. Diese bekannte Kontroverse ist aber nicht Gegenstand dieses Kapitels. Dessen ungeachtet sind Störungen im Unterricht heute ein Thema, das viele Lehrende und Lernende beschäftigt (→ Kapitel 1, Der «schwierige Schüler»). Tatsache ist, dass nicht wenige Lehrpersonen vermehrte Respektlosigkeit seitens der Lernenden beklagen und sich in diesem Zusammenhang oft alleingelassen fühlen.
Im Folgenden soll der Umgang mit Disziplinlosigkeit in der Schule im Vordergrund stehen mit den Fragen: Was heisst Disziplin? Welches sind die Faktoren, welche die Disziplin beeinflussen? Und wie begegnet man Disziplinschwierigkeiten?
C Theorie
Zum Begriff der Disziplin
Wer sich mit dem Thema «Disziplin» beschäftigt, kommt nicht darum herum, es einzugrenzen und sich zu positionieren. Unseres Erachtens gelingt es den folgenden Autoren, Disziplin im Klassenzimmer gut zu beschreiben. Becker erklärt den Begriff in seinem Buch «Disziplin im Unterricht» zunächst allgemein:
«Individuen stellen ihre spezifischen und unmittelbaren Bedürfnisse zurück. Sie schränken sich ein oder üben Verzicht. Sie tun dies mit Blick auf ein übergeordnetes und höherwertiges Ziel, etwa die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung.» (Becker 2009, S. 8)
Rüedi begründet Disziplin im Buch «Wie viel und welche Disziplin braucht die Schule?» und betont neben der sozialen Ordnung auch die Förderung von Selbstkompetenz der Lernenden:
«Disziplin, das Bestehen auf einem gewissen Ordnungsrahmen in der Schule, ist […] dann berechtigt, wenn die Lehrperson so Voraussetzungen schafft, um Fähigkeiten und Kompetenzen zu fördern und als zentrales Ziel zugleich die Verbesserung der Selbstdisziplin der Schülerinnen und Schüler im Auge hat.» (Rüedi 2011, S. 25)
In Klassen, in denen dieser gewisse Ordnungsrahmen nicht vorhanden ist oder gestört wird, kann der Lernstoff nur schwer bewältigt werden, kann kaum eine Lernatmosphäre entstehen.
Deshalb schliessen wir uns Dubs an, wenn er schreibt:
«Ordnung (richtig verstandene Disziplin) […] ist eine grundlegende Voraussetzung für ein erfolgreiches Lernen und ein gutes Klassenklima. Deshalb müssen sich Lehrpersonen bewusst um eine vernünftige Ordnung in ihren Schulzimmern und im Schulhaus bemühen.» (Dubs 2010, S. 196)
In den Klassenzimmern wird die von Dubs angesprochene «vernünftige Ordnung» meistens mit Regeln eingeführt und aufrechterhalten. Diese Regeln sind von Klasse zu Klasse verschieden, weil aus gruppendynamischen Gründen jede Klasse mit anderen Haltungen Mühe bekundet. Es sollte wenige formulierte Regeln geben. Eine Faustregel besagt, dass es nicht mehr als fünf braucht und sie auf einer positiven Formulierung basieren sollen. Regeln ergeben einen Sinn, wenn sie unter anderem eine Antwort auf Verstösse gegen die oben definierte soziale Ordnung sind. Zum Beispiel soll Diebstahl nicht erwähnt werden, wenn es nicht zu solchen Vorfällen gekommen ist.
Es gibt Regeln – meist Schulhausregeln –, die nicht diskutierbar sind. Es gibt aber auch Regeln, an deren Ausarbeitung sich die Lernenden beteiligen können.
Wie so vieles muss ein Kind auch Disziplin erlernen. Gemeinsames und effektives Lernen wird erst durch eine hilfreiche Rahmenordnung (Disziplin) möglich. Keller bringt in wenigen Zeilen auf den Punkt, wie sich Disziplin in einer Klasse auswirken kann:
«Konkret heisst dies, dass die Schülerinnen und Schüler aufmerksam sind, sich achtsam zueinander verhalten, zuhören, nicht dazwischenrufen, Lernwillige lernen lassen, mitarbeiten, das Recht auf seelische und körperliche Unversehrtheit respektieren und Kritik konstruktiv äussern. Eine so verstandene Disziplin ist kein Selbstzweck, sondern eine wohltuende lernförderliche Unterrichtsstruktur.» (Keller 2008, S. 19 f.)
An einer solchen Lernkultur ist die Lehrperson massgeblich beteiligt. Mitunter werden hohe Anforderungen an sie gestellt, und zum Teil braucht es monatelange Arbeit, in der Geduld und Ausdauer gefragt sind, denn auch diszipliniertes Verhalten muss geübt werden (Becker 2009, S. 103 ff.). Alle sollen sich an die vereinbarten Regeln halten – in erster Linie (als Vorbild) natürlich die Lehrerinnen und Lehrer selber.
Wo es Regeln gibt, kommen auch Regelverletzungen vor. Regeln sind ohne Nutzen, wenn Regelverletzungen keine Folgen haben. Wenn sich zum Beispiel Sportler nicht an die Spielregeln halten, werden sie ermahnt, verwarnt, mit einer Zeitstrafe belegt, oder sie werden vom