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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie


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Partei begab, orientierte er sich innerhalb der Berliner Bohème an Salomo Friedlaender. Noch in den späten Erinnerungen von Perls vermeine ich, seine mit dieser Zeit verbundene Faszination und Hoffnung herauszuhören:

      »1922 – Neuer Anfang. Sehr aufregend. Wir-Wir! Ich vergrößere die außerfamiliare Welt. Wir: Bohemiens, auf ungewöhnlichen Wegen. Schauspieler, Maler, Schriftsteller. Eine neue Welt schaffen. Bauhaus, Brücke, Dadaismus – Neue Sachlichkeit. Entdecke einen Guru: S. Friedlaender.« (F. Perls 1993, 6)

      Ein Guru ist eine Leitfigur, die freiwillig gewählt wird, in der Hoffnung, dass sie einen auf dem eigenen Weg ein Stück voranbringt. Friedlaenders Buch Schöpferische Indifferenz von 1918, das Ludwig Marcuse zu den vier wichtigsten Veröffentlichungen dieses Jahres zählte, hatte einen starken Einfluss auf ihn. In dieser Zeit hatte Perls sich mit Philosophie beschäftigt:

      »Philosophie war ein magisches Wort, etwas, das man verstehen musste, um sich selbst und die Welt zu verstehen. Ein Gegengift für meine existenzielle Konfusion und Verwirrung. Intellektualismus hat mir nie Schwierigkeiten bereitet.« (Perls 1981, 79)

      Lore Perls erinnerte in Bezug auf die ersten Begegnungen 1925: »Da war ein Typ, den ich mochte, intelligent, klar und originell in den kleinen Dingen.« (L. Perls 1997, 49) Was ihn all die Jahre in den künstlerischen Kreisen am Rand stehen ließ, inmitten Gleichaltriger und sogar Jüngerer, die als Künstler ihre eigne Ausdrucksform in diesen Jahren oft schon gefunden hatten, wird durch die Erinnerung von Lore Perls deutlich: »Zu dieser Zeit hatte seine Kreativität keinen bestimmten Fokus. Er war kreativ im Reden.« (ebd.)

      Perls’ persönliche Entwicklung verlief langsam, unterbrochen von schweren Krisen, aus denen er sich immer wieder herausarbeitete und dann weiterging. Erst in den letzten Lebensjahren hatte er seine Ausdrucksform, seinen Stil, nicht »die« Gestalttherapie, aber seine Gestalttherapie als therapeutisch-dramatische Ausdrucksform gefunden. Da Sprache ihm in den frühen Zwanziger-Jahren wichtig war, muss der Eindruck Mynonas, der ein wahrer Sprachkünstler war, überwältigend gewesen sein. In der Tat schrieb Perls:

      »Als Persönlichkeit war er der erste Mann, in dessen Gegenwart ich mich niedrig fühlte und in Bewunderung verneigte. Es gab keinen Raum für meine chronische Arroganz.« (Perls 1981, 79)

      Wichtig ist, dass Mynonas Polaritätsphilosophie dem innerlich Zerrissenen zum ersten Mal eine stabile Grundorientierung bot, 4 von der aus er sich weiter vortasten konnte.

      Ein engerer Kontakt mit dem Friedlaenderkreis scheint sich gegen 1922 ergeben zu haben. Ich vermute, dass Perls sich nun als 29-jähriger Arzt mit Kriegserfahrung und sozialistischer Orientierung, mit etwas mehr Selbstbewusstsein in der Öffentlichkeit bewegte und Zugang zum engeren Kreis der Bohème fand, die sich nicht nur in Cafés, sondern auch in den privaten Räumen der Künstler traf. Perls schrieb, dass man sich »meist im Studio eines Malers« (1981, 79) traf: »Viele Philosophen, Schriftsteller, Maler, politische Radikale und einige ihrer Anhänger kamen dort zusammen.« (ebd.) Wahrscheinlich waren es die Wohnungen und Ateliers der mit Friedlaender befreundeten Maler Ludwig Meidner und Arthur Segal, in denen diese Treffen stattfanden.5 Die zum Berliner Dada gehörende Hanna Höch sprach beispielsweise von einem »Mynona-Segal-Kreis« (in Exner 1996, 249):

      »Viele Jahre gab es bei dem Maler Arthur Segal an jedem ersten Montag des Monats ein ›jour fixe‹. Es wurde Tee gereicht, und sonst gab es nur geistige Nahrung. […] Den Mittelpunkt dieser Abende bildete Mynona Friedländer. Wenn sich nicht Partner oder Gegner auf philosophischer Ebene fanden, erging er sich in Feuerwerken von spitzfindigen, sarkastischen bis frivolen, immer geistvollen Kapriolen und Späßen.« (Höch in Exner 1996, ebd.)

      Friedlaender beschrieb diese Abende in seinem Buch »Graue Magie. Berliner Nachschlüsselroman«, in dem er sich als Friedrich Salomon bezeichnet:

      »Wie Öl von Wasser, mit dem man’s zusammengießt, so schied sich hier sehr bald die Bohème (zu der auch ein paar Dadaisten und der Spaßmacher Salomon gehörten) von der gutbürgerlichen Gesellschaft, die dem Treiben der andern wie einer Komödie mit halb geringschätziger Interessiertheit beiwohnte, während natürlich sie selber für die Zigeuner zur Zielscheibe des Spottes wurden. Dazwischen gab es einige mehr vermittelnde oder noch mehr entzweiende Elemente […]. – Das Haus war nur bis acht geöffnet; wer später kam, klopfte an die Fensterscheibe oder klatschte, pfiff und rief.« (Mynona 1989, 174)

      Da dieses Buch im Jahre 1922 erschien, dem Jahr, das Perls als Eintrittsjahr in den Kreis um Mynona angab (vgl. Perls 1993, 6), will ich hier einige Personen nennen, die Mynona in verschlüsselter Form als Gäste der beschriebenen Abende erwähnt: die Schauspielerin Asta Nielsen, den Filmemacher Ernst Lubitsch, den Maler Ludwig Meidner, den Kritiker Alfred Kerr, den Leiter der expressionistischen Sturm-Galerie Herwarth Walden, die Schriftsteller Else Lasker-Schüler, Ludwig Rubiner und Theodor Däubler, den philosophischen Schriftsteller Hermann Graf von Keyserling sowie den Psychoanalytiker Ernst Simmel. Regelmäßige Teilnehmer waren außerdem die Dadaisten Raoul Hausmann, Hannah Höch und Kurt Schwitters (vgl. Exner 1996, 249). Zu Mynonas Freundes- und Bekanntenkreis zählten weiterhin: Walter Benjamin, André Gide, Magnus Hirschfeld, Karl Kraus, Gustav Landauer, Georg Lukács, Erich Mühsam, Romain Rolland und Joseph Roth (vgl. Frambach 1996, 10).

      Friedlaender/Mynona war Anfang der Zwanziger-Jahre also für Fritz Perls die zentrale Orientierungsfigur, und ich will kurz an einem Beispiel aufzeigen, dass sich in diesen Jahren die Wege der progressiven Künstler in Berlin bei vielen Gelegenheiten überschnitten. Ich gehe davon aus, dass da, wo der »Guru« sich engagierte, auch der Schüler in nicht allzu weiter Entfernung zu finden war.

      Im Rahmen der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), einer von Willi Münzenberg im Auftrag und in Kollaboration mit Lenin und der deutschen KPD 1921 aufgebauten überparteilichen sozialen Hilfsorganisation, wurde 1924 die ›Künstlerhilfe‹ gegründet. Anlass war, dass es, durch die Arbeitslosigkeit und die Ernährungsschwierigkeiten in dieser Zeit, einen ganz konkreten Mangel an Nahrungsmitteln und in der Folge Unterernährungssymptome bei Kindern wie alten Leuten, speziell aus der Arbeiterschaft, gab. Den Aufruf zur Beteiligung von Künstlern an der Hilfe für die von Hunger betroffenen Menschen unterzeichneten am 9.11.1923 beispielsweise Prof. Albert Einstein, George Grosz und Wieland Herzfelde, der Schauspieler Alexander Moissi, der Dichter Franz Werfel und der Arzt und Psychoanalytiker Ernst Simmel. Die ›Künstlerhilfe‹ organisierte 1924 den Verkauf von über 400 zur Verfügung gestellten Kunstwerken im Warenhaus Wertheim am Alexanderplatz. Der Erlös sollte für die Essenausgabestellen der IAH verwendet werden. Es wurde berichtet, dass sich »für das Ausmalen der Speisestellen« (Kunstamt Kreuzberg 1977, 596) namhafte Künstler angeboten hatten. Ihre tätige Mitarbeit hatten unter anderem angeboten: »Arthur Segal, Dr. Friedlaender (Mynona), 6 Johannes R. Becher, Prof. Käte Kollwitz, Max Liebermann, Kandinski, Paul Klee, Schlemmer, Feininger, die gesamten Professoren des Staatl. Bauhauses in Weimar.« (ebd.) Im gleichen Jahr, aus Anlass einer Streik- und Aussperrungswelle beim Kampf um die Erhaltung des Achtstundentages, gab es einen Aufruf der ›Künstlerhilfe‹, auf der auch wieder »Friedländer-Mynona« sowie Heinrich Zille, Ernst Toller, Erich Mühsam u. a. verzeichnet waren (vgl. ebd.). Es gab eine enge Verzahnung und häufige Kontakte von Intellektuellen und Künstlern unterschiedlicher linker Orientierung in diesen Jahren, und Perls bewegte sich in diesen Kreisen.

      Ich-Dissoziation und Menschheitserneuerung

      »Wir sind und wollen nichts sein als Dreck. Man hat uns belogen und betrogen Mit Gotteskindschaft, Sinn und Zweck.«

      (Benn 1982, 43)

      Wenn Exner schreibt, dass Friedlaender die »metaphysische Absicherung« (Exner 1996, 185) der expressionistischen Generation leistete und einer »ganzen Generation der Berliner Avantgarde« (ebd., 291) den Weg wies, so ist eine kurze Skizzierung der krisenhaften Selbst- und Welterfahrung der expressionistischen Generation angebracht.

      Was Perls einmal seine »existenzielle Verwirrung und Konfusion« nannte, war ein Erlebnisgeflecht, das sich aus frühen Kindheitserlebnissen und zeitgeschichtlichen Phänomenen zusammensetzte und das als eine Bedingung für individuelles Leid wie für schöpferische Bewältigungsversuche durchgängig bei der jungen und unruhigen Expressionistengeneration